Kehrseiten eines Traumes
„America! America! How real is real?“ – Ausstellung US-amerikanischer Künstler im Frieder Burda Museum
Was ist Wunsch, was ist Wirklichkeit? Was ist Traum, und wie sieht der Albtraum aus? In der Ausstellung „America! America! How real is real?“ geht es um die verstörenden Kehrseiten des amerikanischen Traums und um die Diskrepanz zwischen den Wunschbildern aus der Werbung oder dem Film und der Wirklichkeit.
Schon lange vor Fake News oder so genannten „alternativen Fakten“ haben sich US-amerikanische Künstler mit dieser Thematik auseinander gesetzt, manchmal witzig, manchmal erbittert. Der Rundgang durch die Ausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden offenbart einen Einblick in die US-amerikanische Psyche.
Da feiert das gute alte Fahndungsplakat aus Westernfilmen – „Wanted! Dead or alive“ – eine gar nicht fröhliche Wiederaufstehung in Andy Warhols großformatigem Bild „Most wanted man No 6“. Nicht weit entfernt hängt Warhols Abbildung des elektrischen Stuhls, der trotz der Farbgebung in Rosé und Grün von einem schaurigen Tod erzählt.
In diese Reihe gesellschaftskritischer Werke Warhols aus den 1960er Jahren gehört auch das ironisch betitelte „Little race riot“. Die „Kleine Rassenunruhe“ rückt einen Polizeihund in den Vordergrund, der gerade einem flüchtenden Farbigen die Hose zerreißt.
Die unschöne Wirklichkeit steht in krassem Gegensatz zu den unglaublich schönen, absolut unechten Menschen auf den Gemälden von Alex Katz. Eine Welt wie aus der Werbung, von Katz so übertrieben plakativ gemalt, dass man sofort darüber stolpert. Es ist, als würden die in dieser Ausstellung gezeigten amerikanischen Künstler einem in jeder Arbeit, von den 1960er Jahren bis heute, dem Betrachter ständig zurufen: trau‘ deinen Augen nicht.
Vorbildern ist ebenfalls nicht zu trauen. Welches der in den Medien propagierten Rollenmodelle ist denn das Richtige? Cindy Sherman hat sie alle ausprobiert und in Fotos dokumentiert. Einige ihrer Arbeiten sind in Baden-Baden zu sehen und scheinen zu fragen: wer willst Du sein? Marilyn oder lieber Madonna? Die gibt es gleich zwei Mal, einmal als Sängerin, und einmal ganz traditionell, in langem Gewand mit Schleier, eine künstliche Brust der Jesuspuppe darreichend. Ein Rollenmodell der Vergangenheit? Aber auch heute wird suggeriert, dass frau einer bestimmten, vorgegebenen Norm zu entsprechen hat. Vanessa Beecroft hat lebende Frauen wie Schaufensterpuppen arrangiert, ordentlich sortiert nach Haarfarbe: hier die Blondinen, in der Mitte die Rothaarigen, am Ende die Brünetten. Aber die echten Frauen zeigen, dass die vorgegebene Norm nicht passt.
Zum Mythos des american way of life hat sich längst ein kollektives Trauma gesellt, das Robert Longo in „The Haunting“ aufgreift. Flugzeuge umkreisen die riesige, von schwarzem Rauch umhüllte Silhouette des World Trade Centers. Zerstört wurde nicht nur ein Gebäude, es wurden Menschenleben zerstört und darüber hinaus die Gewissheit, auf eigenem Boden unangreifbar zu sein.
Doch schon vorher war der Traum von der Wohlstandsidylle trügerisch. Das zumindest legt das Gemälde „Front Lawn“ von James Rosenquist nahe. Es grünt so grün der überaus gepflegte Rasen, immergrüne Büsche tragen Formschnitt, ein gepflasterter Weg schlängelt sich hindurch zu – ja, wohin eigentlich? Das Ziel des Weges ist nicht erkennbar, das Bild wirkt als wäre die obere Hälfte abgetrennt worden. Rosenquists Bildausschnitt regt die Fantasie zu allerlei Spekulationen an.
Das hat „Front Lawn“ mit vielen der ausgewählten Arbeiten gemeinsam. Oft scheinen sie ein verstörendes Geheimnis zu verbergen. Selbst scheinbar offensichtliche Erzählungen haben Untiefen, so wie Bruce Naumans Video „Violent Incident“. Scheinbar grundlos, aber in rasantem Tempo, schlägt die eben noch so romantisch aufgeladene Szene eines Dinners für zwei um, der Mann und die Frau bekämpfen sich bis beide am Boden liegen.
Der schöne Schein trügt sowieso, und der schonungslose Blick auf die Realität wirkt ernüchternd. In der bis zum 21. Mai geöffneten Ausstellung bleiben vom amerikanischen Traum nur Bruchstücke übrig, und die Frage drängt sich auf, inwieweit es in Deutschland anders sein sollte.
„America! America! How real is real?“, Museum Frieder Burda, Baden-Baden. Bis 21. Mai 2018.
Nike Luber