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Alles ziemlich queer hier: Axel Ranisch bringt Sergej Prokofjews Oper „Der Spieler“ nach Fjodor Dostojewskis Roman auf die Bühne der Stuttgarter Staatsoper

Sein Debüt an der Stuttgarter Staatsoper mit Sergej Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“ im Jahr 2018 war ein Geniestreich. Axel Ranisch inszenierte die groteske, märchenhafte Geschichte als Computerspiel aus den 90ern mit pixeligen Videos und einem ebensolchen Bühnenbild. Nun ist der Film- und Fernsehregisseur (u.a. „Ich fühl mich Disco“, „Nackt über Berlin“) nach seiner dystopischen „Hänsel und Gretel“-Lesart (2022) für Prokofjews erste große Oper „Der Spieler“ nach Dostojewskis gleichnamigem Roman erneut an das Haus zurückgekehrt. Und verfrachtet das im fiktiven Roulettenburg spielende Geschehen auf den Mars: eine an Elon Musks Fantasien angelehnte Zufluchtsstätte für Superreiche, während die Welt in Trümmern liegt. So originell Ranischs Grundidee auch ist – sie wird bei der Stuttgarter Premiere zu wenig mit Leben gefüllt. Die rötliche Wüstenlandschaft von Bühnenbildnerin Saskia Wunsch schafft trotz der knalligen Kostüme (Claudia Irro, Bettina Werner) und der Spiellust der Akteure keine eigene Welt. Ranisch gelingt es auch nicht, das Groteske so zu überspitzen, dass es schmerzt.
Mit noch größerer Spannung wurde in Stuttgart die musikalische Realisierung erwartet, denn am Pult des Staatsorchesters stand mit Nicholas Carter der künftige Stuttgarter Generalmusikdirektor (ab 2026/27). Der Australier, Chefdirigent der Bühnen Bern, arbeitet die schroffen und scharfen Seiten der kniffligen, kurzatmigen Partitur heraus. Die Dissonanzen kosten die Blechbläser aus. Meist klappen die heiklen rhythmischen Überlappungen und häufigen Taktwechsel ohne Reibungsverluste. Was dem Orchesterklang mitunter fehlt, ist Brillanz und Raffinesse. Zu Beginn des vierten Akts klappert es in den hier auch zu stumpfen Streichern. Auch beim Auftritt der Babulenka (großartig: Véronique Gens), deren Erbe eigentlich die finanziellen Probleme der Protagonisten lösten sollte, ist Sand im Orchestergetriebe.
Warum der verschuldete General, dem Goran Juri stimmlich mit viel Testosteron ausstattet, ein ärmelloses Jackett ohne Hose trägt und der geldgebende Marquis (präsent: Elmar Gilbertsson) Hotpants mit Puffärmeln kombiniert, erschließt sich nicht. Weitere Hingucker: das vor allem aus blauen Schleifen bestehende Kleid von Blanche, der Stine Marie Fischer Klasse und Temperament verleiht, und die Overknee-Stiefel des Fürsten Nilski (Robin Neck). Alles ziemlich queer hier. Nur der Hauslehrer Alexej und Polina, die Stieftochter des Generals, sind nicht Teil dieser durchgeknallten Gesellschaft, sondern Einzelgänger, die mal emotional zusammenfinden, sich dann aber auch wieder fetzen. Ausrine Stundyte verleiht Polina mit ihrem kräftigen, enorm tragfähigen Sopran dramatische Wucht. Die exponierte Partie von Alexey singt Daniel Brenna mit Intensität und perfekter Projektion. Die von Ranisch angedeutete heimliche Liebe zwischen dem Casinobesitzer Mr. Astley (Shigeo Ishino) und Polina bleibt ohne Konsequenz. Wie auch die allmähliche Zerstörung der Erde (Projektionen: Philipp Contag-Lada) szenisch nicht zu Ende gedacht wird.
Im temporeichen vierten Akt findet man sich plötzlich nicht mehr auf dem Mars, sondern auf einem überdimensionierten Roulette wieder. Die Spieler selbst werden zur Kugel und laufen über die Scheibe. Dazu regnet es unter virtuosen Orchesterklängen Geldscheine vom Himmel, weil Alexej so viel gewinnt, dass die Bank schließen muss. Polina bekommt er aber trotzdem nicht. Und auch Mr. Astley bleibt trotz seines schicken goldenen Anzugs allein.

Weitere Vorstellungen: 15./19./30.3.

Bildquellen

  • Daniel Brenna als Alexej: © Martin Sigmund