Aus dem Reich der Fantasy
Wolfgang Hohlbein ist Deutschlands Fantasy-König. Rund 150 Bücher der Genre Horror, Science-Fiction und Phantastik hat der Superstar des Gänsehaut-Gewerbes bislang geschrieben. Er sieht aus wie ein Rockstar aus den 70er Jahren: lange Matte, Rauschebart und eine Stimme, die Gänsehaut erzeugt. Hohlbein wird immer wieder mit Stephen King verglichen, seine Gesamtauflage beträgt weltweit fast 40 Millionen Exemplare. Mit seinen Geschichten will er die Leser in der Normalität abholen und sie in eine fremde Welt entführen. Olaf Neumann sprach mit dem gebürtigen Weimarer über die brandneue Science-Fiction-Saga „Infinity – Der Turm“ und die Zukunft der Menschheit.
Kultur Joker: Ihre neue Romantrilogie spielt in einer sehr fernen Zukunft. Glauben Sie, dass es die Menschheit in 100.000 Jahren überhaupt noch geben wird?
Wolfgang Hohlbein: Ich denke schon, wenn man höhere Gewalt und galoppierenden Wahnsinn mal ausschließt. Ich bin Berufsoptimist. Das erste Bild dieses Buches hatte ich schon vor 30 Jahren im Kopf ohne die geringste Ahnung, was dabei herauskommt. Im Laufe der Jahre habe ich die alte Szene immer wieder mal heraus gekramt, aber es wurde erst jetzt eine lange Geschichte daraus.
Kultur Joker: Im Mittelpunkt der auf 2000 Seiten angelegten Saga steht Prinzessin Infinity. Die Herrscherin über die Menschen und seltsamsten Geschöpfe hat im Turm Zuflucht gefunden. Ein allwissendes, übermächtiges und bedrohliches Bauwerk, die letzte Bastion auf einer sterbenden Welt. Woher nehmen Sie diese Bilder?
Hohlbein: Ich habe mich mein Leben lang mit Science-Fiction-Geschichten und -Filmen beschäftigt und natürlich auch die eigene Phantasie spielen lassen. Die Welt des Romans entstand zuerst als Modell auf meinem Wohnzimmertisch, das gab dem Ganzen mehr Substanz. Das ist ja alles nichts Neues. Unsichtbare Kraftfelder gab es im Ansatz schon bei Jules Verne. Und die ersten Burgen sind im Grunde genommen aus Türmen entstanden. Solche Bilder, die einem Schutz versprechen und gleichzeitig bedrohlich wirken, haben viele von uns in sich. Ich habe im Grunde nur ganz archetypische Dinge zusammengebastelt und versucht, eine eigene Geschichte drum herum zu bauen.
Kultur Joker: Wie haben Sie für das Buch recherchiert?
Hohlbein: Ich habe im Internet ein bisschen recherchiert, was die technische Seite betrifft. Es muss nicht alles stimmen, sondern es muss wirken. Sowas wie der Turm wäre physikalisch unmöglich. Er ist ein reines Produkt meiner Phantasie. Würde man aus dem Turm etwas anderes machen, z.B. einen amerikanischen Flugzeugträger vor einer Südseeinsel, könnte die Geschichte theoretisch auch heute spielen. Der Leser soll erkennen, dass Prinzessin Infinity, die die Macht einer Göttin besitzt, irgendwann begreift, dass sie nicht das Recht hat, diese Technik bedenkenlos anzuwenden. Ihre etwas primitiveren Untertanen betrachten die Technik als Magie. Ich glaube, dass die Bildungsschere in Zukunft noch weiter auseinandergehen wird.
Kultur Joker: In Ihrer Romanwelt gibt es hunderte unterschiedliche Religionen, Kulturen und Weltanschauungen. Glauben Sie an eine friedliche Koexistenz der Religionen in ferner Zukunft?
Hohlbein: Im Großen und Ganzen tun sie das ja jetzt schon. Die Fanatiker sind ja nur eine kleine Minderheit. Ich will um Gottes willen nicht die Terroristen verteidigen, aber der Islam an sich ist eine sehr liberale Religion. Er sagt eigentlich, dass alle anderen tun und lassen dürfen was sie wollen. Zur Zeit der Kreuzzüge war der Islam nicht annähernd so schlimm wie das Christentum.
Kultur Joker: Warum ist das Alte Testament für Sie eine wichtige Inspirationsquelle?
Hohlbein: Wenn man den rein religiösen Teil der Bibel einmal weglässt, ist es eine ganz tolle Sammlung von Geschichten. Sie erzählen, wie Menschen zusammen leben und ihre Probleme lösen können. Würden wir alle nach den zehn Geboten leben, wäre die Welt ein besserer Ort. Sie sind ja nicht Gottes Wort, sondern Verhaltensregeln, die sich in Jahrtausenden als praktikabel erwiesen haben.
Kultur Joker: Ihr R’Achernon ist ein egomanischer Supercomputer. Er verfügt über Intellekt, einen freien Willen und kann lautlos mit den Menschen reden. Sehen Sie sich auch ein bisschen als Zukunftsforscher?
Hohlbein: Nein. Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt und interessiere mich für technische Dinge. Warum soll man solche Aspekte nicht in einen Roman mit einfließen lassen? Die Wirklichkeit hat die Science-Fiction schon immer spielend überholt. Abgesehen von einigen wenigen Dingen, werden all diese Techniken aus meinem Buch schon bald da sein. Vieles davon gibt es bereits im Ansatz. Ich selbst bin ein technischer Legastheniker, aber ich liebe technische Spielereien. Das Buch habe ich zwar von Hand geschrieben, aber mit einem Hi-Tech-Stift. Die Technik ist heute schon weiter, als man es vor 20 Jahren geglaubt hat.
Kultur Joker: Werden Romane eines Tages von intelligenten Computerprogrammen geschrieben werden?
Hohlbein: Bis dahin werden wir nicht nur künstliche Intelligenz, sondern auch künstliches Leben erschaffen haben. Die Entstehung von Kreativität ist noch eine der wenigen ungeklärten Fragen. Es gab schon vor 20 Jahren Programme, die versucht haben, Musik zu schreiben. Aber ich bezweifle stark, dass Computer geniale Romane erschaffen werden können. Man sieht es an den heutigen Übersetzungsprogrammen, die im Grunde genommen nicht besser sind als die aus den 80er Jahren. Es muss noch etwas dazukommen, dass man mit Bytes und Bits nicht ausdrücken kann.
Kultur Joker: Die Suche nach einer zweiten Erde, einem Planeten, auf dem Leben möglich ist, wie wir es kennen, beschäftigt Astronomen seit langem. Glauben Sie persönlich an außerirdisches Leben?
Hohlbein: Davon bin ich zu hundert Prozent überzeugt. Es gibt Kulturen, die uns überlegen sind, aber wir werden sie nie treffen, weil uns die Naturgesetze einen Riegel vorgeschoben haben. Als Autor phantastischer Romane kann man ihn aber wegschieben.
Kultur Joker: In Ihrem Roman hatte das menschliche Imperium Kontakt mit anderen raumfahrenden Spezies, von denen die meisten friedlich waren – zumindest friedlicher als die Menschen. Ist der Mensch ein kriegerisches Tier?
Hohlbein: Ich glaube, ja. Wenn ich mir die Geschichte und auch die Gegenwart angucke, komme ich zu der Auffassung, dass Menschen eine kriegerische und gewalttätige Spezies sind. Im Grunde sind und bleiben wir dieselben Raubtiere, die wir vor hunderttausend Jahren waren. Die Herausforderung ist, mit diesen Instinkten fertig zu werden und sie im Zaum zu halten. Ohne sie wären wir wahrscheinlich auch nicht das, was wir heute sind.
Kultur Joker: Im Roman wird ein so genannter Planetenkiller gegen den Supercomputer eingesetzt. Werden die Menschen noch schlimmere Massenvernichtungswaffen als die Atombombe bauen?
Hohlbein: Ich bin kein Militärexperte, aber gegen Ende des 20. Jahrhunderts gab es durchaus schon Nuklearwaffen, von denen eine Handvoll gereicht hätte und das wär’s dann gewesen. Mein Planetenkiller ist eine logische Konsequenz. Die einzige Hoffnung ist, dass die Bedrohung so schrecklich wird, dass am Ende nicht die Vernunft, sondern die Angst siegt. Während des Kalten Krieges hat das schon einmal geklappt. Die größere Gefahr sehe ich eher in den „kleinen Waffen“, die man fast schon auf dem Schwarzmarkt kaufen kann.
Kultur Joker: Wer in Infinity Reich viel Geld hat, kann seinen tödlich verletzten oder kranken Körper wieder herstellen lassen. Ist damit die Frage nach dem ewigen Leben beantwortet?
Hohlbein: Jeder träumt davon, unsterblich zu sein. Schaut man sich die Medizintechnik von heute an, sieht alles danach aus, dass meine Enkel hundert werden. Ob es erstrebenswert ist, sogar 500 Jahre alt zu werden, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht gibt es ja eines Tages Ganzkörperprothesen, so dass man nur noch das, was wir als Seele bezeichnen, transferieren muss. Ein bisschen passiert das ja auch in meinem Buch. Wenn man ganze Organe klonen kann, warum nicht den Rest gleich mit?
Kultur Joker: Sie gehören zu den erfolgreichsten Autoren in Deutschland. Warum gibt es von Ihren Büchern immer noch keine Verfilmungen?
Hohlbein: Weil ich entweder eine hundertzehnprozentige Umsetzung möchte oder gar keine. Ich will keinen Film, von dem ich mich hinterher distanzieren muss. Es gibt genug schlimme Beispiele. Entweder man geht das Risiko ein und steht dazu oder man lässt es. Halten Sie mich ruhig für größenwahnsinnig: Solange ich es nicht auf dem Niveau von „Avatar“ machen kann, möchte ich es noch nicht.
Wolfgang Hohlbeins Roman „Infinity – Der Turm“ (Piper, ca. 620 Seiten, Euro 19,95, ISBN 978-3-492-702223) erscheint am 24. Februar, Hörbuch (19 CDs) bei Osterworld audio.