Theater

Einfach gutes Musiktheater: Die Opera Factory Freiburg feiert im E-Werk ihr 30-jähriges Jubiläum mit Benjamin Brittens Kammeroper „The Rape of Lucretia“

Eine leere Bühne. Mehr braucht die Opera Factory Freiburg nicht, um packendes Musiktheater zu machen. Bei Benjamin Brittens 1946 uraufgeführter Kammeroper „The Rape of Lucretia“, mit der das von Klaus Simon gegründete freie Musiktheaterensemble sein 30-jähriges Jubiläum feiert, verzichten Regisseur Joachim Rathke und Ausstatterin Claudia Spielmann-Hoppe im Freiburger E-Werk komplett auf ein Bühnenbild. Und setzt stattdessen einen präzise agierenden Bewegungschor ein (Choreographie: Stefanie Verkerk), der die Szene öffnet oder verdichtet, der mal individuell geführt ist oder als starkes Kollektiv fungiert, mit Masken oder ohne, mal empathisch, mal kriegerisch. Mit dieser klugen Idee wird nicht nur die Bühne strukturiert, sondern auch neben den beiden Erzählerfiguren (Male/Female Chorus) eine zusätzliche Kommentarebene eingeführt, die das vom Librettisten Ronald Duncan etwas steif vermittelte Geschehen lebendiger und nahbarer macht. Die stimmigen Videos von Frank Böttcher zeigen Bilder vom Krieg. Eigentlich sollten laut Brittens Regieanweisung die beiden Erzählfiguren während der ganzen Oper auf beiden Seiten der Bühne sitzen. Warum sie die im Jahr 500 vor Christus spielende Geschichte immer wieder christlich deuten, erschließt sich nicht. Rathke macht aus dem Male und Female Chorus zwei Kriegsreporter mit Helm und schusssicherer Weste, die für „Christ TV“ arbeiten. Dieser Eingriff funktioniert ebenfalls erstaunlich gut, weil auch hier die Regie eine große Variabilität in den Auftritten schafft und nah am Text bleibt. Für die finale christliche Deutung schauen die beiden ins Gebetbuch, das Siri Karoline Thornhill schließlich auf den Boden pfeffert. Thornhill ist mit ihrem schlanken, leuchtenden Sopran ganz bei den Frauen des Dramas. Mit ihrem Reporterkollegen Daniel Johannsen, der die hoch liegende Tenorpartie mit lyrischem Schmelz und weicher Stimmgebung veredelt, hat sie ein Gegenüber auf Augenhöhe, das auch im Duett gut harmoniert.
Von Beginn an entwickelt Dirigent Klaus Simon mit der im Bühnenhintergrund postierten zwölfköpfigen Holst Sinfonietta ein sprechendes, atmosphärisch dichtes Klangbild. Die Balance innerhalb des Ensembles, aber auch in Verbindung mit den Gesangssolisten ist perfekt. Die rezitativischen Passagen begleitet Simon selbst am Flügel sensibel und perfekt getimt. Die Holst Sinfonietta kann zubeißen, wenn sich die Soldaten zum Besäufnis treffen (Horn: Hannah Rottmayer, Schlagzeug: Lee Ferguson), aber auch einen zarten Klangteppich mit Harfe (Julia Weissbarth), Flöte (Martina Roth), Violinen (Sylvia Oelkrug und Cornelius Bauer) und weicher Bassklarinette (Lorenzo Salvá Peralta) auslegen, um die weibliche, idyllische Welt von Lucretia zu illustrieren.
Ekkehard Abele war schon bei der Gründungsproduktion der Oper vor 30 Jahren dabei. Als gehörnter Junius, der Tarquinius zur tödlich endenden Treuewette anstachelt, agiert er mit Präsenz und kräftigem Bariton. Lucretias Ehemann Collatinus wird von David Rother mit geschmeidigem, tragfähigem Bass und strenger Würde ausgestattet. Ejnar Ĉolak gibt Tarquinius als selbstbewussten draufgängerischen Machomann, der stimmlich aber auch weichere Seiten offenbart. Barbara Ostertag verleiht Lucretias Amme Bianca Tiefe, Leonor Pereira Pinto ist eine glockenhell klingende Dienerin Lucia. Der Titelfigur schenkt Sibylle Fischer Expressivität und dunkle Farben. Am Ende erhebt sich Lucretia aus dem Leichenberg. Und hofft mit strenger Miene vielleicht doch noch auf eine bessere Zukunft.

 

Bildquellen

  • Ihr 30-Jähriges feierte die Opera Factory Freiburg mit „The Rape of Lucretia“: © Marc Doradzillo