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Die Biennale für Freiburg 2 geht auf die Straße

Die Biennale für Freiburg (kurz: BfF) ist eine neue Plattform für die Präsentation und Vermittlung zeitgenössischer Kunst in Freiburg. Im Sommer 2023, vom 16. Juni bis 30. Juli, findet die Ausstellung zum zweiten Mal statt. Schon im Februar startet das Rahmenprogramm der Biennale mit einer thematischen Filmreihe, die in Kooperation mit dem aka-Filmclub organisiert wird.

Kunst im Kontakt mit der Stadt
„Wir verstehen die Biennale als Einladung an die Stadt, gemeinsam Neues zu entdecken: wie verändert sich der Blick, wenn ein Dialog zwischen lokalen Perspektiven und solchen von außen angestoßen wird?“, so die Künstlerische Leiterin, Paula Kommoss und die Assistentin der Biennale, Valentina Ehnimb. Ein Schwerpunkt der Ausstellung sind Neuproduktionen. Viele junge Künstler*innen werden zum ersten Mal auf einer Biennale in Deutschland gezeigt. In engem Austausch mit den eingeladenen Künstler*innen und lokalen Akteur*innen werden eigens für die Biennale neue Formate und Kunstwerke entwickelt, die explizite Bezüge zur Stadt herstellen und sie als Experimentierfeld begreifen: Sie zeigen Verdecktes auf, provozieren unerwartete Erfahrungen und schaffen Momente des Austauschs und des Kontakts.
In der zweiten Ausgabe der Biennale stehen unterschiedliche Funktionsweisen, Machtverhältnisse und Bedeutungsschichten des urbanen Raums im Mittelpunkt. Kommoss erläutert: „Die Straße als paradigmatischer öffentlicher Raum, als Thema und Wirkungsort von Kunst ist für uns eine wichtige thematische Leitlinie.“ Ehnimb führt fort: „Gerade während der Corona-Zeit, auch angesichts der Bilder leerer Straßen in großen Städten, ist es deutlich geworden, was für ein wichtiger Begegnungsort die Straße ist.“ Kommoss ergänzt: „Zugleich ist die Straße ein zentraler Ort für öffentlichen Protest, zivilen Ungehorsam und auch Repression – wie wir gerade im Iran erleben. Wie untersucht und aktiviert Kunst diesen Raum?“ Schon im Verlaufe des Frühlings wird die Biennale in der Stadt sichtbar werden und lädt zu einem reichhaltigen Programm an Interventionen und partizipativen Formaten ein, die in einer großen Gruppenausstellung im Sommer ihren Höhepunkt finden.
Bespielt werden wie 2021 der Kunstverein Freiburg und der Schau-Raum des Museums für Neue Kunst. Auch Off-Spaces kooperieren mit der Biennale; darunter zum ersten Mal das gvbk (der zweite Standort des Delphi Space am Hauptbahnhof) oder die Kaiserwache. Die Kunst wird außerdem ausgewählte Orte und Plätze im öffentlichen Raum Freiburgs besetzen. Hier sollen vor allem Orte hinzukommen, die aufschlussreiche Bezüge zur jüngeren Geschichte Freiburgs herstellen.

„Gleich wird’s Grün!“ Die Straße als Schauplatz studentischer Proteste
„Wir blicken auf die Historie konkreter Bewegungen in Freiburg und ziehen Verbindungen in die Gegenwart.“, so Kommoss. Auf Freiburgs Straßen wird seit jeher Geschichte geschrieben. Im Zeichen der studentischen Bewegung steht die Aktion Gleich wird’s Grün. Im Februar 1968 besetzen Studierende als Reaktion auf die drastische Erhöhung der Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr mit dieser Parole den Bertoldsbrunnen – damals wie heute ein zentraler Verkehrsknotenpunkt. Sie setzen sich auf den Boden, was zu dieser Zeit eine radikale und strafbare Aktion darstellt, die mit dem ersten Einsatz eines Wasserwerfers in Baden-Württemberg beantwortet wird. In den folgenden Monaten und Jahren werden in Freiburg immer wieder Straßen und Gebäude besetzt und zu wichtigen Orten des Zusammenkommens, der Meinungskundgabe und der Kunstproduktion umfunktioniert.
Die Biennale möchte diesen Geschichten nachspüren – und sie ins Verhältnis setzen zu Phänomenen, Bewegungen und Bildsprachen, die heute von der Straße ausgehen. Die Bewegung Fridays-for-Future bringt 2019 in Freiburg mit ca. 30.000 Teilnehmer*innen die größte Demonstration seit Kriegsende zustande. Der Protest ist bis heute präsent: Diesen Sommer wurde auf dem Rathausplatz ein Camp von Klimaaktivist*innen, u. a. den Students for Future, aufgebaut. Die geschriebene Erklärung „Wir campen bis ihr handelt“ ist ernst gemeint: das Camp ist bis 2035 angemeldet. Es wird erst abgebaut, wenn der Liste mit Forderungen nachgekommen wird.
Die Straße, die zum Schauplatz studentischer Proteste und zivilen Ungehorsams wird, ist ein globales Phänomen, mit dem sich Millionen Menschen über Grenzen hinweg solidarisieren. Aktuell erleben wir vor unseren Bildschirmen das Aufbegehren einer ganzen Bevölkerung auf den Straßen Irans. Frauen stellen sich den Vorschriften des Mullah-Regimes entgegen und versammeln eine ganze Gesellschaft hinter sich. Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini Mitte September gehen die Bilder von den Straßen Teherans und Isfahans um die ganze Welt – man sieht eine Frau ohne Kopftuch vor einem Feuer tanzen und kann die Stimmung der Revolution erahnen. Die Frauen wollen selbst entscheiden, wie sie sich kleiden, junge und alte Iraner*innen wollen nach ihren eigenen Vorstellungen leben. Dafür gehen sie auf die Straße und werden von brutalen Repressalien getroffen. In Deutschland und vielen anderen Ländern versammeln sich Menschen auf der Straße als Zeichen der Solidarität. In Freiburg richtet der Iranische Kulturverein regelmäßig Kundgebungen und Demonstrationen aus, zuletzt am 15. Oktober 2022. Freiburg ist die einzige Stadt in Deutschland mit einer iranischen Partnerstadt – Isfahan.
Obwohl die Regierung das Internet sperrt, finden die Bilder des Widerstands immer wieder ihren Weg über den Iran (und andere Staaten) hinaus. Sie sind auch deshalb Zeichen der gleichzeitigen Macht und Fragilität, die diese Bilder auszeichnet.

Die Straße im filmischen Horizont
Einer der ersten Kooperations–partner*innen der Biennale für Freiburg 2 ist der aka-Filmclub. Der studentisch geführte Club hat sich in den 65 Jahren seines Bestehens und tausenden sorgfältig zusammengestellter Filmstunden als cineastische Institution in Freiburg etabliert. Zusammen mit dem aka-Filmclub organisiert die Biennale im Februar und im Sommersemester 2023 eine Filmreihe, die sich dem Topos der Straße aus filmischer Perspektive annähert.
So steht etwa der erste Film der Kooperation La Strada – Das Lied der Straße (1954) von Federico Fellini emblematisch für die Faszination unzähliger Filmemacher*innen für die Straße als Bildraum, Milieu und Handlungshorizont. In diesem Filmklassiker ist die Straße Lebensraum: Sie ist sozialer Treffpunkt, dient der Fortbewegung und ist Ort der Prägung und Veränderung der Charaktere. Die Straße wird zum zentralen Wirkungsort der Narration, ohne selbst im Mittelpunkt zu stehen. Der Film beschreibt vielmehr das Zusammentreffen der zwei Protagonist*innen Zampano und Gelsomina, deren innere Reise als isolierte Charaktere und die Unmöglichkeit einer Überwindung emotionaler Barrieren. Für Gelsomina setzen die Begegnungen mit und auf der Straße ein Teil Impulse für ihre Selbstfindung.
Die im Sommersemester 2023 an den Film anschließende Reihe fächert ein Spektrum der filmischen Auseinandersetzung mit der Straße auf und setzt diese ins Verhältnis zur Position der jeweiligen Regisseur*innen. Im Fokus stehen Frauen* und Befreiungskämpfe, Fragen nach unterschiedlichen Lebensrealitäten auf der Straße oder nach den ökonomischen und politischen Bedingungen, die alltägliche wie revolutionäre Handlungen auf der Straße prägen. Nicht zuletzt reflektiert ein ausgewählter Dokumentarfilm die Vorstellungen, Glaubenssätze und Träume von Passant*innen im Wandel der Zeit.

Das aktuelle Team der Biennale: Paula Kommoss (rechts) und Valentina Ehnimb (links) © Christoph Hauf

Who Is Who
Das aktuelle Team der Biennale besteht aus Paula Kommoss, künstlerische Leiterin, und Valentina Ehnimb, Assistentin. Als deutsch-schweizerisches Team wollen sie die Verbindung beider Länder auch für die Biennale für Freiburg 2 nutzen und setzen sich für einen stärkeren Austausch zwischen den kulturellen Szenen im Dreiländereck ein.
Paula hat Kunstgeschichte und Anglistik und Amerikanistik an der Uni Freiburg studiert und freut sich nach beruflichen Stationen in Kassel, Venedig und Frankfurt wieder in der Stadt zu sein:
«In Freiburg herrscht für mich immer etwas Aufbruchstimmung – hier habe ich mein Studium begonnen, an meiner ersten Demonstration teilgenommen, war immer auf Achse und steckte meistens in Diskussionsrunden mit Kommiliton*innen zur letzten Vorlesung, der anstehenden Hausarbeit oder der nächsten Party. Freiburg bietet mit seiner Geschichte und Universität so viele unterschiedliche Möglichkeiten der inhaltlichen Auseinandersetzung – in den Archiven, Bibliotheken und Hörsälen trifft man auf echte Wissensschätze. Als künstlerische Leiterin der BfF und Kuratorin zurück in die Stadt zu kommen, bietet mir nun die Möglichkeit, den Radius zu erweitern und Freiburg aus kuratorischer Perspektive neu zu begegnen: Was ist hier besonders reizvoll im Dialog mit zeitgenössischer Kunst? Mit diesem Filter laufe ich gerade durch die Stadt und komme mit vielen Menschen und Orten in Austausch. Vor allem die Ausstellung „aufbrechen“ der Femwerkstatt im Artik hat mich in den letzten Monaten begeistert – da gab es so viel zu entdecken.»

Valentina hat in Basel Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaften studiert und hat Freiburg während der ersten Biennale im Herbst 2021 entdeckt:
«Als ich zum ersten Mal in Freiburg war, sind mir sofort die saubere Luft und die offene Art der Menschen aufgefallen – zwei Dinge, die ich sehr schätze. Kulturell und historisch hat die Stadt viel zu bieten. Und doch sehe ich in der Kunst noch Potenzial für mehr Vernetzung mit anderen Städten und Szenen in der Nähe, auch mit Basel, das nur eine halbe Stunde entfernt ist. Die Biennale für Freiburg stellt hierfür meiner Meinung nach das ideale Format dar. Sie bringt internationale zeitgenössische Künstler*innen nach Freiburg und bietet die Möglichkeit, die Stadt durch das Medium der Kunst zu entdecken. Das ist für die Locals genauso reizvoll, wie für Besucher*innen, die von außen kommen – wie auch ich eine war. Ich freue mich sehr, nun aktiver Teil dieses Austauschprozesses zu sein und bin gespannt, welche Verbindungen die zweite Biennale zwischen den Künstler*innen, Freiburg und der Dreiländereck-Region schaffen kann.»

Filmreihe mit Aka-Filmclub: 2. Februar / 20. April / 27. April / 4. Mai / 11. Mai 2023
Ausstellung: 16. Juni bis 30. Juli 2023
Rahmenprogramm: Februar bis Juli 2023
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Bildquellen

  • BfF Logo: © Biennale für Freiburg
  • Das aktuelle Team der Biennale: Paula Kommoss (rechts) und Valentina Ehnimb (links): © Christoph Hauf
  • Freiburger Studierende blockieren 1968 den Bertoldsbrunnen – und werden vom Einsatz eines Wasserwerfers überrascht: © Archiv Soziale Bewegungen