Lebendiges Kopfkino
Kinderoper „Gold“ im Werkraum des Theater Freiburg
Die Spirale von Unzufriedenheit und Gier – kaum jemand hat sie so eindrücklich zu Papier gebracht wie die Gebrüder Grimm in ihrem Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“. Unvergessen seit Kindertagen dieser zunehmend verzweifelte Ruf „Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje inne See…“, während der Himmel sich verdunkelt, das Meer brodelt und der Sturm heult. So bedrohlich geht es im Werkraum des Theater Freiburg nicht zu, vielmehr entführt die Inszenierung des Musiktheaters „Gold“ erst einmal in eine zauberhafte Robinson Crusoe-Kulisse.
Schummrig-golden ist das Licht, auf dem Boden liegt Strandgut-Sammelsurium, es gibt Bretterstege und Holzkisten voller Sand und Steine. Dichtgedrängt steht die erste Zuschauergruppe auf einem Floß und übt das „Schschsch“ der Wellen (Ausstattung: Sarah Mittenbühler).
Interaktion ist ein wichtiges Stilmittel von Leonard Evers Kinderoper, die 2012 mit dem Libretto von Flora Verbrugge im niederländischen Enschede ihre Uraufführung feierte. Seitdem wird sie in der Textfassung von Barbara Bruni auch an deutschen Theatern landauf, landab gespielt. Das liegt sicher auch am Format: Ein kleines, feines Stück mit nur zwei Akteuren, aber einem großen Imaginationsraum voll Musik, Klängen und Geräuschen. Lebendig gemacht wird das Grimmsche Märchen hier nicht nur durch viele Modernisierungen, sondern vor allem durch die Einführung des Jungen Jacob, dem Kind jenes bettelarmen Fischerpaares, das erst alles gewinnt, dann den Hals nicht voll genug bekommen kann und schließlich alles wieder verliert.
„Ein Fisch, ein Fisch!“ singt Sopranistin Susanna Schnell stolz, während sie mit einer imaginären Angel kämpft. Sie gibt ihren Fischerjungen kraftvoll, mit viel Schalk und Temperament. Barfuß und in einem Fetzengewand aus blau-grauen Stoffen turnt sie ausgelassen auf dem Holzgerüst herum, in ähnlichem Kostüm steht Perkussionist Timo Stegmüller zwischen riesigem Xylophon, Marimbaphon und Schlagzeug. Wenig später kann dieser Jacob sein Glück kaum fassen, als er ein Paar geschmeidige, goldene Schuhe unter den Brettern findet. Also, ist es wahr – der Fisch kann zaubern! Dabei setzt Regisseurin Miriam Götz in puncto Requisite ganz auf Reduktion: Rollenwechsel passieren allein durch Stimme, ein Beutel Glasmurmeln genügt als Fisch, das Schloss wird als Schattenspiel mit Echo dargestellt, das tobende Meer mit Publikumsgeheul und Trockeneis-Gewaber.
Lieder, Texte, Bewegung und Musik verknüpfen sich als gleichberechtigte Elemente zur Geschichte – mal gibt es Walzer, mal Jazziges oder einen wilden Trommelwirbel, wenn Jacob den Muschelpfad hinunterstürmt. Und weil alles immer noch viel besser, größer und schöner sein könnte, muss er in der folgenden Stunde diesen Weg auch gehen, obwohl er gar nicht mehr mag: Erst wollen seine Eltern ein Haus, dann einen Palast mit Schwimmbad und Bediensteten, dann eigene Flugzeuge für Reisen in die Karibik und den Vergnügungspark. Jacob, Papa, Mama – jeder reist dann für sich allein. Glück sieht anders aus.
Eine stimmungsvolle Inszenierung, die Kinder ab fünf Jahren verspielt und auf hohem Niveau in die Musik entführt. Und auch wenn hier das meiste per Kopfkino passiert, gibt es doch viel zu sehen und zu hören: So wie die riesige Pommes-Marshmallow-Salami-Torte oder das Murmeln der Kieselsteine im gläsern-glatten Meer.
Marion Klötzer
Weitere Termine: 8. / 9. Juni, jew. 16 Uhr.
Theater Freiburg, Werkraum. Ab 5 Jahren.