„Du (Normen)“ von Philipp Löhle im Wallgraben-Theater
Schnelles Erzähl-Pingpong
Der Protagonist aus Philipp Löhles Komödie „Du (Normen)“ ist ein abgebrühter Abzocker, seinen Weg pflastern Gier, Erpressung und Gewalt. Das Wallgraben-Ensemble überzeugt, doch als Systemkritik bietet das Stück wenig Neues.
Der großgemusterte Blumenvorhang über wiesengrünem Bodenbelag zieht sich über die gesamte Wallgraben-Bühne und suggeriert bürgerlich aufgeräumte Heiterkeit. Fast zärtlich beschreibt eine Frauenstimme aus dem Off die letzten Minuten vor dem Selbstmord jenes Mannes, der sich da grade mit Tabletten vollgestopft in die Badewanne gleiten lässt.
Das vermeintliche Ende steht hier am Anfang, die Geschichte des skrupellosen Abzockers aus Philipp Löhles 2013 im Nationaltheater Mannheim uraufgeführter und 2014 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominierter Komödie „Du (Normen)“ scheint also nicht gut auszugehen.
Einer wie Du und ich ist dieser Normen, daran lässt der 1978 in Ravensburg geborene Löhle keinen Zweifel, weswegen Regisseur Benjamin Hille seine vier Erzähler jetzt auch chorisch und in schnell geschnittenem Erzähl-Pingpong durch die Evolution sausen lässt: Ursuppe, Aminosäuren, Säugetiere, Ackerbau, Schrift und Revolutionen – bis schließlich jener Normen bei einem lieblosen Fick zwischen Stewardess und Passagier in einer Flugzeugtoilette gezeugt wird und wenig später im Spot seinen Kopf durch den Vorhang streckt.
Mama ist entzückt, Lebensgefährte Lutz weniger, wird er doch den Verdacht nicht los, mit diesem „Ding“ einen Kuckuck im Nest zu haben. Und richtig, Normen weigert sich ihn Papa zu nennen und beißt den doofen Lutz schon mal ins Bein.
Hille, der am Haus letztes Jahr „Stück Plastik“ furios inszenierte und nach „Wir sind keine Barbaren!“ nun das zweite Löhle-Stück auf die Wallgraben-Bühne bringt, setzt auf Wortwitz und Tempo.
Spielfreudig und wandelbar schlüpfen Elisabeth Kreßler, Katharina Rauenbusch, Thomas Tiberius Meikl und Stefan Müller-Doriat dabei blitzschnell in immer neue Rollen. Wobei – facettenreich sind ihre Figuren nicht, sondern lediglich Karikaturen, holzschnittartige Abziehbilder. Im Schnelldurchlauf werden so prägende Episoden aus Normens Kindheit und Jugend ohne jede Requisite, dafür mit dokumentarisch-spöttischer Distanz von den wechselnden Erzählern angespielt: Mal geht es um eine Schulhof-Prügelei, mal um den ersten Schwarm.
Normen bleibt dabei Laborkaninchen, Matthias Wagner gibt ihn mit schillernder Präsenz: Der 1983 in Dresden geborene Schauspieler ist eine Wucht mit viel komödiantischem Talent.
Kurzweilig bis grotesk schnurrt diese Farce dahin, Normens Erfahrungen mit Ungerechtigkeit, Enttäuschung und Zorn bleiben dabei austauschbar. Mit dem Studium seiner Figur führt Löhle seine bis dahin aufwendig angelegte Jedermann-Biografie dann ad absurdum, in dem er seinen Helden in Windeseile zum skrupellosen Arschloch mutieren lässt: Fressen und Gefressen werden, so ist das Leben, also wird Normen Löwe und verschachert seine Freunde für Medikamententests, baut eine Billig-Klamottenkette auf und setzt auf individuelle Gewinnmaximierung. Ein Kapitalistenschwein, das über Leichen geht.
Wobei Löhle hier den Bogen bis zum Showdown mit Firmenorgie und Tochter-Entführung mächtig überspannt: Normen ist nicht nur sexgeil, sondern pädophil, sein bester Freund wird durch seine Schuld ein sabberndes Bündel im Rollstuhl (beeindruckend: Thomas Tiberius Meikl als Benni), seinen Weg pflastern Gier, Erpressung und Gewalt. Verrohrung pur, die laut Löhles Stück jedem passieren könnte. Tut sie aber nicht, deswegen fehlen auch Erklärungsansätze.
So bleibt diese unterhaltsame Systemkritik ebenso plakativ wie zahnlos, wird hier doch nichts verhandelt, was nicht schon zur Genüge bekannt wäre. Fazit: Großartige Ensembleleistung – schwaches Stück.
Marion Klötzer
Weitere Vorstellungen bis zum 4. März, www.wallgraben-theater.com