Kunst

Ben Vautier und Maria Netter im Museum Tinguely in Basel

Museum Tinguely Basel: Ben Vautier und Maria Netter
Einzigartiger Aufbruch der Kunst seit den 1950er Jahren

„Ich fühle mich besser, wenn ich viel zeige“, hat Ben Vautier (*1935) einmal gesagt und so hat er rund 800 Werke und Objekte nach Basel bringen lassen, in denen sich Leben und Kunst mit Klamauk vermischen – in Form verspielter und oft trödelartiger Dinge sowie durch Schriftbilder auf Tafeln und Holzkisten, gemalte Sätze, die fragen, Gewissheiten aushebeln und doppeldeutige Aussagen machen, etwa „Ben is more important than nobody“ – „Ben ist wichtiger als niemand“.

© 2015 Museum Tinguely, Basel; Foto: Daniel Spehr
Raumansicht „Panneau Jaune“ in der Ausstellung “ ist alles Kunst ?“ von Ben Vautier im Museum Tinguely, Basel.
© 2015 Museum Tinguely, Basel; Foto: Daniel Spehr

Unter dem Titel „Ist alles Kunst?“ widmet das Museum Tinguely dem in Nizza lebenden Künstler und Performer eine Retrospektive. Im ersten Teil richten die Kuratoren einen analytischen Blick auf Ben Vautiers Werkgruppen der Anfangszeit; der zweite Teil, der rund dreißig Räume umfasst und von ihm selbst gestaltet wurde, gibt ausgiebig Einblick in sein verrücktes Universum. Am Beginn seiner Laufbahn sucht er nach einer eigenen Formensprache und entdeckt die Banane, die er anspielungsreich wie einen geknickten Phallus zeichnet. Zudem beschäftigt ihn eine Neudefinition der Kunst und er betätigt sich schließlich als Organisator und Theoretiker der aufstrebenden „Fluxus-Bewegung“, womit nicht zuletzt der Kunstbetrieb und die Konsumgesellschaft parodiert werden – Dada und Lettrismus stehen Pate. In konsequenter Fortsetzung des Readymade-Verfahrens von Marcel Duchamp unterschreibt er seine Produkte mit „Ben“, womit behauptet wird, nicht materielle Qualitäten definierten die Kunst, sondern die Praxis der „Appropriation“ und Signierung („Je signe tout“). Mit Schriftbildern und Denktafeln ersetzt Vautier im Übrigen die Darstellung durch die Bezeichnung, was die Imagination des Betrachters aktiviert.

Vautiers Laufbahn startet Ende der 1950er Jahre in seinem „Laboratoire 32“, einem kleinen Schallplattenladen in Nizza, der auch Galerie war sowie Treffpunkt für Künstler, darunter Yves Klein, Armand und Martial Raysse („École de Nice“). Hier wollte man den „Dornröschenschlaf des Kunstwerks“ stören, insbesondere mit öffentlich inszenierten Alltagshandlungen; davon zeugt die Werkserie „Gestes“, der in den 1960er und 70er Jahren „Straßenaktionen“ vorausgingen (etwa öffentliches Schneiden von Grimassen, penetrantes Warten an einer Bushaltestelle oder Durchschwimmen eines Hafens in voller Montur). Solch närrische Aktionen wurden dokumentiert und sind als historisches Filmmaterial in der Ausstellung zu sehen. Die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren von einzigartigen Persönlichkeiten geprägt.

Maria Netter – Fotografin und Kunstkritikerin
Das zeigt auch die anschließende Ausstellung zu Maria Netter (1917–1982), einer Frau, die sich damals in Basel zu einer Beobachterin und exzellenten Kritikerin der zeitgenössischen Kunst entwickelte. Als Fotografin ist es ihr gelungen, namhafte Akteure des schweizerischen und internationalen Kunstbetriebs zu porträtieren. Mit rund hundert ihrer meist unveröffentlichten Schwarz-Weiß-Fotos lässt sich die Geschichte des künstlerischen Neuanfangs nach 1945 erzählen, durch fotografisch erfasste Situationen und Porträts von Calder, Arp, Chagall, Poliakoff, Giacometti, Beuys, Chillida, Tinguely, Niki de Saint Phalle und Ben Vautier. Basel entfaltete sich in dieser Zeit zu einer Metropole der Moderne, woran Maria Netter, die Künstler, Stifter, Kuratoren und Galeristen kannte, mit Texten und Bildern beteiligt war. Als Sprecherin und Mitglied des Fachgremiums der seit 1970 veranstalteten Kunstmesse „Art Basel“ wirkte sie an deren Erfolg und Wachstum mit. Die Vita dieser „Augenzeugin“, feinsinnigen Persönlichkeit und glasklaren Intellektuellen, zeigt erstmals auch ein umfassender Katalog auf: Bettina von Meyenburg-Campell / Rudolf Koella. Augenzeugin der Moderne 1945–1975. Maria Netter. Kunstkritikerin und Fotografin (Schwabe Verlag 2015). Eine wirkliche Entdeckung!

Museum Tinguely, Basel, Paul Sacher-Anlage. Ben Vautier. „Ist alles Kunst?“. Jeden Donnerstag um 17.33 Gespräch im „Weltzentrum des Fragenstellens“. Bis 22.1. 2016. Maria Netter. Kunstkritikerin und Fotografin. Bis 7.2.2016. Di. bis So. 11 bis 18 Uhr.

Cornelia Frenkel