Brandstifter bis heute: 90 Jahre Bücherverbrennung: Ein Gedenktag wirkt nach
Das Buch. Hier nicht nurmehr das E-Book, vielmehr das ‚echte‘, das haptische – das bleibt eine nicht als tot zu erklärende Kulturleistung des Menschen. Reduziert: ein Blatt, die Seite, das Pergament – also auch ein Stück natürlichen Elements. Es verbinden sich das Material, das gedankliche Produkt und der kommunikative und kulturelle Aspekt des Niedergeschriebenen. Wer das angreift, das ist schnell klar, trifft mehrfach ins Mark humaner Gesellschaften. Insofern sind Bücherverbrennungen mitnichten eine Kulturleistung, sondern bedeuten vielmehr das Gegenteil: einen armseligen Akt politischen Komplotts oder ideologischer Verzweiflungstat. In größerem Umfang gab es solch barbarische Vorgänge in der Spätantike: zunächst zur Vernichtung frühchristlichen Schriftguts unter Kaiser Diokletian in den Jahren kurz nach 300. Wenig später – als das Christentum Reichsreligion geworden war – schlug das Pendel um, und pagane Texte wurden indiziert und verbrannt. Man sieht daran leicht das politisch gleichsam Beliebige und Biegsame des Vorgangs. Die Forschung betont zudem den Symbolcharakter dieser Akte jedenfalls in der Neuzeit, denn mit dem Zeitpunkt der Erfindung des Buchdrucks in der Renaissance ist eine vollständige Vernichtung nicht mehr zu erzielen. Die Gefahr des Zivilisationsbruchs bleibt indes. Konjunktur kommt natürlich in Zeiten der Reformation: Luther verbrennt 1520 die päpstliche Bulle, die ihrerseits die Vernichtung seiner Schriften angeordnet hatte.
Zäsuren, auch in Freiburg
Die schon ab März 1933, dann am 10. Mai und auch danach in Berlin und anderen deutschen Städten, vor allem Hochschulstandorten, durchgeführten öffentlichen Bücherverbrennungen waren in der Systematik ihrer Inszenierung bislang ungekannt. Die Delegation der Durchführung besonders an Jugendorganisationen und Studentenschaften konnte das vermeintlich Fortschrittliche und intellektuell Verbürgte der Untat vor Augen führen. Vielleicht das eindrücklichste Zeugnis stammt von Erich Kästner: „Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war …“.
Längst schon erwies sich die Einschätzung, dass es in Freiburg eine Bücherverbrennung, jedenfalls in größerem Umfang, nicht gegeben habe, als falsch. Zu dem Fehlurteil verleitete das spärliche Bildmaterial und eine Missinterpretation schriftlicher Dokumente. Vor wenigen Tagen erschien das Buch des Historikers Heiko Wegmann zum Thema. Da kann (und sollte) frau/man nachlesen. Für den 17. Juni war ein „kleines Bücherfeuer“ beim Münster und danach ein „großes Bücherfeuer“ auf dem Exerzierplatz (heutiges Messegelände) geplant – starker Regen macht zunächst den Strich durch die Rechnung. Doch am 24. Juni endete ein Zug zum Universitätsstadion mit der nachgeholten Bücherverbrennung. Dabei blieb es nicht, noch 1938 im Zuge der Novemberpogrome kam es in Freiburg mindestens zu einer weiteren Bücherverbrennung. Wegmann wertet minutiös die Quellen aus und zeigt, wie die Jagd auf undeutsches Schriftgut eingebettet war in ein Netz von Verfemung, Enteignung und sog. Säuberungen. Folgerichtig entsteht auch die Frage, wo beschlagnahmte, aber nicht verbrannte Bücher verblieben sind: Hier stellte sich heraus, dass die Universitätsbibliothek als Umschlag und Drehkreuz fungierte. Wegmanns Suche nach den Hauptbeteiligten (selbstredend nicht zur Rechenschaft Gezogenen) ergibt ein Dutzend anschauliche „Biografische Skizzen“, aus denen der Freiburger Buchhändler Philipp Harden-Rauch als einer der zentralen Akteure und Drahtzieher hervorsticht.
Fahrenheit 451 bis zur Gegenwart
In George Orwells Überwachungsstaat „1984“ begegnet das Motiv der Buchverbrennung signifikant früh nach dem Weltkrieg: 1949. Die elaborierte literarische Dystopie lieferte dann der 1953 erschienene Roman des US-Amerikaners Ray Bradbury „Fahrenheit 451“. Wer das gelesen oder die sensationelle filmische Umsetzung von François Truffaut (1966) gesehen hat, wird die ‚Bilder‘ – zum Glück! – niemals vergessen: Buchbesitz generell ist da Verbrechen. Das lockt die Neugierde des zunächst im System ‚funktionierenden‘ Feuerwehrmannes am Lesen, am Widerspruch. Die Gefahr bleibt allerdings: Bei F 451 (= 233 Grad Celsius) entzündet sich Papier.
Der abscheuliche historische Vorgang muss mit Nachdruck erinnert werden. Denn Verbote von Literatur, Drangsalierung von Autoren, Bedrängung journalistischer Arbeit, auch das bloße Narrativ der Bücherverbrennung haben bis in die Gegenwart bekanntlich Konjunktur, in unterschiedlichem Maß, in vielen Staaten, meist nicht-demokratischen Systemen oder Kontexten.
„Wladimir Putin verglich Absagen an russische Künstler in Europa mit Bücherverbrennungen im Dritten Reich.“ (DIE WELT, 09.04.2022) – Kontinuität der Stilmittel nennt man das. Und selbstverständlich haben die russischen Besatzer in den letzten 14 Monaten systematisch ukrainische Bücher vernichtet.
Unter vielen, meist punktuellen, Bücherverbrennungen des vorigen Jahrhunderts nach dem Zweiten Weltkrieg sticht ein Quellenfund hervor: 1965 errichteten Jugendliche der Vereinigung EC (Entschieden für Christus) am Düsseldorfer Rheinufer einen Scheiterhaufen und gaben sog. Schundliteratur (Groschenromane, Zeitschrift Bravo etc.) ins Feuer. Immer wieder gibt es analoge Vorgänge bis heute, Harry Potter-Romane waren mehrfach Ziel der Verfemung, öfters von der evangelikalen Szene oder katholischen Priestern oder anderen Fundamentalisten angestiftet, schließlich gar als Event auf Facebook inszeniert.
Buch-Tipp: Heiko Wegmann, Dunkle Wolken über Freiburg. Nationalsozialistische Bücherverbrennungen, „Säuberungen“ und Enteignungen. 200 Seiten. Broschur. Neue Reihe des Stadtarchivs Freiburg i. Br., Heft 25 (2023). 12,90 €.
Heiko Wegmann stellt sein neues Buch „Dunkle Wolken über Freiburg“ am 10. Mai, 20 Uhr in der Stadtbibliothek vor. Anmeldungen: Hier geht’s zur Anmeldung.
Infos und Jubiläumsprogramm: nsdoku.freiburg.de/pb/1851648.html
Bildquellen
- Berlin: SS-Mann sichtet Bibliothek des jüdischen Sexualforschers Magnus Hirschfeld: Foto: gemeinfrei; Quelle: https://commons.wikimedia.org