Der träumende Antiheld
Hans Werner Henzes Oper „Der Prinz von Homburg“ feiert in Mainz eine umjubelte Premiere.
Die erste Opernaufführung nach dem Tod eines Komponisten ist immer etwas Besonderes.
Der anhaltende Beifallssturm nach der Premiere von Hans Werner Henzes Oper „Der Prinz von Homburg“ im Mainzer Staatstheater galt neben der tollen Ensembleleistung des Hauses sicherlich auch der Musik des Komponisten, die gerade in ihrer Emotionalität berührt. Die späte Begeisterung des deutschen Publikums konnte Henze selbst noch erleben bei der umfangreichen Werkschau der europäischen Kulturhauptstadt Ruhr 2010 oder auch im vergangenen Jahr in Dresden, als er zur Premiere seiner Antikriegsoper „Wir erreichen den Fluss“ aus Italien angereist war, bevor er wenige Wochen später, am 27. Oktober 2012 im Alter von 86 Jahren verstarb.
Seine 1960 in Hamburg uraufgeführte Oper „Der Prinz von Homburg“ ist eine künstlerische Antwort auf Henzes Nachkriegserfahrungen in Deutschland, das der Komponist 1953 verließ, um sich in Italien niederzulassen. Der sich den Befehlen widersetzende, die Zukunft erträumende General aus Kleists Drama war für Henze und seine Librettistin Ingeborg Bachmann der passende Antiheld einer freiheitlichen Gesellschaft.
Aber auch die lyrischen, weit ausschwingenden Melodien, die der Komponist für Friedrich von Homburg und seine angebetete Prinzessin Natalie geschrieben hat, kann durchaus als eine bewusste Reaktion auf die im streng-spröden Zwölftonsatz komponierenden, ihn heftig kritisierenden Kollegen der deutschen Avantgarde verstanden werden. In Mainz sorgt Generalmusikdirektor Hermann Bäumer mit dem Philharmonischen Staatsorchester dafür, dass die hell timbrierten, sich gut mischenden Streichern dieser Emotionalität genügend Raum geben. Da kann auch mal ein einzelner Streicherton die instrumentale Grundlage sein, auf der Vida Mikneviciute als so zarte wie kämpferische Prinzessin Natalie von Oranien ihren betörenden Sopran entfaltet. Christian Miedl hat in der ausladenden Titelpartie nicht ganz die stimmliche Geschmeidigkeit der Kollegin, zeichnet aber dennoch ein packendes Rollenporträt dieses Träumers. Häufig mit geschlossenen Augen steht, sitzt, kniet oder liegt dieser Antiheld wie ein Fremdkörper zwischen all den strammen Militärs. Nur der befreundete Graf Hohenzollern (mit herrlich lyrischem Tenor: Thorsten Büttner) und Natalie scheinen ihn zu verstehen.
Auch Regisseur Christof Nel sind die Traumsequenzen wichtiger als die Schlacht, die Friedrich von Homburg, ohne den Befehl des Kurfürsten von Brandenburg (mit strahlendem Heldentenor: Alexander Spemann) abzuwarten, für sich entscheidet.
Zwei ohrenbetäubend laute Kanonenschläge deuten die Gewalt des Krieges an – Uniformen, Fahnen und Degen sind weitere Accessoires des Militärischen (Kostüme: Barbara Aigner). Zum letzten Satz „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ fallen die Brandenburger selbst zu Boden und zeigen damit die Kehrseite des Militarismus.
Ein regelrecht zerschnittener, mehrfach aufgebrochener Raum (Bühne: Roland Aeschlimann) ist Schauplatz des Geschehens. Die Zacken künden von Gewalt und Aggression – aber vielleicht auch, mit den dahinter liegenden Freiräumen, von der Sehnsucht, diese Welt zu durchbrechen. Insgesamt gerät das Einheitsbühnenbild zu verrätselt, um den Spannungskurven der Geschichte nachzufühlen. Nichts kann sich hier verändern, nichts unter einem anderen Blickwinkel gesehen werden.
Die von Ingeborg Bachmann gegenüber der Vorlage noch stärker fokussierte Schlüsselszene, wenn Friedrich von Homburg sein eigenes Grab sieht, wird von der Regie verschenkt, weil der Graben, in den der Prinz steigt, schon den ganzen Abend über klafft. Die Klarheit der Linien findet sich jedenfalls musikalisch durchaus wieder in den scharfen Trennungen zwischen Militärmusik und Melos, zwischen Trommelwirbel und Harfenarpeggi. Das Philharmonische Staatsorchester Mainz arbeitet diese unterschiedlichen musikalischen Welten präzise heraus. Und hat wichtigen Anteil daran, dass dieser Mainzer Henzeabend im Gedächtnis bleiben wird.
Weitere Vorstellungen: 22.2./10.3./11.4./3.5. Karten: www.staatstheater-mainz.de oder Tel. 06131/2851222.
Georg Rudiger