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Christian Zeller fordert in seinem Buch „Revolution für das Klima“ die radikale Überwindung der herrschenden Profit- und Konkurrenzlogik zugunsten einer ökosozialistischen Alternative

Im Oktober 2018 veröffentlichte der Weltklimarat der Vereinten Nationen seinen Bericht zum Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC 2018). Darin wurde die dauerhafte Deckelung der durchschnittlichen Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter als ein notwendig zu erreichendes und realistisch erreichbares Klimaziel beschrieben und deutliche Vorteile gegenüber dem zuvor genannten Ziel von maximal 2 Grad Erwärmung aufgezeigt. Verschiedene konkrete Szenarien zeigten allerdings, welch immense Sofortmaßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes etwa durch die Abkehr von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien in wesentlichen Lebensbereichen wie industrieller Produktion, Verkehr, Konsum etc. für die Zielerreichung notwendig wären.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich die weltweit in vielfältigen Formen agierende Klimaschutzbewegung sprunghaft und wächst seitdem stetig. Die neuen Bewegungen wie Fridays for Future orientieren sich überwiegend am 1,5 Grad-Ziel und fordern von den jeweiligen Regierungen die entschlossene und schnelle Einleitung der entsprechenden Maßnahmen, jedoch bislang relativ erfolglos. Und genau hier setzt Christian Zeller, Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Salzburg, mit seiner zentralen These in seinem Buch an: „Die Hauptforderung der Klimabewegung – die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen – ist nur verwirklichbar, wenn in den wichtigsten kapitalistischen Ländern einschließlich China radikale industrielle Rück- und Umbauprogramme umgesetzt werden. Das ist allerdings unter den gegebenen Machtverhältnissen und ohne Bruch mit der kapitalistischen Profit- und Konkurrenzlogik nicht erreichbar. Die großen Konzerne werden nicht bereit sein, ihr mit fossilen Energieträgern verbundenes Kapital entwerten zu lassen.“ (S.10)
Zeller stützt sich dabei auf wesentliche Essentials der marxistischen politischen Ökonomie und deren Analyse der kapitalistischen Produktionsweise mit ihrer endlos fortschreitenden Akkumulationsdynamik des Kapitals sowie des damit verbundenen Zwangs zu permanentem Wachstum. Der daraus resultierende ausschließlich profitorientierte und ungezügelte Ressourcenverbrauch steht in krassem Widerspruch zu den „planetaren Grenzen des Wachstums“ und lässt damit keinen Platz für einen pflegenden Erhalt der Resilienzfähigkeit von Mensch und Natur durch eine dementsprechende Gestaltung des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur. Im Ergebnis erleben wir nach Zeller durch „die sich beschleunigende Erderhitzung… die umfassendste und ernsthafteste Krise der Menschheit in ihrer gesamten Geschichte.“ Enpassant werden diese Zusammenhänge im Buch hinreichend erklärt.
Da aber – wiederum in enger Anlehnung an Karl Marx – jede Auseinandersetzung über diesen Stoffwechsel zugleich eine Auseinandersetzung über die Organisation der Produktion, der Zirkulation und des Konsums von Waren sowie des reproduktiven Alltagslebens der Menschen sei (S. 9), führt für Zeller der Ausweg aus der ökologischen Weltkrise nur über einen radikalen ökosozialistischen Umbauprozess unseres globalen gesellschaftlichen Zusammenlebens.
In unmissverständlicher Schärfe grenzt sich Zeller gleich zu Anfang seiner Darstellung der Grundlagen dieses Umbauprozesses von der bisherigen internationalen „ArbeiterInnenbewegung und jenen Regimes, die sich sozialistisch nannten“ ab und wirft ihnen klägliches Versagen gegenüber den ökologischen Herausforderungen vor. Insbesondere die „stalinistisch bürokratischen Kommandowirtschaften“ der UdSSR, Chinas und der Länder Osteuropas hätten in ihrer despotischen Nachahmung der kapitalistischen Industrialisierung deren Raubbau an der Natur partiell noch übertroffen. Ausführlich werden dann zentrale marxistische Kategorien wie Mehrwert, Tauschwert, Gebrauchswert, Doppelcharakter der Ware und die überragende Bedeutung der menschlichen Arbeit bei der Gestaltung des Verhältnisses von Gesellschaft und Natur rekapituliert und darauf aufbauend die Herausforderungen für eine ökosozialistische Umwälzung und deren Zielsetzung formuliert: „Der Ökosozialismus ist also eine gesellschaftliche und politische Strömung, die sich auf grundlegende Errungenschaften des Marxismus und der Ökologie stützt, aber deren Irrtümer und Degenerierungen hinter sich lässt….Der Ökosozialismus strebt eine Gesellschaft an, die sich von den Zwängen der Konkurrenz und des Profits, des Privateigentums an Produktionsmitteln und des Geldes sowie des Staates…. befreit. Das ist eine Gesellschaft, in der abstrakte und mehrwertschaffende Arbeit zugunsten der konkreten und kreativen Arbeit verschwindet…. Die Gesellschaft ist in selbstverwalteten Gemeinschaften organisiert und auf demokratische Weise durch freiwillige, gewählte und jederzeit abwählbare Delegierte koordiniert.“ (S. 61)
Christian Zeller belässt es nicht bei diesem theoretischen Entwurf einer künftigen Gesellschaft, in der Mensch und Natur in ausgewogenem und nachhaltigem Austausch zu einander stehen. Auf mehr als 150 Seiten entwickelt er konkrete Vorschläge für ein ökosozialistisches Programm der gesellschaftlichen Aneignung des gesamten Produktions- und Reproduktionsbereichs mit gleichen Rechten für alle bis hin zur Abschaffung der privaten Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und Investitionen.In jeweils eigenen Kapiteln zum ökologischen Umbau von industrieller Produktion und Landwirtschaft, zum Umbau der Städte und öffentlichen Infrastruktur, zum Umbau und zur Verwaltung des dafür notwendigen Finanzierungssystems und dem damit einhergehenden Ausbau entsprechender gesellschaftlicher Strukturen liefert er jede Menge brisanten Diskussionsstoff. Dabei verarbeitet er auch einschlägige Erfahrungen der internationalen AbeiterInnenbewegung mit direktdemokratischen Rätestrukturen. Auf all diese Vorschläge im Einzelnen einzugehen würde hier zu weit führen.
Das neue revolutionäre Subjekt, das all diese Transformationen ins Rollen bringen kann, sieht Zeller in einem möglichen Verschmelzen von internationaler Klimabewegung, Gewerkschaften, feministischer und anderer sozialer Bewegungen. Er weist damit weit über die orthodox-marxistische Beschränkung des Subjektbegriffs auf das klassische Industrieproletariat hinaus und definiert eine erweiterte Klasse der Lohnabhängigen. Er verkennt dabei nicht, dass sich insbesondere die Gewerkschaften derzeit zu einem eher systemstabilisierenden Faktor entwickelt haben.
Ob und wie schnell sich eine solche emanzipatorische Befreiungsbewegung im internationalen Maßstab bewusst formiert, entscheidet das Rennen gegen die Zeit.
Zellers Buch ist die wohl bislang fundierteste und gleichzeitig konkreteste Analyse der aktuellen Weltlage im Angesicht der drohenden ökologischen Katastrophe aus marxistischer Sicht auf wissenschaftlichem Niveau, die gleichwohl mit vielen dogmatischen Fehlern der Vergangenheit bricht. Die durchgängig stringente Argumentation ist stets faktenreich unterfüttert und zielt direkt auf die Formierung eines umfassenden Widerstands gegen die destruktive Logik des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems.Niemals jedoch schimmert auch nur der Anflug eines Alleinvertretungsanspruchs auf Wahrheit oder einer „richtigen Linie“ durch, die man zur Genüge von dogmatisch-revolutionären Publikationen kennt. Zeller versteht stattdessen die von ihm skizzierte ökosozialistische Alternative als „Vorschlag zur Debatte“. Darum eignet sich sein Buch in hohem Maße auch als Basis zur Selbstverständigung für alle in sozialen Bewegungen organisierten aktiven Menschen.

„Revolution für das Klima“, Christian Zeller, oekomverlag München, ISBN 978-3-96238-188-2 . www.oekom.de/buch

Bildquellen

  • Revolution für das Klima: Foto: oekomverlag
  • Keine Klimarettung ohne Bruch mit kapitalistischem Wirtschaftssystem: Foto: Markus Spiske