„Angels in America“ nach Tony Kushner im Theater Freiburg
Engel im Lärm der Großstadt
Im Foyer des Theaters stehen Vertreter der AIDS-Hilfe Freiburg, im Beiheft wird vom globalen Tabu der HIV-Infektion und ihren Folgen gewarnt. Aber wir sprechen nicht von AIDS in America, sondern von der Oper Angels in America.
Angels in America ist nicht eminent politisch, aber auch kein metaphysisches Singspiel. Vielmehr dazwischen findet das Musiktheater nach einem Libretto von Mari Mezei und zur Musik von Peter Eötvös zu einem eigensinnigen, bestechenden magischen Realismus. Literarische Vorlage des Werks ist Tony Kushners Erfolgsdrama Angels in America: A Gay Fantasia on National Themes von 1991. Kushners Drama erschien in einer Zeit, in der die AIDS-Welle in Amerika viele Tote gefordert, aber zu nur wenig Aufklärung und Zusammenhalt geführt hatte. Handlungsort ist ein New York der Außenseiter, Protagonisten sind Schwule, Einsame, Zyniker.
Auftakt: Über der Bühne liegt ein schwärzlicher Regenschleier, dahinter eine Beerdigung. Der junge Prior Walter (Robin Adams) sieht zu, wie seine Großmutter ins Grab gelassen wird. Dabei weiß er, dass auch er bald sterben wird. Als er seinem Freund Louis (Joshua Kohl) seine AIDS-Erkrankung offenbart, verlässt ihn dieser. Prior bleibt alleine in einer Großstadt, in der Verzweiflung und Leere dicht beieinander stehen.
Gleiches erfahren der unglücklich verheiratete schwule Joe (John Carpenter) und seine valiumabhängige Frau Harper (Inga Schäfer). Aber auch der skrupellose Staranwalt Roy Cohn (Andreas Jankowitsch)ist schwul, will es aber nicht zugeben, selbst als bei ihm der HIV-Virus diagnostiziert wird. In seiner Todesstunde trifft der Uneinsichtige das Opfer eines seiner hetzerischen Urteile, ebenso wie der verzweifelte Prior seinen Engel trifft. (Gesang: Carina Schmieger; Szene: Miriam Götz). Der hat jedoch keine frohe Botschaft für ihn.
Unter der Regie von Ingo Kerkhof (Dramaturgie: Tatjana Beyer) und der musikalischen Leitung durch Daniel Carter ist Angels in America zum ausladenden Musikschauspiel geworden, das nicht nur tonal, sondern auch im grauen Bühnenbild (Dirk Becker) und seinen verzweifelten Dialogen schwere Kost bietet.
Das Philharmonische Orchester Freiburg spielt die oft atonalen, atmosphärisch-zittern-den Klangteppiche Peter Eötvös‘ drängend aber prägnant, untermalt von elektronisch realisierten Großstadtsounds durch das SWR Experimentalstudio. Von der Großstadt selbst sieht man aber nicht viel. Vor allem sind es karge graue Innenräume, die aber nur selten abgegrenzt sind und von realen bis irrealen Figuren besetzt werden. Alle sitzen aufeinander, bedingen ihr Unheil, dringen aber nicht zueinander durch. Bezeichnend, dass der große Kulissenwechsel nach der Pause eine arktische Eisfläche als Himmelslandschaft präsentiert. Jenseitige Hoffnung weicht absoluter Leere.
Die Gesangsleistungen vor dieser Kulisse sind konsequent, beachtet man den Bruch mit dem vollendeten Wohlklang klassischer Opern hin zur modernen Verzweiflung des gebrochenen Menschen. Gerade Robin Adams zeigt sich vielseitig. Sein Prior will leben und tut dies flehend, fluchend, spottend. Herausragend auch Carina Schmieger, die am Premierenabend kühn für Susanna Schnell einsprang. Sie beweist sich im Singen der syntaktisch verkanteten Engelssprache, die zwischen Bibel, Nihilismus und erotischer Entäußerung changiert.
Die Konfrontation mit diesen komplexen Textflächen zeigt in der zweiten Hälfte aber auch, wie sich die Oper in ihrer Verkürzung des Theatertexts übernimmt. Ihr großes Finale gerät zur textlich überladenen und handlungstechnisch übereilten Revue. So kommt der Schluss plötzlich und lässt den atmosphärischen Vielklang der ersten Hälfte leider deutlich missen.
Fabian Lutz
Weitere Aufführungen: 7./27. April, 10./18. Mai und 3. Juni im Großen Haus des Theater Freiburg.