Alle zusammen für die Umwelt: 50 Jahre Bauplatzbesetzung in Marckolsheim
Vor 50 Jahren besetzten Menschen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz die Baustelle des geplanten Bleiwerks in Marckolsheim und setzten damit ein kraftvolles Zeichen gegen Umweltzerstörung. Die Kooperation über Grenzen hinweg sollte zum Grundstein der Umweltbewegung im Dreiländereck werden.
1908 wurde ein Chemiewerk in München-Moosach errichtet, das in den 1970er Jahren Metallseifen herstellte. Vor allem die hierbei entstehenden bleilastigen Abgase stellen ein Risiko für Mensch und Natur dar. 1970 wurde aus dem Bleichemiewerk am Münchener Stadtrand ein Problem für das geplante Olympische Dorf, welches einen Kilometer entfernt errichtet werden sollte. Der Stadtrat verhängte eine „Veränderungssperre“, die den Ausbau der Anlage untersagte. Christian Rosenthal, der zweitgrößte Bleiunternehmer Deutschlands, plante dementsprechend andernorts zu expandieren. Ein Versuch in Saint-Avold scheiterte an Widerstand durch Bevölkerung und Politik, weshalb das Unternehmen nun ein Werk im Dreiländereck plante.
Die Region war zuvor bereits Schauplatz der ersten Anti-Atomkraft-Demonstrationen. 1969 wurde die Planung für ein AKW in Breisach auf Grund von Protesten eingestellt. 1971 fand in Frankreich die erste Großdemonstration gegen das geplante AKW in Fessenheim statt. Die Menschen in der Region hatten also bereits bewiesen, dass sie sich gegen potenziell umweltschädliche Projekte zu wehren wussten.
Zeitgleich mit den Bauplänen für ein AKW in Wyhl wurde auch das Vorhaben der CWM, ein Bleiwerk in Marckolsheim zu errichten, bekannt. Anders als in Saint-Avold hatte das Unternehmen bereits eine Baugenehmigung. Im August 1974 gründeten sich als Reaktion die badisch-elsässischen Bürgerinitiativen, ein Zusammenschluss aus zunächst 11 deutschen und 10 französischen Gruppen.
Am 20. September begannen 50 Freiwillige mit der akribisch geplanten Besetzung des Bauplatzes. Im Falle einer Räumung sollten mit Walkie Talkies Pfarrer und Feuerwehr kontaktiert werden, welche wiederum mit Kirchenglocken und Sirenen bis zu 2000 Bewohner mobilisieren sollten. Immer mehr Menschen schlossen sich dem Vorhaben an.
Aber auch der Staat hatte ein Ass im Ärmel. Alle deutschen Kennzeichen wurden notiert und an die Grenzübergänge Sasbach und Neuf-Brisach weitergegeben. Als die Aktivisten durch den Zoll Ende September an der Einreise gehindert wurden, mobilisierte man die Bevölkerung am Kaiserstuhl. Die Grenzübergänge wurden von Autos und Traktoren besetzt und nach sechs Stunden gaben die Behörden nach und ließen die Aktivisten passieren.
Bis Oktober hatten sich 4500 Menschen an der Aktion beteiligt, ein Freundschaftshaus wurde errichtet und Künstler:innen aus der Region reisten regelmäßig an, um die Besetzung zu unterstützen. Der Unternehmer Rosenthal versuchte zwar, eine Gegenmeinung zu verbreiten, die Bevölkerung ließ sich hiervon jedoch nicht beirren und ihr Durchhaltevermögen zahlte sich aus. Am 25. Februar 1975 stoppte die französische Regierung den Bau des Bleiwerks. Die Besetzung diente als Vorbild für spätere Umweltschutzproteste in Wyhl (D), Kaiseraugst (CH), Gerstheim (F) und Heiteren (F).
Dass sich eine ganze Region, jung und alt einer Sache verschreibt, dass Bauern und Studenten, Schüler und Pfarrer sich gemeinsam dem Naturschutz verschreiben, ist heute schwer vorstellbar. Ob Bauernproteste oder Fridays for Future, jeder kocht heute sein eigenes Süppchen. Oft begegnet man sich auch als Widersacher. Das Klima hat sich sowohl politisch als auch meteorologisch verändert. Auch der Staat zieht andere Mittel auf, um Kapitalinteressen umzusetzen, wie jüngst in Lützerath. Und auch CWM, heute Bärlocher, hat Produktionsstätten in der ganzen Welt. Ob sich ziviler Ungehorsam militanter Natur erneut formiert, auch wenn es sich nicht um das eigene Dorf, den eigenen Wein und die eigene Heimat handelt, bleibt offen.
In Marckolsheim konnte der Protest noch mit der Globalisierung mithalten. Auch die badisch-elsässische Anti-AKW Bewegung kämpfte noch in der heimischen Arena. Aber wie auch die schlechten Arbeitsbedingungen in der Industrie, sind Bleichemie und co nicht einfach verschwunden, sondern exportiert worden. Umweltschutz im globalen Zeitalter gleicht einem Drahtseilakt zwischen Konsumkritik und Finger zeigen. Die einen tadeln Länder des globalen Südens, so als würde die dortige Industrie lediglich zur Deckung des nationalen Bedarfs existieren, die anderen mahnen ihre Mitmenschen, die dieses oder jenes kaufen oder nicht kaufen zu müssen. Nur zu kritisieren, hätte in Marckolsheim und Wyhl auch zu nichts geführt. Ziviler Ungehorsam gibt es immer noch. Nur der Rückhalt der Bevölkerung scheint in den letzten 50 Jahren verloren gegangen zu sein, wie man in Lützerath und Grünheide sieht. In Marckolsheim agierten Kapital und Protest überregional. Heute scheint das Kapital den Protest abgehängt zu haben.
Bildquellen
- Demonstranten bei der Bauplatzbesetzung in Marckholsheim: Foto: Meinrad Schwörer
- Gemeinsames singen im Freundschaftshaus: Foto: Meinrad Schwörer