Kunst

Die bleibende Hinterlassenschaft der Nordmänner: Die umfassende Schau „Die Nomannen“ in den Reiss-Engelhorn-Museen

Lewis Chessmen: Wächterfigur. National Museum of Scotland, Edinburgh. Ende 12. Jh. Walrosszahn. H: 9,8 cm
© National Museums Scotland

Schwerter, Helme, Axtklingen, Holzschilde mit Metallbeschlägen, steinerne Reste einst äußerst wehrhafter Festungen: die Normannen haben Bleibendes hinterlassen. Einen bleibenden Eindruck sowieso, den die vielen Zitate von Zeitzeugen beschreiben. Nicht alles, was man in der großen Ausstellung „Die Normannen“ der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim liest, ist schmeichelhaft, aber die ausgewählten Zitate sind immer sehr erhellend. Sozusagen die Chilischoten in einer bemerkenswert umfassenden Schau, die mit rund 300 internationalen Exponaten einen weiten Bogen schlägt von den berüchtigten Wikingern im frühen Mittelalter zu den Gründungen von Fürstentümern, die sich bis in den Mittelmeerraum ausdehnten.
Viele Fundstücke zeigen den Radius, den die Raubzüge, aber auch Handelsfahrten der Wikinger umfassten. Bis weit hinein in den Osten, wo sie gemeinsam mit anderen Völkern die Kiewer Rus gründeten. Nordwärts, es gab Siedlungsversuche in Grönland und vermutlich waren die Wikinger sogar die ersten Europäer, die Nordamerika erreichten. Vor allem aber nach Mittel- und Südeuropa, wo es viel zu holen gab. Münzen aus ganz Europa, Arabien und Nordafrika bezeugen, wie erfolgreich die Nordmänner = Normannen waren. Im Handel mit Pelzen, Bernstein, aber auch Menschen, die sie auf ihren Raubzügen gefangen nahmen und als Sklaven verkauften. Sie waren auf ihren hochsee- wie flusstauglichen Drachenschiffen sehr mobil, und offenbar auch anpassungsfähig, wenn notwendig.

Christianisierung und der Aufbau neuer Herrschaftsbereiche gingen Hand in Hand. Besonders schön sieht man das im Bereich der Normandie. Fotowände zeigen die Festungen, Kirchen und Klöster, die von den neuen normannischen Herzögen gegründet wurden. Kapitelle und Skulpturen künden von eindrucksvoller Handwerkskunst, in einem Mix aus verschiedenen Stilen und Traditionen. Erfrischend übersichtlich sind die dynastischen Verflechtungen dargestellt, und man erfährt auch einiges über die Frauen der Normannen. Das wichtigste Ereignis war die Inbesitznahme Englands durch die Schlacht bei Hastings 1066. Dank des in unzähligen Stunden detailgenau nachgestickten Wandteppichs von Bayeux und des Films über diese Schlacht verrät die Ausstellung, warum es so kam. Das Domesday Book und Zeitzeugenberichte vermitteln einen Eindruck davon, wie es den Eroberten ging und wie die Normannen ihre Herrschaft finanzierten.
In ausgesprochen unterhaltsamen Zeichentrick-Kurzfilmen und Cartoons werden einzelne Charaktere vorgestellt wie Harald Hardrade. Dessen wildbewegtes Leben war recht typisch für einen Normannen: aufgrund von Erbstreitigkeiten (Kronen wurden blutig erkämpft) musste er ins Exil ausweichen, wurde Söldner im Dienste von Byzanz, führte Kriegszüge in Süditalien, wurde reich, konnte die Tochter des Fürsten in Kiew heiraten, sich doch noch die norwegische Krone aufsetzen – und dann verlor er sein Leben beim Versuch, England zu erobern. Die Byzantiner, die letzten Erben des antiken römischen Imperiums, sahen die Söldner aus dem Norden mit einer Mischung aus Faszination und Grausen.

Sogenannter Mantel Karls des Großen. Grundgewebe: Seide, Seiden- und Goldstickerei; Schild und Stab: Seiden- und Metallstickerei; H: 142 cm B: 304 cm; Mantel: Anfang 13. Jh., Schild und Stab: 16. Jh.

Das änderte nichts am Erfolg der Nordmannen, die jedes Machtvakuum erkannten und zu nutzen wussten. In Süditalien gründeten sie Fürstentümer, das größte und spannendste war Sizilien, das sie ab 1130 beherrschten. Sie waren klug genug, alle Teile der Bevölkerung, auch die arabischen und jüdischen, in ihren Hofstaat und die Verwaltung einzubeziehen. Wissenschaft und Kunst erreichten eine Hochblüte. Zu den glanzvollsten Ausstellungsstücken gehört der Krönungsmantel von Friedrich II., dem Sohn der normannischen Erbin von Sizilien und des deutschen Kaisers.
Neben den Filmen und Cartoon-Tafeln sorgen Mitmach-Stationen dafür, dass auch Kinder Spaß an dem opulenten Streifzug durch die Geschichte der Normannen haben. Zum Anfassen und Anprobieren gibt es eine normannische Krieger-Montur mit Kettenhemd und Schild Den einzigen Schwachpunkt stellen die Beschriftungen an den Vitrinen dar, die so tief angebracht sind, dass man sich in gebückter Haltung von Pfeilspitzen zu Schachfiguren bewegt. Die kleine Schrift wirkt auch nicht gerade lesefreundlich. Davon abgesehen sind „Die Normannen“ ausgesprochen lohnend.

„Die Normannen“, Reiss-Engelhorn-Museen, Museum Zeughaus C5, 68159 Mannheim, Di-So 11-18 Uhr. www.rem-mannheim.de. Bis 26.2.2023

Bildquellen

  • Lewis Chessmen: Wächterfigur. National Museum of Scotland, Edinburgh. Ende 12. Jh. Walrosszahn. H: 9,8 cm: © National Museums Scotland
  • Sogenannter Mantel Karls des Großen. Grundgewebe: Seide, Seiden- und Goldstickerei; Schild und Stab: Seiden- und Metallstickerei; H: 142 cm B: 304 cm; Mantel: Anfang 13. Jh., Schild und Stab: 16. Jh.: © Conseil de fabrique de la cathédrale de Metz, Trésor de la Cathédrale Saint-Etienne de Metz; photo: Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Jean Christen