Balanceakt der besonderen Art
Cirque Nouveau im E-Werk mit „Hyrrätytö“
Die Uniformen, die vor dem purpurfarbenen Vorhang hängen, werden im Verlauf der Vorstellung auch dort bleiben. All die Paradeuniformen und auch der Tüllrock, der sich im Luftzug leicht zu bewegen scheint. Cirque Niveau ist anders, so anders, dass Schroeder mit leicht professoralem Unterton erst einmal zum Mikro tritt und eine Einführung in diese Zirkusform gibt, die ohne Tiere und Trapez auskommt.
Eigentlich ist Cirque Nouveau, so erfährt das Publikum im Freiburger E-Werk, eine Schwundstufe des richtigen Zirkus, die nach dem Ersten Weltkrieg entstand. Die Pferde, die nicht an die Kavallerie abgetreten werden mussten, überlebten den „Steckrübenwinter“ nicht, die Artisten und Musiker hingegen waren derart kriegsversehrt, dass die circensischen Ansprüche heruntergeschraubt werden mussten. Was blieb da? Kunst- und Musikstücke, die mit einer Hand ausgeführt werden konnten. Der Cirque Niveau, schlussfolgert Schroeder ist eine Unterhaltungsform, deren eigentlich artistische Leistung das Publikum gar nicht mitbekommt.
Das ist dann doch tiefgestapelt. Denn was das internationale Ensemble von Hyrrätytö im E-Werk zeigt (Regie: Stefan Schönfeld), ist staunenswert. Nicht, dass man den alten Zirkus nicht wieder erkennen würde. Das Tusch-Orchester wurde ersetzt durch eine Band (Bella Nugent, Roman Müller, Wolfgang Fernow, Schroeder), die ziemlich rockig die Nummern miteinander verbindet oder untermalt und Marcus Jeroch gibt den Conférencier mit Hang zur Hochkultur. Da darf Kafkas Erzählung über die Kunstreiterin „Auf der Galerie“ nicht fehlen und auch Texte von Enzensberger und Jandl rezitiert er. Wenn Jeroch zu Roman Müllers Bodenjonglage mit Diabolos über die Zeit im Allgemeinen und individuelle Lebenswege im Besonderen philosophiert, dann kommentiert sich beides gegenseitig.
Doch oft wirkt die zu Zwischentexten gewordene Literatur eher fremd, zumal Jeroch kein sehr variantenreicher Sprecher ist. Nur, weil etwas poetisch ist, braucht es nicht zwingend die Literatur. Was an Hyrrätytö beeindruckt, ist die akrobatische Leistung und Koordinationsfähigkeit. Claudia Franco etwa erweist sich als eine Meisterin des Roue Cyr, einem Rhönrad, das lediglich aus einem Reifen besteht und Marie-Eve Dicaire gehört zu den wenigen Frauen, die den einhändigen Handstand beherrschen. Die Kanadierin ließ sich bei der Circus School of Montreal ausbilden und hatte unter anderem Engagements beim Cirque du Soleil.
Dass sie ursprünglich vom Tanz herkommt, dürfte charakteristisch für das Ensemble sein. Die einzelnen Nummern wirken durchchoreografiert und auch theatralischer als man es vom traditionellen Zirkus kennt. Am eindrücklichsten zeigt sich das bei der Seiltänzerin Ulla Tikka, die in Freiburg bereits beim Palazzo Colombino zu sehen war. Tikka balanciert nicht nur auf einer Axt, sondern auch mit hohen Absätzen über das Seil. Und was sie dort zeigt, ist ein beeindruckender Tanz auf und mit dem Seil.
Annette Hoffmann