Die Dagada Dance Company hat mit großem ästhetischem Gewinn die Liebe studiert
Wie Karolin Stächeles Tanzstück „Naked Love“ ausgesehen hätte, wäre die Premiere im Herbst nicht der Pandemie zum Opfer gefallen, darüber lässt sich nur spekulieren. Denn bereits den Proben ging eine umfangreiche Recherche zum Thema Liebe voraus. Wie liebt es sich im 21. Jahrhundert? Jenseits des so viel besungenen und vielfach in Film und Literatur dargestellten Ideals der romantischen Liebe? Queerer als noch im letzten Jahrhundert, irgendwie poly oder gilt nicht doch noch das Bekenntnis zweier Menschen zueinander als das Größte im Leben? „Naked Love“ der Dagada Dance Company jedenfalls hat sich von allen sehr konkreten Arten zu lieben, abstrahiert. Es geht hier weniger – aber manchmal eben doch um den Akt ‒, vor allem aber um die Lebensenergie. Und der Untertitel „A love circle in dance“ deutet es an, es ist mit der Zeit auch referentieller geworden. Bezieht es doch die Struktur des Kreises von Arthur Schnitzlers Drama „Der Reigen“ mit ein. Körper um Körper wird von einem zum anderen weitergereicht als wäre er nur ein weiteres Objekt im kapitalistischen Warenkreislauf. Heute ist diese Ansicht nicht mehr ganz so provokant.
In der Mitte eine kreisrunde Bühne, darüber ein blumenähnliches Objekt, das, ist es erst einmal gelöst, sich als ein Vorhang von Schnüren erweist, die etwas sehr Sinnliches und Zärtliches an sich haben und die eine offene Grenze markieren (Bühne: Sönke Ober). Christian Leveque, Marco Rizzi, Jonathan Sanchez sowie Olivia Grassot und Simone Elliott wiegen sich hin und her. Noch tragen sie hautfarbene Trikots und Bodysuits mit tiefem Rückendekolleté, dazu Socken, ihre Bewegungen haben durch die gestreckten Beine etwas von Ballett. Der Oberkörper bleibt starr, während die fünf Tänzerinnen und Tänzer die Beine kreuzen. Karolin Stächeles Choreografie spielt alle denkbaren Arten durch. Ihr Thema erlaubt eine bunte Durchmischung, es erlaubt aber vom Solo hin zum Duo, Trio oder der Gruppe auch sämtliche Formierungen. Es gibt Männer im Fell, Frauen in Strumpfhosen, Männer in schwarzen Pyjamaoberteilen, mal ganz nackt. Es pulsiert und pumpt, es wird stolziert und umarmt, mal ballt sich die Compagnie zu einem Laokoon-Haufen. Was zählt, ist die Hingabe.
Die Zeit, die es dauerte bis „Naked Love“ nun endlich vor Publikum gezeigt werden konnte, hat dem Tanzstück keineswegs geschadet. Es ist eine reife Leistung geworden, und ist dabei weder voyeuristisch noch banal. Karolin Stächele zeigt auf sehr sehenswerte Weise mit ihrer Dagada Dance Company ein ganzes Spektrum von Bewegungen, die Nähe und Intimität vorstellen. Die Musik Paul Tinsleys treibt einen weiter, mitunter wird Text eingesprochen. Es wird umarmt, geküsst, die Paare wechseln, man sieht dynamische und zugleich weiche, dazwischen stoßende Bewegungen. Es würde schwerfallen, die einzelnen Episoden den verschiedenen Spielarten von Sexualität und Liebe zuzuordnen. Und das braucht es auch nicht, alle und alles ist hier in Bewegung und Teil einer großen Lebensenergie.
Bildquellen
- Die Dagada Dance Company in „Naked Love“: Foto: Jennifer Rohrbacher