Ausstellung „andererseits“ mit Fotografien von Lidong Zhao bei Kunst Koch in Freiburg
Die aktuelle Ausstellung bei Kunst Koch ist in zweierlei Hinsicht hochinteressant: Kunst Koch benennt keinen speziellen Kunstraum, sondern Kunst findet dort ganz einfach statt. Und zwar in den normalen Geschäftsräumen der Firma Beschläge Koch und bei deren laufendem Betrieb. Die jeweiligen Exponate der beiden Ausstellungen pro Jahr hängen oder stehen in Büros (auch in denen der Geschäftsleitung), in Fluren, im Treppenhaus, im Foyer oder der Cafeteria, also mitten im Tagestrubel. Beim Durchgang passiert man große Glasfronten, die Einblicke in den Produktionsablauf freigeben.
Zweitens der Künstler: Die Fotografien von Lidong Zhao stellen all unsere Seh- und Interpretationsgewohnheiten mitsamt unseren Vorstellungen von Subjekt-Objekt-Beziehungen auf den Kopf oder vielleicht besser in Anlehnung an Friedrich Engels vom Kopf auf die Füße.
Die Ausstellung enthält fotografische Bilder aus zwei Werkgruppen des Künstlers. Alle Bilder der einen sind gleichermaßen „ohne Titel (Landschaft)“, die der anderen „ohne Titel (Stillleben)“ benannt.
Die eher großformatigen Landschaftsbilder heißen so, nicht weil sie primär Landschaften abbilden, sondern nur, weil sie in der Landschaft fotografiert wurden. Sie zeigen allesamt „nur“ Ausschnitte aus dichtem Ast- und Dickichtgewirr, engstehende Baumgruppen unterschiedlicher Holzarten mitten im Wald oder an seinen Rändern oder Teile von dichtverzweigten Baumkronen, mal verwittert, mal in Blüte stehend. Sie tendieren stark ins Monochrome, Buntheit existiert nur verhalten. Sie wirken im ersten Blick befremdend und ungewohnt. Genauer betrachtet wird klar: Sie haben alle kein Hauptmotiv, alle Bildkomponenten erscheinen gleichberechtigt, die Bildtiefe gliedert sich nicht klar in Vorder- und Hintergrund, sie offenbart höchstens mehrere Bildebenen, die in keinem hierarchischen Verhältnis zu einander stehen und es wird weitgehend darauf verzichtet, mit Schärfentiefe zu experimentieren. Dies entspricht Zhaos Weltsicht, dass ein permanent bestehendes enges Beziehungsgeflecht zwischen Subjekt, Objekt, Raum und handelndem Individuum besteht, in dem es zunächst kein richtig und falsch, kein besser oder schlechter, kein zuerst oder später gibt. Danach richtet sich auch seine Arbeitsweise. Er geht unvoreingenommen in die Landschaft, lässt seine Umwelt ohne vorgefasstes Ziel auf sich wirken und wird dadurch zu ihrem kongenialen Partner. So begegnen ihm seine Landschaftsbilder, ohne dass er sie mit Vorsatz gesucht hat. Dieses Verhältnis setzt sich auch in der Nachbearbeitung fort. Der Bildausschnitt wird nicht am Computer festgelegt, sondern er bleibt so wie er fotografiert wurde.
All dies gilt grundsätzlich ebenso für Lidong Zhaos Stillleben, obwohl er das Setting komplett selbst inszeniert, allerdings ohne Verwendung von künstlichem Licht. Auch hier strebt er die gleichrangige und aufeinander bezogene Einheit der Bildkomponenten im Raum an, allerdings in einer Laborsituation.
Philosophisch interpretiert könnte man in seinen Werken von der Abbildung einer multiplen und jeweils endlosen dialektischen Wechselbeziehung gemäß dem Gesetz der Einheit der Gegensätze sprechen und politisch von einer artifiziellen Kritik an allen auf Ausbeutung und Unterdrückung basierenden gesellschaftlichen Zuständen. Ein Besuch lohnt sich!
„andererseits“, Lidong Zhao. Kunst Koch, Hanferstr. 26, Freiburg. Mo-Fr, 10-16. Bis 10. Februar 2023. www.beschlaege-koch.de/kunst-koch
Bildquellen
- Lidong Zhao: „Zwischen“, 2022: © Lidong Zhao
- Lidong Zhao: „Ohne Titel“, Stilleben, 2021: © Lidong Zhao