Theater

Einen Bock aufbinden: Yair Sherman inszeniert im Theater Freiburg Henrik Ibsens „Peer Gynt“ als magischen Bilderbogen

„Ich bin Peer Gynt“, sagt der Junge. Noch bevor dieses dramatische Gedicht im Großen Haus des Theater Freiburg eigentlich beginnt, steht der Satz in der Luft. Was für ein Name. Peer Gynt: die Buchstaben werden Bestandteile des Bühnenbilds sein, immer wieder neu arrangiert, er ist schwarz auf weißen T-Shirts unterschiedlicher Größe gedruckt. Getragen werden sie in Yair Shermans Inszenierung gleich von einer ganzen Riege von Schauspielerinnen und Schauspielern. Thieß Brammer, Martin Müller-Reisinger, Raban Bieling, Henry Meyer, Angela Falkenhan, Daniel Khechumyan, Klara Krümann sowie Anja Schweitzer, Holger Kunkel, Cornelia Dörr und Michael Witte sind Peer Gynt. Und wenn Brammer als junger Peer Gynt vor dem Baden die Kleidung fallen lässt, löst sich gleich am Anfang der Inszenierung Henrik Ibsens Bild vom Menschen als Zwiebel ein. Doch da steht ja kein Nichts da, sondern ein Mensch. Nicht gut, nicht schlecht, wie wir alle. Gegen Ende dieses gut vierstündigen Abends wird dann Witte am Ende von Peers Leben sich ebenfalls wie eine Zwiebel häuten. Und wieder steht da ein Mensch. Ein fehlbarer, schuldig gewordener, der versucht, dem Tod drei Mal von der Schippe zu springen.
Es ist ein geschickter Kniff, die Rollen aufzulösen, so entsteht einerseits eine wirkliche Ensembleleistung und andererseits versucht man erst gar nicht, das Bühnengeschehen zu psychologisieren, mehr noch, Peer, der lauter Fantasien über sich verbreitet, hat keine eindeutige Identität mehr. In den ersten Momenten dieser Inszenierung in dem ärmlichen Raum mit einer Uhr in Form einer Katze, einer Suppenkelle und einem Wasserschöpfer an einer Leiste über einem Emaillebecken, ist Peer Gynt ein Geschichtenerzähler, der seiner Mutter Aase (Hartmut Stanke) wenn nicht einen Bären, dann einen Bock aufbindet. Ist das Reich der Trolle, in das sich Peer Gynt erst willig, dann ziemlich unwillig entführen lässt, wirklich oder ist es eine Projektion? Regt sich sein schlechtes Gewissen, weil er mit Ingrid kurz vor deren Hochzeit durchbrannte und dann nichts mehr von ihr wissen will? Was ihn vogelfrei macht und seine Mutter um die letzte Habe bringen wird. Geschenkt. Es ist vor allem Dichtung und Musik. Die Trolle können eine Art Scatgesang, wenn sich die Dorfjugend in silbernen Animalprints und einigermaßen feierwütig zum Polterabend zusammenfindet, hört man „Let’s dance“ von David Bowie (Musik: Yehezkel Raz). Yair Sherman lässt auf der Drehbühne des Großen Hauses die Welt um sich selbst rotieren, so dass man sich in den Bildern verliert und auch die Zeit vergisst. Bereits Shermans „Wintermärchen“ hatte diese Bildmagie. Inmitten dieses sehr variablen Bühnenbilds wird aus einem Gestell die Berghütte, zu der Solvejg (Josefin Fischer) steigt, um mit Peer zu leben. Nach der Pause steht dort ein Ozeankreuzer, die Wüste findet sich hier und eine psychiatrische Anstalt irgendwo in Ägypten (Bühne: Roni Toren).
Als Ibsen dieses „dramatische Gedicht“ schrieb, das erst in die Welt der Trolle, dann wirklich in die Welt führt, waren die Orte vor allem Projektionen des späten 19. Jahrhunderts. Es waren Orte des Andersseins, der Sehnsucht und Exotik, die nicht vor einer kapitalistischen Ausbeutung gefeit waren. Sein Vermögen machte Peer Gynt, indem er mit Sklaven handelte, in der Wüste versucht er Anitra (Raban Bieling) zu verführen. Sie wird ihn jedoch um seine letzten Reichtümer bringen. Der Schauwert dieser Inszenierung ist jedenfalls hoch, die Trolle tragen Fatsuits, in den höheren Rängen Krone und rote Paillettenhose mit Plateausohlenstiefeln, einmal gibt es einen Catwalk, irgendwo zwischen Kostüm und Haute Couture, jeder Entwurf ein anderes Ich (Kostüme: Polina Adamov). In Shermans Inszenierung wirken diese Szenerien wie Stationen eines Reisenden, der überall nur sich selbst findet. Am Ende rettet er bei einem Schiffsbruch seine bloße Haut, den anderen Überlebenden stößt er kaltblütig ins Meer. Man muss diese Figur nicht lieben. Doch sie erzählt viel über uns. Sherman macht es zu einem Vergnügen.
Weitere Termine: 27.12. und 12./16./17./25.01.

Bildquellen

  • Victor Calero, Anja Schweitzer, Martin Hohner, Martin Müller-Reisinger, Michael Witte: Foto: Britt Schilling