Das Kriegstagebuch des Irak-Kriegs: WikiLeaks, Julian Assange und die Pressefreiheit
Vor dreizehn Jahren, am 22. Oktober 2010, wurden auf der Enthüllungsplattform WikiLeaks ca. 391.832 als vertraulich bzw. geheim eingestufte Einsatzberichte der U.S. Streitkräfte im Irak publiziert. In nüchternen Zahlen, Daten und Fakten führten die Berichte der Weltöffentlichkeit das Ausmaß an menschlichen Verlusten im Irak vor Augen.
Doch was war beziehungsweise ist WikiLeaks? WikiLeaks wurde am 4. Oktober 2006 in Australien als Enthüllungsplattform gegründet. Als historisches Vorbild standen Daniel Elsberg und seine 1971 angestoßene Veröffentlichung der sogenannten Pentagon Papers Pate. Das primäre Ziel bei der Gründung bestand darin, die Zeit zwischen einem „Leak“ und der Berichterstattung in den Medien zu verkürzen. Die im Zeitraum zwischen 2006 und dem 22. Oktober 2010 publizierten Leaks umfassten unter anderem das Exemplar einer U.S. Army Richtlinie für den Umgang mit im Camp Delta untergebrachten Häftlingen in Guantanamo Bay, Informationen über den peruanischen Ölskandal aus dem Jahr 2008 sowie den Giftmüllskandal der Elfenbeinküste von 2006, um nur einige Beispiele zu nennen. Am 25. Juli 2010 veröffentliche WikiLeaks die sogenannten „Afghan War Diaries“, welche aus über 91.000 U.S. Dokumenten bestanden und den amerikanischen Einsatz in Afghanistan dokumentierten. So enthielten die Dossiers unter anderem Informationen über einen von U.S. Streitkräften durchgeführten Luftangriff auf das Dorf Garani in der Provinz Farah, bei dem zwischen 86 und 145 Zivilisten getötet wurden.
Die Publikation der „Iraq War Logs“ einige Monate später, stellte die „Afghan War Diaries“ sowie sämtliche zuvor erfolgten Veröffentlichungen mit Hinblick auf den Umfang bei weitem in den Schatten. Während die Publikation der Dokumente durch Journalistinnen und Journalisten weltweit begrüßt wurde, kritisierten die USA die Veröffentlichung als eine unverantwortliche Gefährdung ihrer Nationalen Sicherheit. Insgesamt wirft die Veröffetnlichung derartiger Dokumente grundsätzliche Fragen in Bezug auf unsere Gesellschaft auf. Wo verläuft die Grenze zwischen dem berechtigten Informationsinteresse der Bevölkerung und den Sicherheitsinteressen des Staates? Ist es legitim beziehungsweise ethisch vertretbar, wissentlich Informationen zu veröffentlichen, die nachrichtendienstliche Quellen oder im Einsatz befindliche Streitkräfte einer Gefahr aussetzen?
Insbesondere die letzte Frage führte innerhalb von WikiLeaks, aber auch in der Öffentlichkeit zu unterschiedlichen Meinungsauffassungen. Der damals kommandierende General der U.S. Streitkräfte in Afghanistan, Stanley McChriystal, welcher vormalig auch im Irak eingesetzt war, zeigte keinerlei Verständnis für die Veröffentlichungen, vielmehr kritisierte er, dass die Truppen durch derartige Publikationen einer Gefahr ausgesetzt seien und bezeichnete sie als ärgerlich und verantwortungslos. Befürworterinnen und Befürworter hingegen argumentierten, dass das Interesse der Öffentlichkeit am Vorgehen der U.S. Armee im Irak und Afghanistan mögliche Sicherheitsinteressen überwiege. Diese Argumentation lehnt sich entfernt an den juristischen Grundsatz „Ex iniuria ius non oritur“, was übersetzt so viel bedeutet wie „Es gibt kein Recht im Unrecht“, an. Sprich die USA könnten sich nicht auf ihre Sicherheitsinteressen berufen, im Rahmen von Einsätzen, welche nicht mit Internationalen völkerrechtlichen Normen im Einklang stehen.
Julian Assange, seines Zeichens Mitgründer und Gesicht von WikiLeaks, wartet gegenwärtig in britischem Gewahrsam auf seine Auslieferung an die USA, da sein Einspruch höchstrichterlich durch den obersten Gerichtshof High Court London abgewiesen wurde. Für seine Verdienste rund um Themen wie Pressefreiheit und Demokratie wurde er unter anderem mit dem renommierten Konrad-Wolf-Preis 2023 der Akademie der Künste in Berlin ausgezeichnet. Der Preis ist nach dem langjährigen Filmregisseur und Präsidenten der Künste der DDR, Konrad Wolf, benannt. Am 22. Oktober wird der mit rund 5.000 Euro dotierte Preis stellvertretend an Assanges Ehefrau übergeben wird.
Fest steht, dass ein letztes Wort in dieser Angelegenheit auch dreizehn Jahre nach der Veröffentlichung der „Iraq War Logs“ (glücklicherweise) noch nicht gesprochen ist, zumal Selbige an das für jede demokratische Gesellschaft immanente Thema der Pressefreiheit anknüpft. Mit Hinblick auf die Pressefreiheit lohnt es sich, auch einen Blick nach Deutschland zu werfen. In Deutschland hinkt man den eigenen Ansprüchen in puncto Pressefreiheit seit Jahren hinterher.
So belegt Deutschland gemäß der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen Platz 21 von 180. Hinter Ländern wie Samoa (Platz 19), der Schweiz (Platz 12), Portugal (Platz 9) und den Top drei, Norwegen, Irland sowie Dänemark. Dies mag unter anderem dem Umstand geschuldet sein, dass die Position hinweisgebender Personen im Englischen „Whistleblower“ genannt, welche den Ausgangspunkt der meisten Leaks bilden, erst im Jahr 2023 durch die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes geschützt wurde. Jedoch hinkt jenes Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) nach Meinung von Kritikerinnen und Kritikern weit hinter seinen ursprünglichen Ansprüchen zurück. Ein weiterer Punkt, der in diesem Kontext nicht unerwähnt bleiben sollte, ist die Thematik der sogenannten Pressekonzentration. Dies bedeutet, dass sich die überwiegende Mehrzahl der Medien in Deutschland in der Eigentümerschaft von wenigen großen Medienkonzernen befinden, was die Diversität von Berichterstattungen erheblich einschränkt. Es bleibt zu hoffen, dass die breite öffentliche Debatte, welche durch die Veröffentlichung der „Iraq War Logs“ am 20. Oktober 2010 angestoßen wurde, im Interesse der Pressefreiheit sowie einer freien und pluralistischen Gesellschaft weitergeführt wird.
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- Das Kriegstagebuch des Irak-Kriegs: Foto: mikecook1 via pixabay