Ein Wahlprogramm mit neuen ökonomischen und sozialen Zugängen für unsere Krisenzeit
„Mit angezogener Bremse gibt es entweder soziale Verwerfungen und Widerstand gegen eine konsequente Klimarettung – weil im ‚Sozialen‘ gespart wird – oder die Rettung bleibt aus.“ In deutlichen Worten präsentiert sich das Heft „Wahlprogramm sucht Partei!“, eine Zusammenarbeit der Vorstandsmitglieder des Vereins Freiburger Diskurse Heinrich Röder und Marcus Brian mit dem Herausgeber und Chefredakteur des Online-Wirtschaftsmagazins MAKROSKOP Dr. Paul Steinhardt. Selbst verstehen die Autoren ihre Schrift als Agenda für eine rationale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik.
Auftakt ihres 44-seitigen „Wahlprogramms“ bildet ein Brief an die Partei der Grünen, die nach den Wahlen vermutlich Regierungsverantwortung tragen wird. Die ideale Partei für das kritische Programm, das die drei Wirtschaftskritiker entwerfen, sind die Grünen aber mitnichten. Vielmehr sehen die Autoren die vorherrschende Idee eines gewollten ökologischen Umbaus bei fehlenden ökonomischen und sozialen Voraussetzungen. „Ohne das Wissen um diese Voraussetzungen können Prozesse wie der Klimawandel nur oberflächlich angegangen werden“, meint Dr. Paul Steinhardt. Und er fügt hinzu: „Wenn wir noch nicht einmal mit der Rentenfrage umgehen können, sind wir von Klimafragen noch weit entfernt.“ Entsprechend leistet das „Wahlprogramm“ mit seinen elf Maßnahmen für eine zukunftsfähige Gesellschaft und lebenswerte Erde Grundlagenarbeit und nimmt sich Themen wie Staatsfinanzierung, Marktwirtschaft oder gesetzlicher Rente an – in so deutlichen wie einfachen Worten und für eine kritische Öffentlichkeit.
Da stellt sich direkt die Frage: Warum die Politiker*innen nicht direkt mit dem „Wahlprogramm“ konfrontieren? Heinrich Röder dazu: „Die Politiker und Politikerinnen nehmen sich noch immer die sparsame schwäbische Hausfrau als Leitbild der Nation.“ Die Wählerschaft müsse den Parteienbetrieb mit vernünftigeren politischen Ideen konfrontieren. Denn: Macht erhält die Politik erst durch die Wählenden. Als Beilage für Blätter wie die Badische Zeitung, die ZEIT oder der Freitag ist gerade die Mitte der Gesellschaft Zielpublikum des Hefts. Aber auch andere Gruppen sollen sich angesprochen fühlen, denn natürlich gehen diese Prozesse alle etwas an.
Plastisch und einladend ist das Programm in jedem Fall gehalten. Die schwäbische Hausfrau bekommt entsprechend gleich zu Beginn deutliche Kritik, denn: „Nachfolgende Generationen werden nicht durch hohe Staatsschulden belastet. […] Nachfol-gende Generationen werden durch schlechte Ausbildung, mangelhafte Infrastruktur und eine zerstörte Umwelt belastet.“ Keine Schuldenbremse also, sondern nachhaltiges Wirtschaften. Ebenso: Bauen in Ballungszentren vorwiegend von Kommunen und gemeinnützigen Trägern. Oder: Gesetzliche Rentenversicherung für alle! Überhaupt und überhaupt: Die Gesellschaft entscheidet, was wertvoll ist und der Markt darf helfen. Dem Staat raten die Autoren, wieder mehr Verantwortung zu übernehmen. „Unterm Strich macht das ‚Wahlprogramm‘ deutlich, dass der Staat sich seiner Rolle als zentraler Taktgeber und als gestaltende Ordnungskraft wieder stärker bewusst werden muss“, so Marcus Brian.
Die unterschiedlichen Thesen des „Wahlprogramms“ werden über anschauliche Beispiele und durchaus ironisch gesetzte Grafiken greifbar. Ein parallel dazu erscheinendes 140 Seiten starkes Themenheft von MAKROSKOP vertieft die Themen des Programms. Nicht zuletzt werden die Freiburger Diskurse dazu passende Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen anbieten. Am 21. September, 19.30 Uhr findet etwa ein Streitgespräch zwischen Professor Wolfgang Streeck und Dr. Rainer Hank über von Streeks neues Buch „Zwischen Globalismus und Demokratrie“ statt, das nach einer staatlichen Antwort auf Prozesse eines globalisierten Kapitalismus fragt. Die Veranstaltung findet voraussichtlich im Hörssal 1010 der Universität Freiburg statt.
Das „Wahlprogramm“ als PDF, weitere Infos und Veranstaltungen: www.freiburger-diskurse.de
Bildquellen
- Diskurse für den Bundestag – auch nach der Wahl: Foto: Karlheinz Pape