Nachhaltig

„Der Müll steht Dir gut“

„Schöne Farbe“ denkt sie, die eigentlich nie „shoppen“ geht, als sie das T-Shirt in der kleinen Fußgängerzone sieht. „Fühlt sich gut an.“ Sie sucht nach dem Etikett mit der Material-Angabe und findet: „Made in Bangladesh“. Sofort stürzt ein mehrstöckiges Betongebäude in ihrem Kopf ein und begräbt Tausende Textilarbeiterinnen unter den Trümmern ihrer Gedankenlosigkeit.
Sie hat mehr als sie anziehen kann und ist dennoch weit entfernt von den Durchschnitts-Shopperinnen, die jedes Jahr 60 neue Kleidungsstücke kaufen. 60 Teile, deren Gewebe produziert, gefärbt, genäht und um den Globus geschoben wird, damit sie nach 4 Mal tragen aussortiert werden. Dann geht’s auf die Reise nach Osteuropa, Afrika oder gleich in die Müllverbrennungsanlage. Der Durchschnittswert von 4 Mal anziehen gilt nur für die verkauften Teile. 40 Prozent der produzierten Kleidung wird überhaupt nicht verkauft, da ist die gesamte Prozesskette für die Tonne. Billiglabel schmeißen bis zu 24 Kollektionen jährlich auf den Markt, es wird online geshoppt als gäb‘s kein Morgen. Gefällt-nicht-Ware wird massenhaft von schlecht bezahlten Amazon-Knechten zurückgebracht.
Corona hat dem Irrsinn nochmals zusätzlichen Schub gegeben: immer mehr und immer billiger wird online eingekauft, Energie- und CO2-intensiv zurück- und auf den Müll geschickt. Amazon-Chef Jeff Bezos erzielt Rekordgewinne – bis zu 13 Mrd. US-Dollar an einem einzigen Tag – und landet auf Platz 1 der Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt.
Der Müllberg aus alten und neuen Klamotten wächst. Durch massenhaftes Corona-Ausmisten der Kleiderschränke quellen nun die Altkleider-Container über und der Altkleidermarkt kollabiert. Freiburgs Container kamen im April an ihre Grenzen. Die Hamburger Stadtreinigung will bis Ende August alle 120 Altkleidercontainer abbauen.
„Der Müll steht Dir gut“ würde niemand sagen, also heißt es „Wegwerfmode“, wenn die Grenze zwischen Kleidung und Müll verschwimmt. Die Qualität vieler Textilien ist mittlerweile so miserabel, dass sie nicht mal mehr für die Produktion von Putzlappen oder Dämmstoffen taugen. „Thermische Verwertung“ heißt es, wenn das Ergebnis harter Arbeit von Landwirt*innen, Baumwollpflücker*innen, Näher*innen, Containerschiff-Sklaven und Paketzusteller*innenn in der Müllverbrennung landet. Teile des hiermit erzeugten Stroms landen per Definition in der Rubrik Erneuerbare Energien. Ja, unser Energiebedarf wird steigen. Auch wegen dieser Materialschlachten.
Mehr als 5Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen gehen auf das Konto der Kleidungsproduktion. Wer höflich anregt, diese Schwachsinns-Wirtschaft sein zu lassen, wird gerne mal als „Verzichtsprediger“ gebrandmarkt. Salonfähig hingegen scheint die Forderung zu sein, die Wirtschaft so weit anzukurbeln, dass die Menschen „endlich aufhören, nur das Nötigste zu kaufen“. Ja was denn sonst, bitte? Kleider, Möbel, Deko, Zeug für vollgestopfte Schränke, Wohnungen, Häuser, Keller, Garagen und für die sich immer schneller drehende Müllspirale kaufen? Ist es wirklich Verzicht sich dem Anhäufen, Lagern, Räumen und Wegschmeißen von Zeug, der Spirale von Reizüberflutung, Konsumverstopfung und Burnout zu entziehen? Soll das der „Wohlstand“ sein, für den wir so dringend fossilatomare Kraftwerke brauchen?
Wie viele Menschen fallen uns spontan ein, die wir wegen Corona nicht besucht, nicht in den Arm genommen haben, mit denen wir nicht gefeiert, gelacht, gequatscht, gesungen, gespielt, gelebt haben? Und wie kurz dagegen ist die Liste von Kleidungsstücken, die uns so sehr fehlen, dass wir weinen möchten?

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  • Mehr als 5 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen stammen von der Textilindustrie: Promo