Kunst

Die Seefahrt als Spiegel der Gesellschaft

Unbekannter Künstler: „Die Taucherglocke von Charles
Spalding 1738-1783“, um 1815, Kupferstich, Privatsammlung
Foto: Leo Konopizky, München

Ein hingebungsvoller Kuss, mitten in den Wellen. Doch das eng umschlungene Paar auf dem Gemälde ist nicht ganz menschlich… „Sirene (Triton und Nereide)“ nannte der Maler Max Klinger 1895 seine Schöpfung. Das Bild, eine Leihgabe aus dem Palazzo Pitti in Florenz, hängt genau im Blickfeld, wenn man das Museum LA8 in Baden-Baden betritt. Es vermittelt gleich auf den ersten Blick das Thema der Ausstellung: „Schön und gefährlich: Die hohe See im 19. Jahrhundert“. Schon in der Antike, sagt Museumsdirektor Matthias Winzen, war das Meer zum einen ein Spiegel der Gesellschaft, zum anderen auch eine gern genutzte Möglichkeit, unliebsame Mitbürger zu entsorgen.
Im 19. Jahrhundert kam eine ganze Reihe bahnbrechender neuer Techniken hinzu, die auch die Seefahrt revolutionierten. Es steckt oft mehr hinter den Exponaten als man zunächst denkt. Deshalb trifft man im Erdgeschoss nicht nur auf leidenschaftlich küssende Fabelwesen, sondern auch auf eine große, eiserne Boje und das Skelett eines Entenwals. Die Zusammenstellung mutet skurril an, aber im 19. Jahrhundert trifft die oft sehr romantisch denkende Kunst mit den Gemälden vom Meer in Mondschein oder dramatischen Schiffbrüchen auf eine in der Realität ganz kommerzielle Nutzung der Meere. Nicht umsonst ist das LA8 ein Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts.
Das Walskelett erinnert nicht nur an Melvilles Erzählung von Moby Dick und Kapitän Ahab. Dahinter steht die Walfangindustrie, die im 19. Jahrhundert die Meeressäuger in großem Stil abgeschlachtet und verwertet hat. Die Harpunen und die Grafiken an der Wand lassen erahnen, wie grausam der Walfang betrieben wurde. Überhaupt war die Seefahrt ein hartes Geschäft voller Gefahren. Ein großes Modell der „Titanic“ zeigt die ganze Ambivalenz der Beziehung des Menschen zum Meer. Sie war das modernste Schiff ihrer Zeit, der Kapitän sollte für die stolze Reederei bei der Jungfernfahrt nach New York auch gleich das blaue Band für die schnellste Überquerung des Atlantik erobern. Der Ausgang ist bekannt. Thematisch passend hängt daneben eine Wiedergabe vom „Floß der Medusa“. Auch hier war ein Schiffsunglück der Anlass für eine menschliche Tragödie, die wiederum Künstler inspiriert hat.
Eine Reihe von Kapitänsbildern zeigt die schönen, schnellen Segel- und Dampfschiffe des 19. Jahrhunderts, meist im Profil. Es war ein eigener Geschäftszweig von Künstlern, die für Kapitäne und Offiziere das im Hafen liegende Schiff porträtierten. Wenige Meter weiter finden sich zahlreiche gemalte, gezeichnete und überlieferte Zeugnisse von Schiffbrüchen und Rettungsaktionen. Das Meer war und ist schön und gefährlich. Und verlockend. Im 19. Jahrhundert begann die Erforschung entlegener Regionen wie der Arktis. Oft gingen die Expeditionen schief und man musste das festgefrorene Schiff verlassen, wie es eine Fotoserie anschaulich dokumentiert. Oder man fand Monster, also seltsam anmutende Meeresbewohner, die bis heute in großen Gläsern konserviert sind.
Ganz besonders Mutige betrieben die ersten U-Boote aus Eisen, was selten gut ging. Oder stiegen in die ersten Taucherglocken und Tauchanzüge. Wieviel Mut dazu gehörte, lässt sich beim Anblick der ausgestellten Kreeftschen Tauchmaschine leicht vorstellen. Sauerstoff wurde über lange offene Kabel in die Glocken, Maschinen und Anzüge geleitet, was zeitgenössische Grafiken anschaulich zeigen. Die Ideen, die Jules Verne in seinem Roman „Kapitän Nemo“ verarbeitete, sind in der Ausstellung schön zu sehen. Und vieles wirkt überraschend modern, zum Beispiel die Tiefseekabel, die bereits im 19. Jahrhundert verlegt wurden. „Schön und gefährlich“ ist das ganze Jahr hindurch zu sehen, im Rahmen der jeweils aktuellen Coronabestimmungen.

„Schön und gefährlich: Die hohe See im 19. Jahrhundert“, Museum LA8, Lichtentaler Allee 8, 76530 Baden-Baden, Di-So 11-18 Uhr. Bis Jahresende 2021
Infos: www.museum.la8.de

Bildquellen

  • Unbekannter Künstler: „Die Taucherglocke von Charles Spalding 1738-1783“, um 1815, Kupferstich, Privatsammlung: Foto: Leo Konopizky, München
  • Hans Thoma 1839 bis 1924, Meereserwachen Nereide Seeweib, 1897 1912, Öl auf Aludruckplatte, Hans-Thoma-Museum, Bernau: Foto: Dieter Conrads