Die Macht des geschriebenen Wortes: Literatur von, mit und über Frauen
Zu welchem Zeitpunkt die erste literarische Schrift einer Frau öffentlich zugänglich war, ist bis heute nicht wirklich geklärt. Das weibliche Schreiben ist bis dato ein dunkler Fleck unserer Geschichte – im sogenannten christlich geprägten Westen haben Frauen viele Jahrhunderte geschrieben, heimlich. Ihre Namen vergraben im Schatten dessen, was patriarchale Strukturen, dominiert von misogynen Weltanschauungen, eine gottgegebene Gesellschaftsstruktur nannten. Zum Teil noch heute nennen.
Da gibt es Enheduanna, die im 23. Jahrhundert vor Christus En-Priesterin der Stadt Ur war und zugleich Königstochter Sargons. Sie lebte im Kulturraum Mesopotamiens, ein Reich, das sich zwischen dem heutigen Irak, den angrenzenden nordsyrischen Regionen, der südöstlichen Türkei und dem westlichen Iran erstreckte. Hier haben sich vor über 10.000 Jahren Menschen sesshaft gemacht, Viehzucht und Ackerbau betrieben. Vor knapp 5000 Jahren entstanden hier bereits Gesellschaftsstrukturen, die erste bürokratische Züge besaßen und Schriften nutzten. In diesem pulsierenden Kulturraum entstanden auch die ersten Schriften Enheduannas, die sogenannten Tempelhymnen, in denen sie den unnahbaren Gottheiten menschliche Züge verlieh – sie lieben, kämpfen und leiden ließ. Im Nin-me-šara (Ninmeschara) schrieb sie ein Preislied auf die Göttin Inanna. Ein Text, dessen Inhalte heute staunen lassen würden, denn die Göttin übertritt die Grenzen des Geschlechts, vereint in ihrer Gefolgschaft Eunuchen, Trans*Menschen ebenso wie Prostituierte. In ihrem Lobgesang setzt Enheduanna die Göttin Inanna an die Spitze des Pantheons – eine erste politische Brandschrift. Heute, im 21. Jahrhundert nach Christus, müssen Frauen weltweit erneut für ihre Stimme kämpfen. Im politischen wie literarischen Kanon. Folgend stellen wir zwei Veröffentlichungen von, mit und über Frauen vor, die nicht nur zum Weltfrauentag im März eine lohnenswerte Lektüre sind.
„Auf die demokratisch
gewählten Frauen.
Dass wir sie kennen.
Dass wir sie sind.
Dass wir sie großziehen.“
(Einführung „Starke Frauen, starke Stimmen“)
Starke Frauen, starke Stimmen
70 Porträts wahrlich außergewöhnlicher Frauen finden sich in Ros Balls Werk „Starke Frauen, starke Stimmen“ (Frederking & Thaler, 2024). Es ist eine Reise durch die Geschichte, die auch einen Blick auf unsere Gegenwart wirft. Es sind Portäts 70 politischer Pionierinnen, verteilt über den gesamten Globus und doch eint sie ein ähnlicher Weg: das Durchbrechen der sogenannten gläsernen Decke. Jener unsichtbaren doch strukturellen Hürde, vor der hochausgebildete Frauen zumeist mit Anfang 30 stehen: der Blick an die Spitze der Karriereleiter ist gestattet, der Weg jedoch versperrt. Strukturen, darunter marode und längst verstaubte Familienpolitik, verhindern den Aufstieg von Frauen bis heute – ja, trotz Quote. Ros Ball zeichnet die Lebenswege jener Frauen nach, die diese gläserne Decke durchbrachen, Pionierinnen und Kämpferinnen für und mit Frauen. – Um welchen Preis? Das sei hier nicht verraten. Eine feministische Geschichts- und Zeitreise, beginnend mit Sirimavo Bandaranaike, die 1960 als erste demokratisch gewählte Frau weltweit Premierministerin Sri Lankas (damals noch Ceylon) wurde. Weiter zu Ellen Johnson Sirleaf, die erste demokratisch gewählte Frau eines afrikanischen Staates, die 2005 zur Präsidentin von Liberia benannt wurde. Bis zu Pərixanım Sofiyeva, 1884 geboren in einem Dorf in Georgien, die eine Mauser-Pistole bei sich trug, Wasserpfeife rauchte und sich schnell im Dorf zu einer maßgeblichen Entscheiderin entwickelte. Nach dem Fall des russischen Zarenreiches 1918 erklärte sich Georgien zur unabhängigen und demokratischen Republik, die so nur drei Jahre existieren sollte, später aber maßgeblich die soziale Demokratie beeinflusste. Es fanden Wahlen statt, Männer und Frauen durften daran teilnehmen, eine Verfassung wurde niedergeschrieben, in der Antidiskriminierungsgesetze für ethische und religiöse Minderheiten sowie Frauenrechte verankert wurden. 1919 wählten die Georgier insgesamt fünf Frauen ins Parlament – eine Premiere für die Welt. Pərixanım Sofiyeva gewann auf kommunaler Ebene als womöglich erste Frau der muslimischen Welt. Neben diesen wahrlich herausstechenden Biografien sind es nicht zuletzt auch die liebevollen Illustrationen von Emmy Lupin, die „Starke Frauen, starke Stimmen“ zu einem wunderbaren Geschenk machen – für Jugendliche und Erwachsene.
Nein, ich bin keine Feministin
Vom jungfräulichen Engel zum bösen Buben – der Lebensweg der Rachilde ist der einer Feministin und zugleich veröffentlicht die femme de lettres 1927 in der Reihe „Pourquoi je ne suis pas …“ den Auftragsessay „Pourquoi je ne suis pas féministe“, der 2024 erstmals im Flur Verlag von Alexandra Beilharz ins Deutsche übersetzt wurde. Rachilde ist keine Feministin, vielmehr ist sie das, was man zuweilen Misanthropin nennen könnte. Gerädert vom engen Korsett einer Gesellschaft im Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts, aufgewachsen in einer gläubigen und wohlhabenden Familie, war Rachildes Weg vorbestimmt: Heirat oder Kloster. Papperlapapp, stattdessen kapselt sich die Künstlerin von ihrer Familie ab, geht in das pulsierende Paris der 1920er Jahre. Das Korsett der patriarchalen Strukturen abschüttelnd, sieht man Rachilde nun zumeist in Hosen laufen – das mag heute nicht mehr allzu verwunderlich klingen, doch war damals noch per napoleonisches Dekret für Frauen verboten. So musste Frau sich für die Hose beim Polizeipräsidenten eine Erlaubnis einholen. In Rachildes Werk streift sie immer wieder die Kunst der Travestie, schreibt über Trans*Menschen und könnte zuweilen als Dandy in Zeiten der Décadence de Fin bezeichnet werden. Ihr Essay „Nein, ich bin keine Feministin“ steckt so voller Wortwitz, Augenzwinkern und schillernden Seitenhieben, dass man zuweilen lachen möchte, stellt man sich nur vor, wie einige ihrer Zeitgenossen mit tiefer Zufriedenheit diesen Text gelesen haben müssen – den Schalk dahinter nicht verstehend. Rachilde ist kein Fan des Fortschritts, weniger noch der Menschen und meint auch nicht, dass Frauen über Männer herrschen sollten. Sie sind gleichermaßen einsinnig, insbesondere, so die Schreiberin, die Amerikanerinnen, die in ihrer Einfältigkeit „libertine und libertaire“ nicht zu unterscheiden wissen. Ein literarischer Schatz, der endlich auch in Deutsch zu lesen ist. Klare Empfehlung!
Bildquellen
- Starke Frauen, starke Stimmen: Copyright: frederking und thaler
- Nein, ich bin keine Feministin: Copyright: Flur Verlag