Aufbruch in die Katastrophe
Das Freiburger Theater etabliert sich mit einem packenden „Lohengrin“ als bedeutende Wagner-Spielstätte
Lohengrin ist keine Lichtgestalt. Da kann Christian Voigt in den lyrischen Passagen noch so viel Wärme entstehen lassen, da kann er seine Elsa (ein Ereignis: Christina Vasileva) noch so innig küssen – Regisseur Frank Hilbrich traut diesem Erlöser nicht. In seiner bildstarken, klugen Inszenierung am Freiburger Theater ist der bärtige Lohengrin kein Heilsbringer, sondern ein großer Verführer, der eine Massenhysterie in Gang setzt und am Ende eine zerstörte Gesellschaft hinterlässt. Er zündet aber nur den Funken – der Flächenbrand entsteht durch die eigenen Vernichtungskräfte der menschlichen Gemeinschaft.
Richard Wagner hat diese romantische Oper als seine traurigste bezeichnet. So wenig Hoffnung wie in Freiburg war selten. Auch der am Ende von seiner Schwanengestalt erlöste Thronfolger Gottfried, der hier ein Junge ist (Andreas Hauser) und schläft oder vielleicht auch gar nicht lebt, ist keine Perspektive. „Weh“ singt der Chor, leise verklingt das Orchester. Stefan Heyne hat für diesen „Lohengrin“ eine große Bibliothek gebaut, die im Laufe des Abends immer leerer wird und am Ende ganz ohne Bücher an eine Festung mit Zinnen erinnert – die „Heil“- Rufe des stimmgewaltigen Chores (Einstudierung: Bernhard Moncado) und die aggressive Ansprache des Heerrufers (massiv, aber etwas polternd: Juan Oroczo) die Assoziation. Wie überhaupt die Massenszenen im Dirigat von Fabrice Bollon eine ungeheure Wucht entfalten. Auch wenn nicht jede Fanfare sitzt und die Holzbläser beim lichten Vorspiel am Ende ein wenig intonationsgetrübt sind – die Leistung des Philharmonischen Orchesters Freiburg ist beachtlich. Gemeinsam mit dem herausragenden Chor entsteht unter dem Freiburger Generalmusikdirektor eine hochdramatische Lesart, die trotz aller Zuspitzung immer klingt und nie ins Dröhnen verfällt. Die Pianokultur in den vielen lyrischen Passagen ist vorbildlich. Und hilft nicht nur Christian Voigt in der Titelrolle, große melodische Bögen zu spannen. Das hohe Niveau kann der Tenor nicht ganz über den gesamten Premierenabend halten; besonders am Ende des zweiten Aktes fehlt ihm ein wenig die Durchschlagskraft. Aber im dritten Akt härtet er seine obertonreiche Stimme, so dass dieser Lohengrin das Orchestertutti überstrahlt. Die Elsa von Christina Vasileva besitzt ebenfalls enorme Ausstrahlung, auch wenn sie die Regie zunächst in labbrige Alltagsklamotten steckt. Vasilevas Sopran ist geschmeidig, tragfähig und höhensicher. Und berührt besonders in den ganz nach innen gerichteten Phrasen. Neben der großen Geschichte der Selbstzerstörung einer Zivilisation, die im Detail ein wenig zu holzschnittartig erscheint (wie genau diese Fanatisierung des Volkes vor sich geht, erfährt der Zuschauer nicht), erzählt Regisseur Frank Hilbrich in seinem „Lohengrin“ auch kleinere Geschichten, die rätselhafter bleiben. Die Scherben, unter denen Lohengrin beim Vorspiel begraben liegt, kehren im Laufe des Abends wieder. Sie sind Bruchstücke eines Spiegels, reflektieren Lichtpunkte in den Theaterraum und finden sich auch auf Elsas Brautkleid (Kostüme: Nicole von Graevenitz). Als Elsa trotz des Frageverbots Lohengrins Namen wissen will, richtet sie einen Spiegel auf den Geliebten. Das Spiegelbild als Vergewisserung einer Identität, die Scherben als Bruchstücke von Lohengrins Reinheit – ein Symbol, das viele Assoziationen hervorruft. Auch der Schwan kommt in verschiedenen Erscheinungsformen vor. Als Foto im Buch, als Zeichnung der Brabanter und schließlich zum Staunen des Premierenpublikums als lebendiges, echtes Tier, dem zu Beginn des dritten Aktes gehuldigt wird. Eine Schwanenreligion ist in Trabant entstanden, die fundamentalistische Züge entwickelt. Am Ende tragen alle Männer Bart. Und alle Bücher, Zeichen der Zivilisation, sind im Müll entsorgt oder verbrannt. Vielleicht hätte man doch den zweifelnden Gegenspielern Ortrud (fulminant: Sigrun Schell als kühle, mit messerscharfem Sopran agierende Meisterin der Intrige) und Friedrich von Telramund (stark: Neal Schwantes als stimmgewaltiger, zäher Spießer) ein wenig mehr Gehör schenken sollen. Aber auch König Heinrich (markant, aber zu unausgewogen: Jin Seok Lee) richtet das Fähnlein nach dem Wind. Und der verheißungsvolle Aufbruch mündet in der Katastrophe. Weitere Vorstellungen: 3./16. Febr., 3./10. April, jew. 18 Uhr, Theater Freiburg.
Georg Rudiger