Theater

Das Projekt „Eurotopia“ am Theater Freiburg spürt der Utopie auf dem Kontinent nach

Europa ist ein Kessel Buntes

Wenn die Idee Europa zunehmend unklar wird, kann es nicht schaden zu ihren Wurzeln zurückzukehren. Und so steht am Anfang des Theaterprojektes „Eurotopia“ die Oper, genauer der Oper gewordene Mythos von der Entführung Europas durch den Stier. An sich ja keine schlechte Idee, schließlich ist die Verbindung von Musik und Mythos eine der Wurzeln der Kunst.

Szene von Emre Koyuncuoğlu
Szene von Emre Koyuncuoğlu (© M. Korbel)

Doch „Die Verführung Europas“ kommt unter der Regie von Memet Ali Alabora (musikalische Leitung: Johannes Knapp) so plüschig und altbacken daher, dass man sich keinen Moment sicher sein kann, es nicht doch mit einer Parodie zu tun zu haben. Wo hat man zuletzt Mädchen mit Blumenkörbchen gesehen? Memet Ali Alabora geht es vor allem um die phönizische Herkunft Europas, die durch Zeus‘ Lockungen verleitet wird, ihre Heimat zu verlassen und sich Richtung Westen aufzumachen. Falls Memet Ali Alabora zugleich im Sinn gehabt haben sollte, die Oper als eine westliche Kunstform vorzuführen, die sich überlebt hat, lässt sich das weniger der Oper zuzuschreiben.

Der Theaterabend besteht aus sieben autonomen Szenen und die Installation von Ortreport & Meier/Franz dient als eine Art Prolog. Die Zürcher Künstler haben verschiedene Typen von Rednertribünen aus Holz geschaffen, die vom Schnürboden herabhängen und die an die Bedeutung der politischen Rede als Korrektiv oder als Formulierung einer Utopie gemahnen. Wenn das Publikum nach dem zweiten Teil das Große Haus verlässt und über die Bühne zu den Zuschauerreihen gelangt, läuft es auch unter diesen Pulten durch, die während der dreieinhalb-stündigen Inszenierung immer mal wieder hoch- und heruntergezogen werden. Inszeniert haben Regisseurinnen und Regisseure, die die Intendanz von Barbara Mundel geprägt haben wie Felicitas Brucker, die zusammen mit Arved Schultze vier Jugendliche, die straffällig geworden sind, begleitet hat – Kinder übernehmen ihren Part – , oder Jarg Pataki sowie Künstlerinnen und Künstler, deren Herkunftsländer wie die Türkei im Schauspiel der Intendanz Mundel eine Rolle gespielt haben.

„Eurotopia“ gehört zu jenen Theaterexperimenten, von denen es in der Ära der Schauspieldirektorin Viola Hasselberg einige zu sehen gab. Im besten Fall können es Wundertüten werden, im schlechteren legt sich über den Theaterabend ein nivellierendes Maß der Beliebigkeit. „Eurotopia“ gehört zur zweiten Kategorie und nimmt seine Besucher auf eine Reise, die durch Europa führt und mit Geschichten zurückkommt, die etwa von einer Litauen-Dokumentation Leni Riefenstahls erzählen, wohlstandsverwahrlosten französischen Jugendlichen ins Gefängnis folgen oder auch die Brüche thematisieren, die die politischen Säuberungsaktionen in den 1920er Jahren in der Türkei bewirkt haben. Emre Koyuncuoğlu findet für diese beschädigten Familienbiografien das Bild des Stoffes, der oft zu einem Patchwork oder zu einem Schleier wird und in das sich Izabela Gwizdak einhüllt.

Das ist nachvollziehbar und möglicherweise das Ergebnis der Suche nach einer theatralischen Sprache, die allen zugänglich ist, doch wirkt es eben auch ein bisschen bieder. Bei vielen der Geschichten wüsste man gerne mehr, doch angesichts der Menge der einzelnen Teile des Abends kann immer nur angedeutet werden. Das Problem dieses Abends ist weniger die Verschiedenheit der Erzählungen als der der Inszenierungsstile. Vielleicht ist das wie mit Europa – Vielfalt allein macht noch keine Union. Ein außergewöhnlicher Tänzer wie der Kubaner Ricardo Henry Pedro geht in den von Faustin Linyekula inszenierten „Freiburg Files“ in einer etwas wohlfeilen Empörung beinahe unter. Haltungen dominieren an diesem Abend über die Kunst.

Weitere Vorstellungen: 1./2./ 27./28./29. April, Theater Freiburg

Annette Hoffmann