Ästhetisch faszinierende Bildwelten, die nachdenklich machen
Es ist eine ausgesprochen selbstbewusste Frau, die einem aus den großformatigen Fotos entgegen blickt. Mal blau metallisch leuchtend, wie in der Serie „Transformer“, die sich über alle Stockwerke des Museums Frieder Burda zieht. Oder ganz direkt in die Kamera blickend als sähe sie den Betrachter, wie in „The great white way goes black“ und der Wand aus 336 Fotos von Katharina Sieverding und ihrem Künstler-Lebensgefährten Klaus Mettig („Motorkamera“, 1973-74). Unter dem Titel „Die Sonne um Mitternacht schauen“ bietet das Museum Frieder Burda in Baden-Baden bis zum 9. Januar eine weit gefächerte Übersicht über Katharina Sieverdings Fotokunst, vom Ende der 1960er Jahren bis heute.
Ihre Arbeiten sind raumfüllend, die Farben oft leuchtend. So plakativ die Fotos auf den ersten Blick wirken, so verwirrend sind sie, wenn man anfängt nachzudenken. Und manches erhält nach Jahrzehnten eine neue, aktuelle Deutung. Auf einem der Bilder sieht man Mao einen afrikanischen Staatsgast begrüßen. Heute hat China über Handels- und Kreditverträge seine Vorherrschaft in Afrika gesichert. Nicht, dass die Künstlerin einem eine bestimmte Interpretation aufdrängen würde. Sieverding ist eine Meisterin wenn es darum geht, Zusammenhänge und Gegensätze aufzuzeigen.
In „Global Desire II“ von 2017 überblendet sie das Foto des Flüchtlingslagers Zaatari an der syrisch-jordanischen Grenze mit einer Aufnahme von zwei russischen Soldaten, die einen Jagdbomber mit einem Sprengsatz beladen. „Gefechtspause II“ besteht aus einer Überblendung zweier Pressefotos: eines von der Eröffnung einer großen Konferenz durch den chinesischen Staatschef Xi Jinping und eine Aufnahme von Polizisten, die in den USA vor Demonstranten knien. In beiden Fällen sind Regierung und Volk keine Einheit. China unterdrückt massiv die Demokratiebewegung in Hongkong, in den USA fühlen sich People of colour diskriminiert. Hinzu kommt, dass viele Menschen in beiden Ländern, immerhin die amtierenden Großmächte dieser Welt, in Armut leben. So unterschiedlich China und die USA sind, in diesen Dingen offenbaren sich Ähnlichkeiten.
Katharina Sieverding hat sich als 68erin und Beuys-Schülerin natürlich immer mit Politik auseinandergesetzt. Ihre Kunst geht allerdings darüber hinaus. Ästhetisch faszinierende Bildwelten hat die Künstlerin in den Werken geschaffen, in denen sie mit Röntgentechnik gearbeitet hat. Als Tochter eines Radiologen kennt sie keine Scheu vor Röntgenstrahlen, sondern setzt sie für raffinierte Effekte ein wie die rotgolden leuchtende Silhouette eines Menschen, der auf einem geraden Strich balanciert. In der Reihe der „Steigbilder“, 1997 auf der Biennale in Venedig vorgestellt, scheint die Röntgenaufnahme eines menschlichen Schädels in Flammen zu stehen.
Nicht zuletzt greift die Künstlerin nach den Sternen. Als Resultat erscheint eine blaue Sonne auf der Fassade des Museums. Und wie in eine strahlend blau ummantelte Seifenblase eingehüllt, lässt Sieverding die „Interplanetarische Arbeitsbesprechung zur Weltraumzukunft“ erscheinen. Der rotglühende Planet auf dem schwarzen Bildschirm basiert auf nicht weniger als 200.000 NASA-Daten aus dem Zeitraum 2011 bis 2014. Dank des NASA-Satelliten SDO und Katharina Sieverding können Ausstellungsbesucher zu den Öffnungszeiten „Die Sonne um Mitternacht schauen“. Man kann die reine Schönheit der Sonne in diesen digitalen Filmprojektionen genießen. Oder über den Klimawandel und die Endlichkeit der Ressourcen der Erde nachdenken.
„Katharina Sieverding. Die Sonne um Mitternacht schauen“, Museum Frieder Burda, Baden-Baden, Di-So 10-18 Uhr. www.museum-frieder-burda.de. Bis 09.01.2021
Bildquellen
- Katharina Sieverding: „ The great white way goes black“, IX/1977, Farbfotografie, Acryl, Stahlrahmen 300 x 500 cm Installationsansicht der Ausstellung: Katharina Sieverding – „Close Up“, KW Institute for Contemporary Art Berlin, 2005: © Katharina Sieverding, VG Bild-Kunst, Bonn 2021