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Das sieben Wochen dauernde Gstaad Menuhin Festival steht vor Veränderungen

Lesung und Konzert mit Klaus Maria Brandauer und Sebastian Knauer am Klavier
Foto: Gstaad Menuhin Festival

Die Glocken läuten zum Konzert. Vor der Kirche Saanen herrscht dichtes Gedränge. Masken liegen zwar an den Eingängen aus, bleiben aber weitgehend unangetastet. Man genießt die Normalität. Was heute auf dem Programm steht, wissen die Besucherinnen und Besucher nicht. Das Konzert von Sir András Schiff ist trotzdem ausverkauft. Den Klavierabend beginnt der Pianist auf seinem mahagonibraunen Bösendorfer-Flügel mit der Aria aus Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“. Ludwig van Beethovens späte Bagatellen op. 126 haben in Schiffs meisterhaftem Spiel extrovertierte Energie, aber auch fragile Innerlichkeit. Zum Schluss: Franz Schuberts schwergewichtige Klaviersonate in A-Dur. Schiff kostet die Längen aus, entdeckt Sehnsuchtsorte und lässt im Finale dramatische Einbrüche auf melodische Emphase prallen.
Die Konzerte in den dreizehn Kirchen des Saanenlandes sind in diesem Jahr beim siebenwöchigen Gstaad Menuhin Festival sogar besser verkauft als 2019 vor der Pandemie. Corona ist beim über 50 Konzerte umfassenden Festival kaum ein Thema mehr. Ein Erbe der Coronapandemie ist aber der Verzicht auf eine Konzertpause in allen Kirchenkonzerten. Von der Struktur her ist das Gstaad Menuhin Festival 2022 gleichgeblieben. Man holt in diesem Jahr den coronabedingt ausgefallenen Festivaljahrgang 2020 mit dem Thema „Wien“ nach. Größere Veränderungen wird es erst im nächsten Jahr geben. Zum einen bemüht sich das Festival dann um eine bessere CO2-Bilanz, zum anderen möchte Intendant Christoph Müller in Zukunft aktuelle Weltgeschehnisse im Programm spiegeln. Stolz ist Müller auf die Conducting Academy, die unter den insgesamt fünf Akademien in Gstaad die aufwändigste und international renommierteste ist. Drei Wochen dürfen die insgesamt zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer – einer davon Jascha von der Goltz aus Freiburg – mit dem Spitzenorchester unter der Leitung von Johannes Schlaefli und Jaap van Zwedenganz unterschiedliches Repertoire proben. Der Neeme Järvi Prize am Ende verschafft den Gewinnern sogar künftige Auftrittsmöglichkeiten mit Partnerorchestern.
Preise hat Klaus Maria Brandauer schon einige gewonnen. In der voll besetzten Kirche Zweisimmen ist seine Rezitationskunst bei seiner Lesung von Richard Wagners Erzählung „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“ zu erleben. Der Ich-Erzähler namens Richard Wagner muss auf seiner Reise von Leipzig nach Wien mit allerlei Problemen kämpfen. Vor allem kommt ihm immer wieder ein nervender Engländer in die Quere, den Brandauer mit passendem Akzent charakterisiert. Großartig, wie der österreichische Schauspieler vom Plauderton zur Eskalation wechselt, wie er das Tempo variiert und auch mimisch die Geschichte verlebendigt. Nur die von Sebastian Knauer zu holzschnittartig interpretierte „Mondscheinsonate“ im Anschluss an die 75-minütige Lesung wirkt ein wenig angeklebt, zumal das Werk nicht direkt mit der Erzählung zu tun hat.
Das Aufeinandertreffen von Avi Avital und Ksenija Sidorova in der Kirche Boltigen unter dem Titel „Von Wien nach Rio de Janeiro“ dagegen hat eine perfekte Gesamtdramaturgie. Der israelische Mandolinen-Virtuose und die lettische Akkordeonistin begegnen sich trotz der völlig unterschiedlichen Instrumente auf Augenhöhe. Hier die sofort ansprechende, fast perkussive Mandoline – dort das atmende Akkordeon. Perfekt passen die Instrumente zu Igor Strawinskys „Suite Italienne“, die gerade in den neoklassizistischen Verfremdungen gewinnt. Manuel de Fallas „Sietecancionespopularesespañolas“ hat man selten so sinnlich gehört.

Weitere Infos: www.gstaadmenuhinfestival.ch/de

Bildquellen

  • Lesung und Konzert mit Klaus Maria Brandauer und Sebastian Knauer am Klavier: Foto: Gstaad Menuhin Festival
  • Lesung und Konzert mit Klaus Maria Brandauer und Sebastian Knauer am Klavier: Foto: Gstaad Menuhin Festival