Theater

Austherapiert: Kamilé Gudmonaité tut sich am Theater Freiburg schwer mit Medeas Tat

Klar, ist der Platz sieben in der elften Reihe schon besetzt. Anna (Laura Angelina Palacios) wird sich einen anderen Sitz suchen müssen. Doch ihr eigentlicher Platz ist ja nicht im Publikum, sondern auf der Bühne. Denn Anna ist Medea, deren Stelle immer schon eingenommen ist. Von einer jüngeren Frau, die dazu gehört. Es ist ein Betrug, der an Auslöschung grenzt. Bereits 2014 hatte Simon Stone Euripides‘ „Medea“, so wie er es später am Theater Basel etwa mit Tschechow tun sollte, überschrieben. Vier Jahre später folgte die deutschsprachige Erstaufführung im Burgtheater unter seiner Regie. Nun bildet seine Fassung die Grundlage von Kamilé Gudmonaités Inszenierung am Theater Freiburg. Stone hatte das antike Drama mit einem realen Fall Mitte der 1990er Jahre in den USA verbunden. Debora Green hatte erst ihren Mann mit Rizin vergiftet, dann, als er sich nicht von seiner Geliebten trennen wollte, das Haus angezündet, zwei der drei Kinder starben in den Flammen.
Die Bühne des Kleinen Hauses ist geradezu steril. Selbst der Freischwinger in der von Plexiglas abgetrennten Passage hinten ist cremeweiß, daneben deuten ein Paar Gerätschaften ein Labor an, im Vordergrund links befindet sich ein Sofa samt Stehlampe, auf der rechten Seite steht ein Bett, allein das halbvolle Rotweinglas kündet an, dass hier Blut fließen wird. Über allem ist an der Rückwand eine Projektionsfläche installiert (Bühne und Kostüm: Barbora Sulniute). Annas Söhne Edgar und Georg (Gian Mutschlechner/Mani Müller) werden die Auslöschung ihrer Familie mit der Handkamera dokumentieren.
Doch noch sieht alles nach Neuanfang aus. Anna, aufgeräumt in weißer Bluse und Jeans, ist gerade aus der Psychiatrie entlassen und trotz des vereitelten Giftanschlags auf ihren Mann, ist Lucas (Lukas T. Sperber) bereit, sie bei ihrer Rückkehr ins Leben zu unterstützen. Doch was heißt schon Rückkehr. Lukas, eher ein durchschnittlicher Forscher, hat längst ihren Platz im Labor eingenommen. Der Ehe und der Kinder zuliebe hatte Anna bereits vor einigen Jahren ihre vielversprechende Karriere unterbrochen. Eine heutige Medea legt ihrem Jason nicht mehr das Goldene Vlies zu Füßen, sondern Daten, die in der pharmazeutischen Forschung Gold wert sind. Und Glauke ist keine Prinzessin mehr, sondern die Tochter des Laborbesitzers Christoph. Sie ist blutjung und arbeitet für eine NGO. Clara (Laura Friedmann) kann sich so viel Altruismus erlauben und trägt den prätentiösen Dutt ihrer Generation. Doch eine heutige Medea ist immer noch so zauberkundig, dass sie um die verheerende Wirkung der Samen des Wunderbaums weiß und dass keine Kunsttherapie ihre Wut zähmen kann. Doch eine heutige Medea muss nicht mehr verbannt werden. Christoph (Holger Kunkel) schützt seine Familienlinie und überträgt seinem zukünftigen Schwiegersohn die Leitung eines Labors in China. Anna werden die Kinder entzogen. Medea muss da nicht einmal mehr aus der Fremde kommen, die Frau ist das Fremde, was in dieser patriarchalischen Welt ausgelöscht wird.
Lucas ist von einer solchen Wucht entwaffnet, zu gerne würde er sein Leben einfach weiterleben, nur mit einer jungen Frau an seiner Seite. Lukas T. Sperber gibt ihn als gräulichen Rollkragenpulloverträger von großer Harmlosigkeit, der es beiden Frauen irgendwie recht machen will. Den Abstürzen, Drohungen, Verführungen von Anna hat er kaum etwas entgegenzusetzen. Überhaupt fehlt Laura Angelina Palacios‘ ziemlich energetischer Anna ein Gegengewicht. Die junge Sozialarbeiterin Mary-Louise (Charlotte Will) hätte man lieber mit einem Anfängerfall betraut, und von Clara lässt sich nicht einmal sagen, dass sie einmal zumindest jung gewesen war. Es geht ja nicht gut für sie aus – es geht überhaupt nicht gut aus. Und dies scheint für die Regie ein Problem, das durch Spielchen mit dem Publikum wie die anfängliche Platzsuche und auch später noch einmal abgefedert werden soll sowie einen kurzen Moment von Anna und Lucas, der etwas von der Leichtigkeit einer jungen Liebe hat. So als könnte man Mord moderieren: die Tragödie als homöopathische Dosis. Doch die Tat ist ein Schwergewicht, das das Ensemble blass aussehen lässt.

Weitere Vorstellungen: 22./29. Dezember im Kleinen Haus des Theater Freiburg.

Bildquellen

  • Holger Kunkel, Mani Müller, Gian Mutschlechner, Laura Friedmann, Laura Palacios: Foto: Amelie Amei Kahn-Ackermann