Nachhaltig

Fessenheim verabschieden, mit Kusshändchen den Rhein entlang

Es ist geschafft: Das AKW Fessenheim an der französisch-deutschen Grenze ist endlich abgeschaltet. Viele Aktive im Dreyeckland haben dazu beigetragen. Der Erfolg zeigt einmal mehr: zivilgesellschaftliches Engagement wirkt.
„Atomkraftwerke in Erdbebenzonen? – Das hat sich einfach nicht bewährt!“ Gelächter und Applaus. Sogar von der Heute-Show* wurde 2016 der präsidialen Ansage, Fessenheim abzuschalten, durch Monsieur Hollande der Segen erteilt, kurz nachdem WDR und SZ „einen der dramatischsten AKW-Unfälle in Westeuropa“ ans Licht gebracht hatten.
Am 30. Juni 2020 war es also endlich soweit: Mit dem Aus für das älteste französische AKW wird eine immense Bedrohung an der Grenze zu Baden-Württemberg endgültig abgeschaltet. Das Katastrophen-Potential reicht allerdings noch weit über das Dreiländereck Frankreich-Deutschland-Schweiz hinaus: dank seiner hauchdünnen Bodenplatten hätte im Falle einer Nuklearkatastrophe ein geschmolzener Reaktorkern binnen Kürze sein giftiges Inventar ins Oberrhein-Aquifer das größte Grundwasserreservoir Mitteleuropas erbrochen. Sämtliche Rheinanlieger flussabwärts über Straßburg, Mannheim, Koblenz, Bonn, Köln, Düsseldorf, Duisburg bis nach Rotterdam, auch diejenigen, die gar nichts von der Bedrohung für ihr Trinkwasser wussten, dürfen also nun Kusshändchen gen Süden schicken.
Kusshändchen an all die Menschen, die sich über Jahrzehnte mit ungeheuerlicher Kraft, Kreativität und Ausdauer für die Abschaltung der beiden Reaktoren engagiert haben. Sowohl für die, die ihren Kopf hingehalten haben und mit ihrem Engagement im Rampenlicht standen. Als auch für all die weniger sichtbaren aus der zweiten, dritten, x-ten Reihe, deren Hilfe, Talente, Rückenstärkungen, Kontakte und Hebelwirkungen mitunter Gold wert sind, damit Politik begreift: hier ist der Wille der Bürger*innen stärker als der Druck aus der Lobby. Und natürlich für all die Menschen, die es mit ihrem Engagement für die Erneuerbaren möglich gemacht haben, dass Solaranlagen und Windräder die schmutzigen Stromquellen immer weiter ersetzen können.
Kusshändchen in die gesamte europäische Nachbarschaft von Fessenheim auch aus den Grenzregionen von Cattenom, Doel, Tihange, Temelin und all den anderen Regionen der grenznahen Anlagen, die nicht nur Atome sondern auch die Bevölkerung spalten. Die frohe Botschaft aus Fessenheim soll all denen Mut machen, deren Existenz nach wie vor von Altmeilern bedroht ist, dass das Bohren dicker Bretter sich lohnt. Kusshändchen nach Brokdorf, Grohnde, Gundremmingen, Lingen, Neckarwestheim und Ohu, wo 6 deutsche AKW laufen und wo u.U. nochmal eine ordentliche Kraftanstrengung nötig sein wird, damit die Sollbruchstelle am dicken Ende des „deutschen Atomausstiegs“ nicht noch ein Einfallstor für Laufzeitverlängerungs-Apologet*innen öffnet.
Welcher Kraftakt für die Schließung von Fessenheim nötig war, wird klar, wenn man sich die Rolle der Altmeiler im Gesamtkontext der militärischen Atommacht Frankreich klarmacht.
Das Hohelied der Energiewende wurde nur fürs Publikum gesungen. Trotz der fantastischen geographischen Voraussetzungen hat das flächenmäßig weitaus größere Nachbarland gerade jeweils ein Viertel dessen an PV- und Windkraft-Kapazität installiert, was hierzulande realisiert wurde. Isoliert betrachtet ergibt das natürlich gar keinen Sinn, mit den alten nuklearen Platzhaltern so lange die günstigen Erneuerbaren künstlich aus dem Markt zu drängen, bis neue, sündteure Atom-Träume wie der EPR in Flamanville „endlich“ ans Netz kommen. Selbst eine im französischen Energiewendegesetz festgeschriebene Deckelung der installierten Atomkraft-Leistung auf den Ist-Wert von 63,2 Gigawatt wurde von gewieften Spindoktoren noch zu einer Bestandsgarantie für Fessenheim verdreht – so lange, bis man mit dem Debakel von Flamanville die künstliche Verquickung mit Fessenheim nicht mehr aufrechterhalten konnte.
Jedes einzelne zivile Atomprojekt der Grande Nation ist ein Infrastrukturgarant dafür, dass die militärische Seite der nuklearen Abschreckung überhaupt organisierbar ist: Keine neuen Atom-U-Boote, kein atomarer Kriegsschiffantrieb, kein Atomsprengkopf, keine neokolonialistische Uran-Mine, kein Spaltstoff-Import, keine Forschung, Konstruktion, Wartung oder Fachkräfteausbildung wäre dem Militär möglich, wenn die Quer-Subventionen über die Stromrechnungen ausblieben oder die Lieferketten nach der Schließung von 58 zivilen Reaktoren zusammenbrechen würden.

Und wer noch immer an das Märchen von der „klimaschützenden Atomkraft“ glauben möchte, dem hilft vielleicht ein Blick auf die Planung neuer, eigener französischer SMR-Reaktoren (Small Modular Reactor), entwickelt vom U-Boot-Bauer Naval Group, dem Hersteller nuklearer Schiffsantriebe TechnicAtome, dem zivil-militärischen CEA (Commissariat à l‘énergie atomique et aux énergies alternatives) und dem Energieversorger für Haushalte, Gewerbe und Industrie EdF (Electricité de France). Die Rettung des Klimas durch atomar betriebene U-Boote, die mit enormer Reichweite und für den Gegner schwer auffindbar Atomsprengköpfe durch die Weltmeere tragen, ist der Stromkundschaft irgendwie nur schwer vermittelbar.

Bildquellen

  • Ausschnitt Fahrt nach Breisach Fessenheim Demo 2011: Promo