Interview

Andreas Altmann im Gespräch über sein Buch „Verdammtes Land. Eine Reise durch Palästina“

 

Andreas Altmann
Andreas Altmann

 

Schon so vieles wurde über den Nahost-Konflikt geschrieben, und dennoch scheint bis heute keine Lösung in Sicht. Daher stellte sich Andreas Altmann in seinem Buch „Verdammtes Land. Eine Reise durch Palästina“ diesen Anspruch erst gar nicht. Doch er reiste durch Palästina, nahm an Demonstrationen teil, wurde verhaftet, sprach mit Israelis und Palästinensern, war Zeuge unglaublicher Gewalt. Wenn uns die Menschen Palästinas und ihre Probleme bislang fern erschienen waren, so kommen wir ihnen nun plötzlich ganz nah. Derzeit befindet sich der mehrfach ausgezeichnete Reporter und Buchautor auf Lesereise mit seinem kürzlich in vierter Auflage erschienenem Buch. Friederike Zimmermann sprach mit ihm über Glauben und religiösen Fanatismus, der einen dauerhaften Frieden in dieser Region unmöglich macht.

Kultur Joker: Herr Altmann, Sie schreiben in Ihrem Buch: „Israel kommt mir wie ein guter Freund vor, den ich dabei ertappe, wie er schreckliche Dinge tut. Und ich mich frage, ob ich jetzt von ihm weggehe und die Freundschaft kündige.“ Wie oft waren Sie schon in Palästina oder in Israel? Wie lange dauerte Ihre Reise 2012?

Andreas Altmann: Zwei Mal. Die Reise für das Buch dauerte zweieinhalb Monate. Man bedenke, dass die Fläche Palästinas ein Zwölftel Bayerns beträgt. Ein winziges Land also, in dem man jeden Ort – wenn man nicht via Kontrollen und Checkpoints und andere Willkürakte der israelischen Armee und/oder der religiös-fanatischen jüdischen Siedler gehindert würde – mit dem Auto in einer guten Stunde erreichen könnte.

Kultur Joker: Ist Ihr Buch nach den jüngsten Nahost-Konflikten im Juli 2014 denn noch aktuell oder gar aktueller denn je? Offenbar gibt es immer irgendwelche Kräfte auf beiden Seiten, die – unabhängig der politischen Beschlüsse – das Feuer am Lodern halten wollen.

Andreas Altmann: Haha, „noch aktuell“, das klingt witzig, das Buch wäre schon vor 47 Jahren aktuell gewesen. Denn seit so vielen Jahren stiehlt der israelische Staat den Palästinensern ihr Land. Das Feuer hält vor allem die israelische Armee am Lodern, denn in ungeheurerer Unverhältnismäßigkeit bombt es die palästinensische Bevölkerung tot, letzte mörderische Bilanz in Gaza: 2121 tote Palästinenser, davon über FÜNFHUNDERT Kinder, davon drei Viertel Zivilbevölkerung! Dem gegenüber: 84 tote Israelis, davon VIER Zivilisten!

Kultur Joker: Doch war ja für die aktuelle Krise die Entführung jüdischer Jugendlicher der Auslöser. Im Grunde weiß natürlich kein Mensch, wer in Wahrheit die Drahtzieher sind, die hinter dem ewigen Unfrieden stecken. Darum scheint es ja aus dieser Situation keinen Ausweg zu geben. Gerade deshalb finde ich es aber auch problematisch, Schuldzuweisungen zu machen. Was glauben Sie würde passieren, wenn Israel das Land an Palästina zurückgeben würde. Gäbe es dann Frieden?

Andreas Altmann: Das ist das typisch deutsche Gerede, klar, man weiß nichts Genaues, beide sind irgendwie schuld! Nijet! Es geht hier in diesem Buch um eigentlich nur EINE Tatsache: Israel stiehlt den Palästinensern ihr Land. Da gibt’s kein „Ja, aber“, da gibt’s nur: „JA! SO IST ES!“ Das kommt mir so vor, als stünde ein Mann wegen erwiesener Vergewaltigung einer Frau vor Gericht und er sagte dann, um sich zu rechtfertigen: „Ja, stimmt schon, aber irgendwie sah die Frau so sexy aus.“ Auch hier gilt nur: „JA, ich habe diese Frau vergewaltigt, JA, ich habe ein Verbrechen begangen!“ Und nicht anders im Fall Israel / Palästina: Längst hat die internationale Völkergemeinschaft das Verbrechen Israels – den notorischen Landraub Palästinas – als völkerrechtliche Untat beim Namen genannt. Und wir hier in Deutschland schwätzen noch immer: „Ja, aber!“ – Nun, zu Ihrer zweiten Frage. Was passieren würde, wenn Israel den Palästinensern ihr gestohlenes Land zurückgeben würde? Na, was wohl: Ein ungeheures Unrecht würde aufhören! Ob es dann Frieden geben würde? Bin ich Wahrsager? Auf jeden Fall hätten dann die rechtmäßigen Eigentümer wieder ihren Besitz. Und das wäre sicher ein Schritt hin zum Frieden.

Kultur Joker: Was ist Ihrer Meinung nach das Hauptübel, das einen dauerhaften Frieden in diesem Gebiet verhindert?

Andreas Altmann: Der Gotteswahn der fanatischen jüdischen Siedler – inzwischen mehr als eine HALBE MILLION in Palästina -, die von dem Irrsinn ergriffen sind, dass ihnen ein Herrgott vor ein paar Tausend Jahren Palästina „geschenkt“ hat. Deshalb haben sie der eigenen Regierung sogar mit Bürgerkrieg gedroht, sollte die Armee kommen und sie – zurück nach Israel – zwangsevakuieren. Kein israelischer Politiker wagt es, sich mit diesen vom Wahn Besessenen anzulegen. Der letzte, der es gewagt hat, war Jitzchak Rabin. Für seinen Mut wurde er von einem ultra-orthodoxen Juden erschossen.

Kultur Joker: Im Klappentext ist zu lesen, dass (natürlich) auch Ihr Buch keine Vision aufzeigen kann, die zur Versöhnung beider Völker beitragen könnte. Worin besteht dann die Intention Ihres Buches?

Andreas Altmann: Unter anderem darin, dass wir aufhören hier in Deutschland, grundsätzlich alles richtig zu finden, was sich Israel seit fünfzig Jahren an Missachtung des internationalen Völkerrechts erlaubt. Dass die Leute nicht nachplappern, was unsere Politiker an Beschwichtigungstiraden produzieren, dafür aber erfahren, was an Erniedrigung, an Landraub, an Schikane und Entwürdigung jeden Tag zu jeder Stunde in Palästina geschieht.

Kultur Joker: Es gibt Beispiele aus der Kultur, die Israelis und Palästinenser zusammenführen und sie vergessen lassen, dass sie eigentlich Feinde sind. – Man denke etwa an die Daniel Barenboim Stiftung und das West-Eastern Divan Orchestra, das aus Israelis und Palästinensern besteht. Zeigt sich hierin ein Hoffnungsschimmer? Könnte gemeinsam gelebte Musik (bzw. Kultur) zum dauerhaften Frieden in dieser Region beitragen?

Andreas Altmann: Na klar gibt es solche Bemühungen, in meinem Buch treffe ich ja immer wieder Israelis, die mit Leib und Seele und Verstand den Palästinensern helfen, die sich vor Jahren schon zu der einfachen Wahrheit durchgerungen haben, dass Palästinenser dasselbe Recht wie Juden haben, in Frieden und Freiheit in ihrem eigenen Land zu leben.
Kultur Joker: In Ihrem Buch deuten zahlreiche Stellen darauf hin, dass Sie die verschiedenen Religionen für den Unfrieden in Palästina verantwortlich machen. Kann denn Beten „Sünde“ sein?

Andreas Altmann: Nun denn, ich glaube, dass auf der Rampe von Auschwitz die Religion ihre letzte Bankrotterklärung unterschrieben hat. Was für ein närrischer Herrgott müsste das sein, der zuerst dieses unfassbare Leid auf der Welt zulässt und den man dann – kniend und Gebete wimmernd – anbetteln muss, damit er mit dem Leid aufhört. Uff, wieviele Milliarden Gebete wurden schon im Nahen Osten gemurmelt und der Herrgott will noch immer nicht hinhören? Haha, die Vorstellung, da oben hockt einer und hört hin oder hört nicht hin, die ist zum Schreien komisch.

Kultur Joker: Sie sagen von sich, dass Sie jede Religion ablehnen. Dennoch suchten Sie in Palästina das Gespräch mit Gläubigen aller drei dort vertretenen Religionen – Juden, Muslime und Christen –, um sich in deren Perspektiven einzufühlen. Wie geht das?

Andreas Altmann: Na klar geht das, denn der unfassbare Blödsinn, den man da hört, der hat ja auch Unterhaltungswert! Man glaubt gar nicht, wieviel Schwachsinn in einem einzigen Menschenhirn Platz hat. Den absoluten Vogel des Aberwitzes hat ein Jude abgeschossen, der mir erzählte, dass Hitler von Gott geschickt wurde, um die „bösen Juden“ zu vergasen: Weil sie vom „rechten Weg“ abgekommen waren, sprich, nicht mehr buchstabengetreu den Vorschriften des Talmuds, der Thora gefolgt sind. Gehört so einer in die Irrenanstalt? Ja! Was ich von christlicher und muslimischer Seite gehört habe, war auch von abenteuerlicher Grenzwertigkeit, aber immerhin, Herr Hitler wurde nicht als Retter der Menschheit zitiert.

Kultur Joker: Kann man sich überhaupt aus europäischer Sicht in diese Menschen einfühlen?

Andreas Altmann: Warum denn nicht? Jeder Mensch ist mein Niveau. Seine Träume und Ängste und Schmerzen sind meinen so ähnlich. Klar, man muss nah ran, man muss sich trauen, man muss besessen neugierig sein.

Kultur Joker: Ihre Ausführungen beruhen weitgehend auf Aussagen von Palästinensern. Die meisten Israelis sind mit der Besiedlungspolitik nicht einverstanden. Warum kommen sie in Ihrem Buch nicht zu Wort?

Andreas Altmann: Doch, gewiss berichte ich von Israelis, die dagegen sind, die für die Palästinenser eintreten, die Gewalt und Gefängnis riskieren. Ich bin mit ihnen unterwegs, reise mit ihnen, rede mit ihnen, zitiere sie. – Ach, von der Mehrheit der Israelis, die angeblich gegen die Besatzung ist, weiß ich nichts, ich weiß aber, dass knapp 90 Prozent die letzte Bombardierung des Gazastreifens für richtig hielten!

Kultur Joker: Mag sein, dass das so war, nachdem die Hamas hunderte von Raketen auf Israel abgefeuert hatte…

Andreas Altmann: Genau, da sind wir wieder beim politisch korrekten Geschwafel, das wir jeden Tag aus Berlin hören. Warum kommen die Raketen aus Gaza? Weil dort 1,5 Millionen Menschen auf engsten Raum, seit knapp fünfzig Jahren, von der israelischen Armee in ein riesiges Freilicht-Zuchthaus gesteckt wurden. Menschen, die nicht reisen dürfen, die nicht mal ihre Verwandten im anderen Teil von Palästina besuchen dürfen, deren Flughafen (von EU-Geldern bezahlt) kaputtgebomt wurde, deren Fischer nicht auf die internationalen Gewässer rausdürfen, die alle paar Jahre per TAUSENDE von der israelischen Armee in den Tod gebombt werden, und die Gazaner sollen sich das gefallen lassen? Was würden die Freiburger sagen, wenn Trupps aus Frankreich anrückten, die Stadt einzäunten, die Menschen erniedrigten und immer wieder mal Lust auf ein Blutbad verspürten? Schrieben die Freiburger dann Liebesbriefe an ihre Schinder? Oder wehrten sie sich mit aller verfügbaren Macht? Hoffentlich JA!
Ich zitiere mich jetzt selbst, hier eine Stelle aus „Verdammtes Land“, sie beschreibt eine Szene, deren Zeuge ich war, als ich mitansehen musste, wie Soldaten der israelischen Armee das windige Steinhaus einer palästinensischen Familie per Bulldozer kaputtgewalzt haben. Ein Reporter muss ganz nah kommen, erst dann wird ihm die Ungeheuerlichkeit der Tat bewusst: „Jetzt, um 10.47 Uhr, weiß ich wieder, was ich schon lange wusste: dass es ohne jeden Belang ist, welcher Religion ein Mensch angehört, ob Christ oder Moslem oder Hindu oder vollkommen glaubenslos, ohne Belang, zu welcher „Rasse“ er zählt, ob der Mensch Jude ist oder Araber, dunkelschwarz oder hellweiß, ob einer seinen Unterhalt als Clown oder Reisbauer verdient, ob er im Nahen Osten oder in Hinterindien lebt, ob er an Gott glaubt oder einem anderen Aberglauben vertraut, ob er stinkt vor Geld oder stinkt von den Abfallhaufen, in denen er wühlen muss, ob jung oder alt, ob formschön oder verkrüppelt, ob Schöngeist oder einfaches Menschenkind: Es gibt Frauen und Männer, wie hier gerade, die schon taub geworden sind, schon vereist, schon erstickt in ihren hornhautverschweißten Herzkammern. Und es gibt die anderen, wie Ezra, der Jude, zum Beispiel, die haben sich dieses klare Herz bewahrt und spüren untrüglich, was gut ist und was nicht.“

Kultur Joker: Herr Altmann, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Bildquellen

  • Andreas Altmann: Foto: privat