Die Jungfrau als Metapher
Das Junge Theater Basel zeigt „Johanna von Orléans“ nach Friedrich Schiller
Es gibt sie noch die großen Erzählungen, raunt eine warm klingende Stimme aus dem Off und fordert auf, die Geschichte von jener zu erzählen, die etwas verändern wollte. Ihr Ruf geht an die fünf jungen Darsteller Marin Blülle, Mattia Meier, Vanessa Ries sowie Florence Ruckstuhl und Tino Zihlmann. Die Geschichte, die sie zusammen mit Cathrin Störmer vom Schauspielensemble des Theater Basels erzählen werden, ist die der Johanna von Orléans, Schillers heiliger Jungfrau.
Ein ambitioniertes Unterfangen, gerade für das Junge Theater Basel. Denn was sollte dieses Mädchen, das mit 17 Jahren die Stimme der Gottesmutter hört und in den Krieg zieht, um Karl VII. die Krone von Frankreich zu sichern und die Engländer zu vertreiben, mit Jugendlichen von heute gemeinsam haben. „2013 ist Jungfrau eine Metapher“, stöhnt Cathrin Störmer auf, als die junge Johanna-Darstellerin (Florence Ruckstuhl) umständlich von ihrem ersten Sex auf der Toilette eines Lokals erzählen will, um sich aus der Verantwortung dieser Berufung zu ziehen. Es braucht die Übersetzungsarbeit, um die Geschichte aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, als Frankreich gänzlich zu zerfallen drohte, in die Gegenwart zu übertragen.
Béatrice Goetz und Patrick Cusset haben es dennoch getan. In der Kleinen Bühne des Theater Basel ragt ein grüner Laufsteg ins Publikum, die eigentliche Bühne ist noch durch einen Vorhang verdeckt. Später wird auf ihr ein golden strahlender Scheiterhaufen zu sehen sein, der als eine Art Podest fungiert, vor allem aber den Tod Johanna von Orléans vergegenwärtigt (Bühne: Marion Menziger). Die fünf Darsteller tragen goldfarbene Kostüme (Bernhard Duss) und auf den Vorhang zeichnen sie Truppenbewegungen, streichen die Krone aus, dass die Kreide nur so staubt. Eine von ihnen hält eine Videokamera darauf, die die Aufnahmen auf einen Bildschirmturm überträgt.
In der Inszenierung von Goetz und Cusset kommen Schauspiel, Gesang und Tanz zusammen. Mitunter sieht diese Verbindung etwas nach Selbstzweck aus, aber wenn Marin Blülle, Mattia Meier und Tino Zihlmann die verlassenen Schafe Johannas geben und sich Tiermasken vor das Gesicht halten und später zu rappen beginnen, merkt man, dass das Theater sich nur ein wenig theatralischer geben muss, um für ein junges Publikum interessant zu werden. Diese Basler „Johanna von Orléans“ hat auf den ersten Blick nur wenig mit Schiller zu tun. Man hört viel Jugendsprache, doch das szenische Gerüst des Dramas ist stehen geblieben und auch an der Ernsthaftigkeit, mit der hier eine Figur behandelt wird, die offensichtlich anders ist als ihre Mitstreiter oder diejenigen, die sie hinter sich gelassen hat. Und diese Andersartigkeit ist es auch, an der Beatrice Goetz und Patrick Cusset ansetzen und mit der sie die Jugendlichen packen wollen.
Manches an dieser Inszenierung hinterlässt den Eindruck von Mätzchen, etwa wenn Mattia Meier als Karl VII. durch einen Kühlschrank abgeht oder Cathrin Störmer einen Hirsch reitet, der vom Schnürboden heruntergelassen wird (warum eigentlich?). Doch die Autonomie, mit der Johanna sich gegen die Fragen nach der Stimme im Verhör verwehrt, ihr protokollarisch verbürgtes „Das gehört nicht zu Eurem Prozess“, berührt noch immer. Und so ist diese Johanna doch ein Beispiel, wie man Theater mit Jugendlichen machen kann, das nicht nur bei Jugendlichen ankommt.
Weitere Vorstellung: 2. Dezember Kleines Theater Basel, 20 Uhr.
Annette Hoffmann