Allegorie des Sehens
„Mit Stift und Feder“ bringt im Augustinermuseum das grafische Werk in Erinnerung
Dass diese Ausstellung zur Unzeit käme, lässt sich wirklich nicht behaupten. „Mit Stift und Feder“, so der Titel der Präsentation von Zeichnungen vom Klassizismus bis zum Jugendstil im Augustinermuseum versteht sich als Schaufenster der Sammlung, die zukünftig in einem eigenständigen Gebäude unterkommen wird. Noch ist das „Haus der Graphischen Sammlung“ in Bau, im Augustinermuseum hat sich deren Leiter Felix Reuße um eine Sichtung des Bestandes gekümmert.
Die Zeichnungen sind teils im Zuge der 1861 gegründeten „Alterthümersammlung“, teils als Schenkung oder gar als Nachlass in das Haus gekommen. Insofern – das mag für die Grafik anders sein – überwiegen Werke des 19. Jahrhunderts, darunter befinden sich Arbeiten von Spitzweg, Joseph Anton Koch, Moritz von Schwind, aber eben auch viele regionale Künstler. Gut 5.000 Zeichnungen des 19. Jahrhunderts gehören zum Bestand des Museums.
„Mit Stift und Feder“ gibt sich ganz museal, die verschiedenen Themenbereiche, in die sich diese Schau gliedert, darunter etwa die Mittelaltersehnsucht oder das Aufkommen einer neuen Frömmigkeit, sind auf farbigen Wänden präsentiert. Die Themen jedoch sind weniger von der Zeichnung als der abgebildeten Zeitepoche abgeleitet. Die Zeichnung, darauf deutet bereits der Titel „Mit Stift und Feder“, lässt sich nur schwer auf ein Werkzeug eingrenzen noch auf das Schwarz-Weiß von Grafitstift und Papier. Und schon vor dem 19. Jahrhundert war die Zeichnung ein Experimentierfeld, das sich anders als die Malerei zum Ausprobieren anbot. Im 19. Jahrhundert jedoch wird der schnelle Griff zu Feder und Stift nicht zuletzt für die Karikatur genutzt. Um 1805 stellt Johann Heinrich Ramberg auf einem Blatt „Die Schnapshaus-Politiker“ dar, die sich an einer Theke am Alkohol bedienen, kluge politische Entscheidungen sind von diesen Herren kaum mehr zu erwarten. Wilhelm Dürr wiederum hat festgehalten, dass viele Familien aus dem Schwarzwald in Folge der Agrarkrise Mitte des 19. Jahrhunderts gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. Auf einer Arbeit aus dem Jahr 1859 hat er eine Familie vor dem Auswanderungs-Bureau porträtiert mitsamt ihrem Gepäck. Ramberg schuf aber auch Illustrationen zu literarischen Werken, etwa Homers „Ilias“, den man zur Goethezeit wieder zu lesen begann. Hans Thomas „Hexenritt“ aus dem Jahr 1870 lässt einen dann unmittelbar an Goethes Faust denken.
Die Zeichnung erweist sich in dieser Ausstellung nicht zuletzt als eine ihrer Zeit verhaftete Kunst. Da dokumentieren einige Arbeiten mit Ansichten des Münsters die Begeisterung für das Mittelalter. Neben einigen Innenansichten finden sich auch Darstellungen des Münsters mit dem Fischbrunnen etwa von Friedrich Eibner, bei denen die angrenzenden Häuser stärker auf Mittelalter getrimmt wurden als sie es in der Wirklichkeit waren. An der Ästhetik des Mittelalters sollte die verspätete Nation zur Größe zurückfinden, der Mythos des – tatsächlich gar nicht so nationalen – Mittelalters taugte als Einheitsideologie. Wie sehr die Zeichnung als Mittel der Kreativität verstanden wurde, zeigt auch das Sujet des Gartentors, das Emil Lugo 1898 in einer Lithografie in Rötel und als Federzeichnung schuf, so dass ein direkter Vergleich möglich ist. Denn nicht zuletzt ist das Zeichnen eine gute Schule des Sehens. 1780 zeigte Johann Jakob Dorner einen Lehrer, wie er auf die Büste eines Frauenkopfes deutet, die gerade von einer andächtig wirkenden Dame abgezeichnet wird. Das ist dann selbst zwar keine Zeichnung, aber eine schöne Allegorie.
Mit Stift und Feder. Zeichnungen vom Klassizismus bis zum Jugendstil. Augustinermuseum, Augustinerplatz, Freiburg. Öffnungszeiten: di-so 10-17 Uhr. Bis 15. September.
Einblicke in „Mit Stift und Feder“
Annette Hoffmann