Brüche und Kontinuitäten: Das Kunstmuseum Bern zieht im Fall Gurlitt Bilanz
Provenienzforschung ist eine Frage des Respekts. Den früheren Besitzern der Werke, die meist zu den Verfolgten des Faschismus gehörten, gegenüber, aber auch der eigenen Sammlung. Drei Ausstellungen hat das Kunstmuseum Bern, das 2014 das Erbe Cornelius Gurlitt annahm, ausgerichtet, die sich mit dem Legat befassen. Die jüngste „Gurlitt. Eine Bilanz“ ist die vorläufig letzte. Doch bis heute konnten nicht alle Provenienzen der Werke geklärt werden, manche wie Camille Pissarros „Le Louvre au matin“ konnten jedoch restituiert werden, mitunter wurden andere Lösungen gefunden. Die Annahme der Erbschaft und die Einrichtung einer eigenen Provenienzforschung am Kunstmuseum Bern 2017 hat die nationale Debatte über Raub- und Fluchtkunst und die eigene Rolle im Kunsthandel des Nationalsozialismus verändert. Womöglich würde man heute in Zürich auch anders mit der Sammlung Bührle umgehen. Die Forschung und die Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Erbe sind in die Berner Ausstellung geflossen, die die Besucher im ersten Raum mit den kopierten Rückseiten aller Werke des Legats empfängt. Sie ziehen sich bis in das zweite Stockwerk, wo die von Nikola Doll, Leiterin der Berner Provenienzabteilung, kuratierte Ausstellung fortgesetzt wird.
Während Cornelius Gurlitt (1932-2014) zwar nicht unschuldig, aber doch eher als eine unglückliche Figur in einem medialen Kunstskandal geraten ist, geht es in der Ausstellung vor allem um dessen Vater Hildebrand Gurlitt (1895-1956). Er war einer der Kunsthändler, die den Nationalsozialisten Devisen beschaffen sollten. Es geht in dieser Ausstellung um seine Geschäfte und um Werke, die nicht einmal eine Sammlung bilden, sondern unmittelbarer Ausdruck seiner Tätigkeit als Kunsthändler zwischen 1922 und bis weit in die Nachkriegszeit waren. Gurlitt gelang es nach dem Krieg sich als Opfer der Zeitverhältnisse zu stilisieren. In der Zwischenkriegszeit engagierte er sich für die Durchsetzung der Moderne, 1933 musste er als Geschäftsführer des Hamburger Kunstvereins zusammen mit dem Vorstand zurücktreten, wenig später gründete er in der Hansestadt das Kunstkabinett Dr. H. Gurlitt. 1939 gehörte er zu den vier Kunsthändlern, über die die Nationalsozialisten den Verkauf „verwertbarer“ Kunst aus der Beschlagnahme „entartete“ Kunst aus den deutschen Museen organisierten. Durch ihn gelangten Werke nach Basel, im Kunstmuseum Basel ist in der Ausstellung „Zerrissene Moderne“ der Briefwechsel zwischen ihm und dem Direktor Georg Schmidt nachzulesen. Auch nach dem Krieg verschleierte er weiterhin die eigentlichen Besitzverhältnisse vieler seiner Werke oder solcher, die er verkauft hatte. Er muss nicht schlecht verdient haben. Denn später stieg er in den Handel im besetzten Frankreich ein, seine Provision betrug fünf Prozent.
Die Ausstellung „Gurlitt. Eine Bilanz“ breitet die Arbeit des Kunstmuseum Bern, insbesondere seiner Provenienzabteilung aus. Sie legt die vier Bewertungen offen, ob es sich um Raubkunst oder nicht handelt, dabei wurde auch differenziert, ob zwischen 1933 und 1945 Hinweise auf NS-Raubkunst vorliegen oder nicht. Tatsächlich liegt in vielen Fällen, oft auf direkte Anweisung des Propagandaministeriums, eine erhebliche Portion kriminelle Energie vor. Der nationalsozialistische Kunsthandel war Teil des Systems. Vorsätzlich wurde die Herkunft der Werke verschleiert, Inventarnummern, Kommentare und Stempel wurden entfernt, bei Grafiken wurden sie oft abgeschnitten. Wie dennoch die Museen ermittelt werden konnten, aus denen etwa die Grafiken beschlagnahmt wurden, ist oft detektivische Recherche. Da ist viel Kärrnerarbeit hineingeflossen, doch diese Details erzählen nicht allein vom mühseligen, aber spannenden Geschäft der Provenienzforschung, sondern eben auch von der Perfidie des Systems. Und wie die Basler Ausstellung „Zerrissene Moderne“ so fragt auch die Schau im Kunstmuseum Bern, was geworden wäre, wenn Künstlerinnen und Künstler nicht durch die Nationalsozialisten verfolgt und diffamiert worden wären und warum es manches Oeuvre in der Nachkriegszeit leichter auf dem Kunstmarkt hatte als andere. Das „Dritte Reich“ und die Aktion „entarte“ Kunst, die Verfolgung von Kunstschaffenden und Kunst war auch für die Sammlungen internationaler Museen ein Einschnitt, der bis heute Spuren hinterlassen hat.
Gurlitt. Eine Bilanz. Kunstmuseum Bern, Hodlerstr. 8-12, Bern. Di 10-21 Uhr, Mi-So 10-17 Uhr. Bis 15. Januar 2023. www.kunstmuseumbern.ch
Bildquellen
- Wassily Kandinsky: „Schweres Schweben“, 1924, Schwarze und farbige Tusche und Aquarell auf Karto: © Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt
- Max Beckmann: „Zandvoordt Strandcafé“, 1934 Aquarell mit Gouache über Spuren einer Vorzeichnung mit Kohle auf Papier: © Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt
- Chargesheimer: Hildebrand Gurlitt, 1955, Fotografie: © Koblenz, Bundesarchiv Nachlass Cornelius Gurlitt