„Heute wegen gestern geschlossen“
Im Gespräch: Jess Jochimsen, Freiburger Kabarett-Lokalmatador
Der Wahl-Freiburger Kabarettist Jess Jochimsen feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bühnenjubiläum. Der auch als Buchautor, Liedermacher und Fotograf erfolgreiche Bühnenkünstler präsentiert sein neues Programm im November im Freiburger Vorderhaus. Erich Krieger hat den gebürtigen Münchener im Garten des Waldsee-Restaurants getroffen und mit ihm über seinen Werdegang, seine Überzeugungen und sein kommendes Programm gesprochen.
Kultur Joker: Sie sind jetzt 25 Jahre auf der Bühne. Noch kein bisschen müde?
Jess Jochimsen: Ich würde sagen, gezeichnet. Nein, es ist nach wie vor mein größtes Glück, dass ich das machen darf, dass ich Kunst betreiben darf.
Kultur Joker: Sie haben Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie studiert. Blieb da nur der Weg zur Bühne?
Jochimsen: Oh, da hätte es viele Wege gegeben. Ich hätte an der Uni bleiben können, Lehrer werden können, ich sag mal so: So ein Studium verhindert den Weg zur Bühne nicht und das ist ja schon mal sehr viel, was man über ein Studium sagen kann. Ich habe wahnsinnig gern studiert, hatte sehr gute Professorinnen und Professoren, bin aber auch sehr froh, dass ich nach der Abschlussprüfung den Mut hatte, einmal auszuprobieren ob die Kunst als Beruf trägt. Ich glaube, dazu muss man jung sein.
Kultur Joker: Was gab dazu den Anstoß?
Jochimsen: Ich hab schon vor dem Studium als Schüler Musik gemacht, immer in Bands gespielt und hatte immer den Wunsch, Musiker zu werden, am liebsten Rockmusiker, aber mein musikalisches Talent hat nicht gereicht und ich habe dann immer Lieder gesungen als Singer/Songwriter, damals noch Liedermacher genannt. Damit bin ich aufgetreten und habe gemerkt, dass dem Publikum die Ansagen oft besser gefallen haben, als die Lieder selbst. Die Ansagen wurden immer länger, die Lieder immer weniger, allerdings auch immer besser und ich traute mich, kleine Geschichten zu erzählen. Daraus entwickelte sich das erste Kleinkunstprogramm, was ich schon als Student aufgeführt habe. Kabarett ging also bei mir schon 1992 los und ab der Zwischenprüfung konnte ich davon mein Studium finanzieren. Schon bald arbeitete ich mit einer Agentur zusammen, die Gigs für mich organisierte, schrieb aber auch selbst viele Briefe und Bewerbungen, wie in jedem anderen Beruf auch. Ich spielte dann alles, was sich so an Terminen ergab und so ging das halt immer weiter.
Kultur Joker: Gab es in dieser Zeit für Sie herausragende Erlebnisse oder wichtige Stationen?
Jochimsen: Ja, die gibt es sicher, aber sie sind oft unscheinbar und manchmal merkt man sie erst im Nachhinein und es gibt sie überraschenderweise auch sehr oft, manchmal fünf in einer Woche und ich sage mir dann rückblickend, Waohh, das wars aber. Als ein großes Ereignis würde ich zum Beispiel den Auftritt im Scheibenwischer 1999 zusammen mit Dieter Hildebrandt und Bruno Jonas nennen, aber viel aufregender war für mich zwei Jahre davor, als Dieter Hildebrandt sich mein Programm angeschaut hatte und wir hinterher die halbe Nacht geredet haben. Das war viel größer. Im Gespräch mit diesem Großmeister, blitzgescheiten, wahnsinnig komischen und auch albernen Menschen zu sitzen, da habe ich viel mehr erfahren als bei der Fernsehsendung, wo ich vor allem nur aufgeregt war. Wichtig war auch die Entscheidung, den immer schon gehegten Wunsch, einen Roman zu schreiben, in die Tat umzusetzen. Das musste ich mir richtig erarbeiten, mich gegenüber innere Widerstände und Selbstzweifel immer neu motivieren und das Ganze auch vorfinanzieren und 2005 kam dann mein erster Roman tatsächlich heraus.
Kultur Joker: Themawechsel: Herr Jochimsen, kann Kabarett die Welt verändern und wenn ja, was ist dabei Ihre Botschaft?
Jochimsen: Wenn man Kabarett macht und damit auf die Bühne geht, vor allem am Anfang, geschieht dies immer aus einer seltsamen Mischung aus Narzissmus, Messianismus, Botschaft. Dies geschieht aus einer linken Tradition heraus. Diesen Wunsch hatte ich auch, hatte ihn immer wieder und habe ihn auch noch. Aber auch auf die Bühne zu gehen und die Leute „nur“ zum Lachen zu bringen, finde ich überhaupt nicht verkehrt, denn auch in Unterhaltung steckt Haltung drin, solange sie gut ist. Auch bei guter Comedy oder einem Clown wird man das immer finden, wenn die Akteure ihr Handwerk beherrschen und mit Herzblut dabei sind. Die Leute gut zu unterhalten, ist auch ein Hauptantrieb bei mir. Ich habe aber schon das Bedürfnis, auf der Bühne möglichst intelligent meine Sicht der Welt zu schildern und auf Erkenntnisprozesse zu hoffen. Ich richte meine Programme so aus, dass schon klar wird, was ich denke und wie ich mir unsere Welt und unser Zusammenleben utopisch vorstelle. Genauso wichtig ist mir aber, dass die Leute, die in mein Programm kommen, dafür Geld ausgeben und sicherlich nicht jeden Montag auf eine Pegida-Demonstration gehen, einen guten Abend haben und einfach mal lachen können und sei es nur, um die Mächtigen auszulachen.
Kultur Joker: Die Spannbreite beim Kabarett reicht von literarischen Programmen bis zur zotigen Comedy. Wo verorten Sie sich da selbst?
Jochimsen: Ich selbst habe mich nie verortet. Man wird verortet und da wurde ich immer im literarischen Kabarett angesiedelt, natürlich auch durch meine Autorentätigkeit – es sind mittlerweile acht Bücher – da bleibt dies nicht aus und im politischen Kabarett, weil ich mich zu politischen Themen äußere. Ich überlasse die Verortung den Bühnen und dem Publikum. Ich schreibe selbst Kabarett drauf, aber auch Lieder, weil ich die ja auch vortrage und ich zeige meine Fotografien, die meine Auftritte unkommentiert begleiten. Klassische Kleinkunst eben. Es ist ja das Wunderbare, dass man in dieser Kleinkunstwelt die Gewerke, in denen man sich tummelt, auch zeigen kann und ich eigentlich machen kann, was ich will und ich die Geschichten, von denen ich meine, dass sie von mir erzählt werden sollten, weil sie mir auf der Seele oder dem Herzen oder auch auf dem Hirn liegen, auf meine Weise erzählen kann.
Kultur Joker: Soll ein Kabarettist zur Tagespolitik Stellung nehmen?
Jochimsen: Ich mache dies relativ selten, weil es oft Leute gibt, die dies viel besser können. Das sind in der Regel Journalisten, die sehr pointiert, sehr sachkundig und sehr gescheit in guten Zeitungen oder Blogs das Tagesgeschehen kommentieren und dies gewöhnlich sehr viel genauer tun können, als ein Kabarettist, der doch immer die Tendenz zur Pointe hat. Leider sind viele Texte des politischen Kabaretts oft nur Zusammenfassungen guter journalistischer Leitartikel. Außer, dass man gemeinsam gelacht hat, weil der Witz vielleicht gut war, ist der Erkenntnisgewinn gleich null. Ich mache das auch, wenn es sozusagen auf der Straße liegt. Aber in der Regel versuche ich, die Probleme weiter zu fassen, eine Verbindung mit unserer Lebenswelt herzustellen, damit es auch länger Bestand hat.
Kultur Joker: Sie würden also keine Wahlempfehlung zum Beispiel zur kommenden Bundestagswahl geben?
Jochimsen: Prinzipiell würde ich empfehlen, überhaupt zur Wahl zu gehen, obwohl es bei dem momentanen Angebot der wählbaren Parteien, zumindest derer, welche die Chance haben, die fünf Prozent Hürde zu überspringen, gute Gründe gibt, dieses nicht zu tun, weil sie die wirklich relevanten Probleme ausklammern. Ich habe aber so einen ungeheuren Respekt vor diesem Recht, wählen zu dürfen, dass ich immer gehe. Es geht ja doch um etwas. Ich weiß schon, was ich wählen werde, aber eine konkrete Empfehlung zu geben, halte ich für anmaßend. Außerdem (er lacht), wenn man das Programm anschaut, weiß man das auch so.
Kultur Joker: Sie sind Kabarettist, Buchautor, Liedermacher und -sänger, und Fotograf. Gibt es dabei für Sie Präferenzen?
Jochimsen: Präferenzen nicht. Es ist tatsächlich das große Glück, dass ich mir sehr lange überlegen kann, in welcher Kunstform ich was ausdrücken kann. Manchmal weiß ich, diese Idee oder Geschichte ist nichts für die Bühne, das möchtest du nur aufschreiben, oder das ist was für ein Lied oder da reicht nur ein Bild und so springe ich ein bisschen hin und her. Manchmal lege ich mich gänzlich fest und wenn es etwas Längeres ist, schreibe ich nur und spiele dann wieder, aber die Genres bedingen sich und auf der Bühne fließt alles zusammen. Ich hatte immer den Wunsch, mich künstlerisch unterschiedlich ausdrücken zu können. Solange man mich bucht, eine Ausstellung machen oder ein Buch schreiben lässt, möchte ich dies gerne so weiter machen und empfinde dies als großes Glück und auch als Luxus.
Kultur Joker: Ihr kommendes Bühnenprogramm trägt den Titel „Heute wegen gestern geschlossen“. Das klingt ziemlich resignativ?
Jochimsen: Ja, tja, wenn man sich die Welt anschaut, liegt die resignative Grundhaltung schon eine ganze Weile nahe und ich kann gewisse melancholische Momente nicht zurückweisen, die hatte ich immer schon im Programm und in den Büchern. Den Satz las ich an einer Kneipe, fand ihn griffig als Titel. Er bezeichnet sehr gut diese Zusperr- und Abschließprozesse aus dem Alltag. „Gestern war wirklich zuviel, heut mal ich einfach mal zu“. Aber leider gibt es die auch politisch: Man macht die Grenzen zu, sperrt die Balkan-Route, England, Amerika: „Sorry, we`re closed“. Eine klare Gegenbewegung zu der Offenen Gesellschaft im Sinne Karl Poppers, in der wir seit gut 70 Jahren leben. Wir haben nie sicherer, freier und wohlhabender gelebt als in der Offenen Gesellschaft mit ihren drei Säulen Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft. Wackelt jedoch nur eine davon, wackelt das ganze Ding. Das sieht man jetzt zum Beispiel in Polen, Ungarn, der Türkei. Politisches Kabarett ist nicht möglich, ohne auf diese Strömungen einzugehen, die wirklich elementar sind. Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich eine Willkommenskultur in eine sehr skeptische Grundhaltung bis hinein ins grün-liberale Bürgertum verwandelt hat. Es wird jetzt kein resignatives Programm, im Gegenteil, es ist ein Plädoyer für die Offene Gesellschaft, aber es ist das Thema. Mein alter Geschichtslehrer sagte immer, die Weimarer Demokratie ist nicht gescheitert, weil sie zu viele Feinde hatte, sondern zu wenig Freunde. Wenn man sich als Freund der Demokratie begreift, dann muss man was für sie tun.
Kultur Joker: Sie wohnen in Freiburg, haben hier ein großes Publikum, die Premiere Ihres neuen Programms ist aber in Köln am 14. Oktober?
Jochimsen: Das hat sich einfach so aus dem Tourneeplan ergeben, dass die Premiere in der Commedia in Köln ist. So ein Plan wird meistens schon mehr als ein Jahr vorher zusammengebucht und die Commedia in Köln ist tatsächlich neben dem Vorderhaus in Freiburg meine Lieblingsbühne. Ich habe schon viele Premieren im Vorderhaus gemacht und jetzt das zweite Mal in Köln. Das wechselt halt und da steckt keinerlei Plan oder Absicht dahinter. Im Vorderhaus gibt es dafür am 10. und 11. November eine Doppelvorstellung.
Kultur Joker: Herr Jochimsen, vielen Dank für das Gespräch.
Bildquellen
- jess jochimsen by wolf-peter steinheisser: jess jochimsen by wolf-peter steinheisser