Interview

Ein Literaturhaus für Freiburg?

Im Gespräch: Martin Bruch, neuer Leiter des Literaturbüros Freiburg

Foto: Martin Bruch (li.) und der Debütautor Martin Kordić beim „zwischen/miete Salon“

Martin Bruch (29) ist neuer Leiter des Literaturbüros Freiburg. Der Nachfolger von Stefanie Stegmann, die seit Jahresbeginn das Literaturhaus Stuttgart leitet, war zuletzt Referent in der Münchner Zentrale des Goethe-Instituts und davor für den Frankfurter Verlag Weissbooks tätig. Er hat in Hildesheim, Rom und Berlin studiert und war Redakteur der Literaturzeitschrift „Bella Triste“. Unsere Mitarbeiterin Cornelia Frenkel sprach mit ihm über sein neues Betätigungsfeld in Freiburg.

Kultur Joker: Wie sind Sie zur Literatur gekommen?
Martin Bruch: Als Leser, würde ich sagen, mit Kinder- und Jugendbüchern. In der Schulzeit kamen die üblichen Verdächtigen hinzu, die Manns, Brecht, Hesse. Dann hatte ich Glück und geriet an eine brillante Lehrerin, die etwa Zoë Jenny mit in den Unterricht brachte. Während meines Zivildienstes in der Gedenkstätte Theresienstadt nahmen eigene Schreibversuche zu. An der Universität Hildesheim habe ich bald wieder mehr gelesen und lektoriert als geschrieben. Gegenwartsliteratur war genuiner Bestandteil meines Studiums, genauso wie der Austausch mit Kommilitonen, die sich für Literatur, für Kunst überhaupt begeistern konnten und selbst künstlerisch oder kulturvermittelnd tätig waren.
Kultur Joker: Das bisherige Programm des Literaturbüros Freiburg bietet kontinuierlich einzelne Autorenlesungen sowie Veranstaltungsreihen, die konzeptionell orientiert sind, z.B. „HörBAR“, „Literarisches Werkstattgespräch“, „Literatur im Sortiment“ und die sogenannte „zwischen/miete“. Inwiefern wird es hier Kontinuität, inwiefern Veränderung geben?

Martin Bruch: Da bin ich selbst gespannt. Nach und nach lerne ich die Reihen hier und das Publikum kennen. Ich habe das Gefühl, dass es eine große Neugierde und Aufgeschlossenheit gibt. Wir werden vieles weiterführen und möglicherweise stärker machen, besonders im Kinder- und Jugendbereich. Aber ich bin mir auch sicher, dass Neues hinzukommen wird. Bislang ist das Programm mit sehr geringem Budget und heißer Nadel gestrickt. Es ist also nicht aus einem Gesamtkonzept heraus entstanden, sondern aus einem kleinen Literaturbüro, das, mit viel Energie und Kreativität, nach und nach gewachsen ist. Ich versuche, diese Entwicklung mit meinem Blick von außen und mit den Erfahrungen, die nun Woche für Woche hinzukommen, voranzutreiben. Das heißt nicht, dass wir ständig mehr Veranstaltungen machen wollen, sondern vor allem, dass es darum geht, Literatur, auch vermeintlich schwierige Felder wie Lyrik, für verschiedene Generationen und Bevölkerungsgruppen zu öffnen.
Kultur Joker: Anfang Februar haben Sie eine Sonderausgabe der „zwischen/miete“ veranstaltet. Was hat es damit auf sich?
Martin Bruch: Die „zwischen/miete“ ist eine Reihe, in der wir Literatur aus der jüngsten Schriftstellergeneration vorstellen. Kuratiert wird sie von vier sehr engagierten, begeisterungsfähigen Studierenden. Diesem Team haben wir vorgeschlagen, das Format diesmal mit einem kleinen Dreh zu versehen.
Bislang fand die „zwischen/miete“ ausschließlich in Wohngemeinschaften von Studierenden statt und zog fast nur studentisches Publikum an. Den „zwischen/miete Salon“ Anfang Februar haben wir auch in einem Privatraum veranstaltet, allerdings in einem wesentlich gediegeneren. Damit wollten wir eine größere Durchmischung des Publikums provozieren. Die Veranstaltung aber waren wieder viele Studierende da. Ein geglückter Abend, wie ich finde, besonders weil wir mit Martin Kordić einen beeindruckenden jungen Autor zu Gast hatten. Sein trauriger, fragiler und auch verstörender Debütroman „Wie ich mir das Glück vorstelle“, geschrieben aus der Perspektive eines Jungen während des Balkankriegs, zählt in meinen Augen zu den ungewöhnlichsten Texten in diesem Frühjahr.
Kultur Joker: Durch Ihre Arbeit an der Zeitschrift „Bella Triste“ haben Sie sich stark mit der Literatur junger Autoren beschäftigt; was treibt diese Ihrer Meinung nach derzeit besonders um?
Martin Bruch: Es gibt momentan einen Diskurs, in der „Zeit“ und anderen Zeitungen zu verfolgen, der die sogenannten Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim in den Mittelpunkt stellt. Der Tenor ist: Die Literatur junger Autoren, die dort studiert haben und jetzt Bücher veröffentlichen, sei konformistisch und brav. Produziert werde allein Stromlinienförmiges, das nach Marktregeln funktioniere. Das nehme ich nicht so wahr. Ich sehe eine breite Palette an Gegenwartsliteratur, mit sehr unterschiedlichen Erzählentwürfen, die auch in Freiburg ihr Publikum haben. Sie vorzustellen, ist eins meiner Herzensanliegen. Dabei ist es völlig egal, wo die Autoren studiert haben. Mich interessiert, wovon sie erzählen, ob von Familien- und Liebeserfahrungen, Abgründen im Alltag oder stärker aus unserer Zeit heraus, die eine verunsicherte ist. Vor allem aber interessiert mich, wie sie ihre Geschichten erzählen, welche Sprache sie dafür finden.
Kultur Joker: Welchen Schriftstellern der literarischen Tradition und Geschichte gilt Ihre Aufmerksamkeit? Haben Sie Schwerpunkte?
Martin Bruch: Ich möchte mich ungern beschränken, da wird man so festgeklopft und bekommt ein Etikett aufgeklebt. Natürlich sehe ich, wenn ich zurückschaue, mit welchen Autoren ich mich länger beschäftigt habe, einige Lyriker waren und sind darunter. Aber vielleicht sage ich lieber, worauf ich mich in nächster Zeit besonders freue. Zum Beispiel auf den neuen Band von Farhad Showghi oder den Debütroman der Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Katja Petrowskaja. Und natürlich darauf, Marie Luise Kaschnitz wieder zu lesen, am liebsten auf dem Weg nach Bollschweil ihre wunderbare „Beschreibung eines Dorfes“.
Kultur Joker: Im Jahr 2015 soll es in Freiburg endlich ein Literaturhaus geben, und zwar in zentraler Lage. Was kann dieser Ort Ihrer Meinung nach leisten und bieten?
Martin Bruch: Die Literatur würde damit auch symbolisch ins Herz der Stadt rücken. Angekommen ist sie dort längst, wie ich während meiner ersten Wochen und Veranstaltungen feststellen konnte. Das Literaturbüro erfährt einen enormen Publikumszuspruch. Auch das zeigt, dass Freiburg ein Literaturhaus braucht. Dass man sich keinen schöneren Ort wünschen kann als an einem der Knotenpunkte des städtischen Lebens – in Verbindung zum wissenschaftlichen Kontext der Universität, beim Stadttheater und unweit des Goethe-Instituts – steht außer Frage. Dieser Ort für die Literatur wäre ein offenes Haus in der Stadt, offen auch in Richtung Schweiz und Frankreich.
Kultur Joker: Sie wollen nicht nur junge Menschen für Literatur interessieren, sondern auch die Generationen ins Gespräch bringen. So starten Sie etwa das Projekt „Briefe an die Liebe“. Was verbirgt sich dahinter?
Martin Bruch: „Briefe an die Liebe“ ist ein Projekt, das Studierende und Senioren innerhalb eines Schreibworkshops in Kontakt miteinander bringt. An der Universität findet im Sommersemester ein Seminar zu Liebeskonzeptionen in der deutschsprachigen Literatur vom 18. Jahrhundert bis heute statt. Die Studierenden haben die Möglichkeit, sich neben der wissenschaftlichen Auseinandersetzung auf ein schreibpraktisches Experiment einzulassen.
Innerhalb eines Workshops kommen Senioren und Studierende zusammen, angeleitet wird er von den Schriftstellern Annette Pehnt und Martin Gülich. Über mehrere Termine hinweg entstehen Texte zum Thema Liebe, literarische, biografische, spielerische, und zwar im Austausch miteinander. Hierbei hilft die Form des Briefes, denn Briefe sind nichts Abgehobenes, sondern ein fester Bestandteil unseres Alltags, ob digital oder auf Papier. Wie man unterschiedliche Altersgruppen anspricht und für Literatur interessiert, ist natürlich auch ganz allgemein eine Frage, die uns im Literaturbüro stark beschäftigt.
Kultur Joker: Sie haben Ihren Zivildienst in der Gedenkstätte Theresienstadt absolviert. Bleibt für Sie die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ein wichtiges Thema der Literatur?
Martin Bruch: Das ist für mich persönlich ein wichtiges Thema, aber auch gesellschaftlich und damit für die Literatur ohnehin. Während meines Jahres in der pädagogischen Abteilung der Gedenkstätte Theresienstadt habe ich mich intensiv mit der Geschichte dieses Ortes auseinander gesetzt und denke, da geht es um Ereignisse, die uns auch in literarischer Form immer wieder begegnen und begegnen werden. Jede Generation findet ihre eigenen Zugänge – nehmen Sie zum Beispiel die Groteske „Die Teufelswerkstatt“ des tschechischen Gegenwartsautors Jachym Topol.
Kultur Joker: Welche Rolle wird für Sie möglicherweise Freiburgs Lage im Dreiländereck spielen, der Blick in die Schweiz und nach Frankreich?
Martin Bruch: Darin liegt auch begründet, warum Freiburg als Ort so besonders reizvoll ist. Schon in den ersten Wochen hier merke ich natürlich, es besteht ein bestimmtes Klima, das mit der geographischen Lage zusammenhängt, mit den Menschen und damit, dass man sich in den Zug setzen und in kürzester Zeit die Grenzen hinter sich lassen kann. Diesen Austausch gilt es zu nutzen und zu stärken, gerade für einen Ort der Literatur. Das Dreiländereck bietet dafür eine Fülle an Kooperationsmöglichkeiten.
Kultur Joker: Worin besteht für Sie das Potential der Literatur, das keine andere künstlerische Gattung auf diese Weise erfüllen kann?
Martin Bruch: Ich denke, dass die Künste keine voneinander abgetrennten Bereiche sind, sondern immer wieder ineinander spielen. Jede der Künste hat ihre eigene Berechtigung. Worin besteht das Besondere der Literatur? Darin, dass sie in Form von Schrift auftritt und damit einen anderen Zugang zur Wirklichkeit, eine andere Wahrnehmung ermöglicht; lesen entschleunigt das Leben und beschleunigt die Gedanken, den Möglichkeitssinn. Aber Ihre Frage ist ja eigentlich eine ziemlich persönliche und geht an alle Leser und jeden einzelnen. Womöglich wird sie jeder für sich, im Stillen und mit jedem Buch neu und anders beantworten.
Kultur Joker: Herr Bruch, wir bedanken uns für das Gespräch.