Die East Side Gallery Berlin feiert 30 Jahre und enthüllt ein Original
Auf über 1,3 Kilometern erstreckt sich zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke quer durch Friedrichshain die wohl größte Open-Air-Galerie der Welt. In einem scheinbar niemals schlafenden Berlin, das gefühlt täglich Neues, Wildes und absolut Cooles aus dem Underground ausspuckt, steht die East Side Gallery wie ein bunter monumentaler Koloss. Es ist ein historisches Denkmal, das zum Verweilen einlädt und zugleich ein Mahnmal deutscher Geschichte, ja auch deutscher Flüchtlingspolitik- und Historie ist.
Nach dem Fall der Berliner Mauer waren es Künstler*innen aus Ost- und Westdeutschland, die bereits wenige Tage später die Ostseite der Berliner Mauer bemalten. Beinahe sofort überstrichen DDR-Grenzsoldaten die Kunstwerke am Potsdamer Platz und regten die Künstler*innen David Monty und Heike Stephan dazu an, eine Idee auszubrüten, die damals erst für unmöglich gehalten wurde und noch heute mehr als 4 Millionen Besucher*innen nach Berlin lockt. Nach einigen Gesprächen mit dem Ministerium für Nationale Verteidigung der DDR, wurde das Projekt East-Side-Gallery offiziell im Auftrag des DDR-Ministerrates ins Leben gerufen.
Im Frühjahr 1990 folgten 118 internationale Künstler*innen dem Aufruf nach Berlin und verewigten sich auf dem längsten noch erhaltenen Teilstück der Berliner Mauer. Die künstlerischen Kommentare zeigen in einer vielfältigen Ausdrucksweise den internationalen Wunsch nach Freiheit, nach einer gemeinsamen friedvollen Politik über nationale Grenzen hinweg und die Freude darüber, dass der Kalte Krieg ein symbolisches Ende durch die Wiedervereinigung einer geteilten Stadt gefunden hat.
Der Verein Künstlerinitiative East Side Gallery, gegründet 1996, kümmert sich um den Erhalt der Kunstwerke, die in den vergangenen 30 Jahren bereits zwei Mal saniert wurden. Zuletzt unter lautstarken Protesten einiger Künstler*innen, die darauf hinwiesen, dass die Vergütung zur Sanierung (3000 Euro pro Künstler*in) in einem ungleichen Verhältnis zur bereitgestellten Summe der Lottostiftung Berlin über eine Millionen Euro gestanden hätte. Außerdem klagten Künstler*innen wie Jim Avignon darüber, dass von diesem Kunstprojekt in den vergangenen Jahren hauptsächlich andere finanziell profitiert hätten, beispielsweise über Print-Publikationen der Kunstwerke. Im Rahmen seines Protests übermalte Avignon sein Werk auf der Berliner Mauer mit dem Wort „moneymachine“.
Die schottische Künstlerin Margaret Hunter, Schülerin des Malers und Bilderhauers Georg Baselitz, gehörte zu den 118 Künstler*innen der East Side Gallery. Gleich zwei Werke tragen hier ihren Namen, darunter das Bild „Hands“, welches sie gemeinsam mit Peter Russell anfertigte. Heute zählt „Hands“ als Ausnahmewerk der East Side Gallery, denn es ist das einzige Original von 1990. Die Patina des Mauerbildes erzählt gewissermaßen von den Jahrzehnten eines Berliner Originals. Man muss schon ein paar Schritte zurückgehen, um das Werk noch wahrnehmen zu können. Es stellt auf beeindruckende Art und Weise dar, wie die Zeit an der East Side Gallery vorbeigestrichen ist. Vielleicht erinnert uns „Hands“ aber auch daran, dass es zwischen 1949 und 1990 über 3,8 Millionen deutsche Bürger*innen waren, die als politische Flüchtlinge mit erhobenen Händen als Zeichen des Friedens und der persönlichen Not vor einer Mauer standen. Vielleicht weckt „Hands“ in uns die Erinnerung, dass erst vor wenigen Generationen deutsche Staatsbürger*innen aus Angst vor politischer Verfolgung ihre Heimat verlassen mussten/wollten. Und eventuell besinnen wir uns wieder darauf, dass es genau diese, unsere Geschichte ist, die als Mahnmal für Mauern, monumentalen und geistigen Ursprungs, stehen sollte.
Bildquellen
- Margaret Hunter bei der Enthüllung von „Hands“, dem einzigen Original an der East Side Gallery: Mona Wunderlich
- “Hands”: Mona Wunderlich
- Bis heute ist die Rückseite der East Side Gallery eine Leinwand für Straßenkunst: Mona Wunderlich