Interview

Die große Schwester

Im Gespräch: Auma Obama, die Schwester von Barack Obama

Auma Obama ist die Schwester von Barack Obama. Die Kenianerin lebte 16 Jahre in Deutschland, studierte in Saarbrücken, Heidelberg und Berlin und promovierte in Bayreuth. In ihrer Autobiografie „Das Leben kommt immer dazwischen“ erzählt die heute 51-jährige von Gefühlen der Fremdheit und dem Erwachen ihrer afrikanischen Identität, von gemeinsamen Kenia-Reisen mit Bruder Barack und Wahlkampfschlachten in Amerika. Schwester Auma soll das Deutschlandbild des US-Präsidenten maßgeblich geprägt haben. Olaf Neumann traf sie zum Interview in Hamburg

Kultur Joker: Ist Obama in Kenia ein häufig vorkommender Familienname?

Auma Obama: Als ich klein war, waren wir die einzigen Obamas, die ich kannte. Heute jedoch nennen viele Leute ihre Kinder Obama oder auch Barack. Manche haben sogar den Familiennamen Obama angenommen.

Kultur Joker: 1976 wählten Sie auf dem Mädcheninternat in Nairobi Deutsch als Fremdsprache. War das die folgenreichste Entscheidung Ihres Lebens?

Obama: Im Nachhinein ja. Mein bisheriges Leben war sehr bewegt, vieles davon hatte mit Deutschland zu tun. Als junge Frau in Kenia las ich Heinrich Böll und Wolfgang Borchert. Ihnen ist es letztendlich zu verdanken, dass ich hierhergekommen bin. Ich war schon immer interessiert an sozialen und existenziellen Fragen. Autoren wie Böll und Borchert haben den Ersten und Zweiten Weltkrieg miterlebt und hinterher ihre ganze Existenz hinterfragt. Bis heute habe ich Bilder aus „Draußen vor der Tür“ im Kopf.

Kultur Joker: Im Oktober 1980 kamen Sie als 19-Jährige zum Studieren nach Deutschland – und blieben hier 16 Jahre. Ihre Stationen waren Saarbrücken, Heidelberg, Bayreuth und Berlin. Wie sehr hat Deutschland Sie geprägt?

Obama: Mein Denken hat es vielleicht nicht so sehr geprägt, aber ich bin in Deutschland erwachsen geworden. Es war die Zeit der Frauenbewegung, der Selbstfindung und des Individualismus. Man hat sich damals sehr mit sich selbst beschäftigt. Ich eingeschlossen. Ich war regelrecht gezwungen dazu, weil ich anders aussah. Ich habe meine ganze Existenz hinterfragt und musste mich so manches Mal rechtfertigen, warum ich nach Deutschland gekommen bin. Ich stamme aus einer Kultur, in der die Großfamilie nach wie vor sehr wichtig ist. In Deutschland drehte sich aber alles ums Individuum. Wenn Familie, dann nur eine kleine. Das alles hat mich geprägt – und mir meine eigene Kultur noch bewusster gemacht. Ich wusste zu schätzen, was ich an ihr hatte.

Kultur Joker: Nach Ihrer Promotion in Germanistik in Bayreuth arbeiteten Sie als freiberufliche Journalistin und gaben Seminare für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Was waren Ihre Themen?

Obama: Ich war in der Erwachsenenbildung tätig. Es ging um das Afrika-Bild der Deutschen und seinen Einfluss auf die Entwicklungspolitik. Ich habe schon damals die Entwicklungspolitik hinterfragt. Sie basierte meiner Meinung nach auf Vorurteilen und Stereotypen. Ich wollte dem Normalverbraucher aufzeigen, dass sein Afrika-Bild falsch ist. In einer Hütte zu leben, bedeutet zum Beispiel nicht zwangsläufig, arm zu sein. Es ist einfach nur eine andere Kultur.

Kultur Joker: Sie wuchsen in Kenia auf, Ihr ein Jahr jüngerer Bruder Barack wurde auf Hawaii geboren. Erst 1984 sahen Sie sich zum ersten Mal. Die folgenreichste Begegnung Ihres Lebens?

Obama: 1984 schrieb mein Bruder mir einen Brief nach Heidelberg, wo ich studierte. Die Handschrift kam mir irgendwie bekannt vor. Zuerst dachte ich, es sei ein alter Brief meines verstorbenen Vaters. Das konnte aber nicht sein, da stand nämlich eine Adresse aus Chicago drauf. Vieles an Barack erinnerte mich an unseren Vater: sein Aussehen, sein langsames, überlegtes Sprechen, die Mimik und Gestik. Im Nachhinein war das auf jeden Fall eine folgenschwere Begegnung. Und zwar in dem Sinne, dass ich einen Bruder gewonnen hatte. Plötzlich war da jemand, mit dem ich mich extrem gut verstand. Mit der Zeit wurde das Normalität. Barack war dann einer meiner Brüder. Erst im Nachhinein wurde mir die Bedeutung dieser Begegnung klar. Heute kann ich sagen, dass ich mich mit Barack am besten verstehe von all meinen Geschwistern. Das ist wie ein Geschenk.

Kultur Joker: Über Ihren Halbbruder schreiben Sie Folgendes: „Aus allem, was er sagte und tat, sprach der Wunsch, das Leben seiner Mitmenschen gerechter zu gestalten“.

Obama: Erst einmal existiert in Afrika der Begriff „Halbbruder“ nicht. Für uns gibt es nur Brüder und Schwestern. Barack arbeitete anfangs als Sozialarbeiter in Chicago. Ich weiß noch, wie wir mit seinem kleinen Fiat zwischen all diesen Straßenkreuzern herumkurvten. Ich habe gesehen, wie sehr er sich für die Menschen dort engagierte. Er wollte schon damals einen sozialen Wandel. Wir haben viel über seine Ziele gesprochen.

Kultur Joker: Auf welche Weise haben Sie Ihrem Bruder später beim Wahlkampf geholfen?

Obama: Ich war die Kontaktperson zu den Supportern. Ich habe ihnen von unserer Familie erzählt, damit sie ein Verhältnis zu meinem Bruder bekamen. Ich wollte ihnen vermitteln, dass zu Barack mehr gehörte als „nur“ die Kandidatur für das Amt des amerikanischen Präsidenten. Ich wollte herausfinden, was die potenziellen Wähler von ihm erwarteten. In Iowa traf ich sogar deutsche Supporter. Einer hatte sich extra zwei Urlaubssemester genommen. Er durfte gar nicht wählen, wollte aber trotzdem den seiner Meinung nach richtigen Mann unterstützen.

Kultur Joker: Hillary Clinton bombardierte Ihren Bruder im Vorwahlkampf mit Negativschlagzeilen, nach der Wahl trafen Sie nach eigenen Worten auf eine sympathische Frau. Hat Sie das irritiert?

Obama: Es hat mich schockiert und verwirrt. Mein Bruder hat mir dann erklärt, dass so in Amerika Politik funktioniert. Er selbst war im Wahlkampf eher sachlich als attackierend. Den anderen Kandidaten hingegen waren alle Mittel recht, damit sie gut rüberkommen. Diese Gemeinheiten sind aber nicht persönlich gemeint. Das zu trennen, fiel mir sehr schwer. Als ich Hillary dann persönlich kennen lernen durfte, war ich angenehm überrascht. Denn sie ist eigentlich sehr nett. Und eine starke Frau. Ich kann verstehen, weshalb viele Leute sie wählen wollten.

Kultur Joker: Seit der Wahl Ihres Bruders zum US-Präsidenten kennt die ganze Welt Ihre in Kenia lebende Großmutter „Mama Sarah“. Ist sie mit ihren 88 Jahren das Oberhaupt der Familie Obama?

Obama: Sie ist sozusagen die Queen Mother der Obamas, für alle Familienmitglieder die erste Respektsperson. Mama Sarah ist geistig und körperlich total fit und sehr weise. Sie macht immer noch Witze. Inzwischen bin ich selbst alt genug, dass ich mit ihr über alles diskutieren kann. Mama Sarah fragt mich zuweilen um Rat. Inzwischen rede ich bei wichtigen familiären Entscheidungen ein Wörtchen mit.

Kultur Joker: Die Großfamilie Obama lebt verstreut über die halbe Welt: Kenia, USA, England und Indonesien. Werden alle kommen, wenn Familien-oberhaupt Mama Sarah nächstes Jahr ihren 89. Geburtstag feiert?

Obama: Bei uns Luo werden Geburtstage nicht besonders gefeiert. Der Tod bringt die Familie eher zusammen als Geburtstage. Dann geleiten alle den Verstorben aus dem Leben hinaus. Im Grunde genommen sind wir wie alle anderen Familien auch. Vielleicht gibt es bei uns mehr Kontakte, weil wir eine Großfamilie sind. Meine Mutter zum Beispiel lebt heute in England. Sie ist sehr unabhängig. Das finde ich gut. Man darf mein Buch nicht falsch verstehen, es ist keine Familiensaga. Deshalb habe ich Fotos bewusst weggelassen. Es ist eher die einfache Geschichte des Mädchens Auma, das allmählich zur Frau wird. Alles, was ich beschreibe, sind meine persönlichen Eindrücke. Ich hoffe, es wirkt nicht narzisstisch.

Kultur Joker: Ihr Bruder hat mehrfach betont, die Beziehung zu Deutschland sei ihm ganz besonders wichtig. Es heißt, Sie hätten sein Deutschlandbild geprägt. Hat Ihr Bruder Ihr Buch bereits gelesen?

Obama: Nein, er kann ja kein Deutsch. Ich denke aber, dass es irgendwann auch eine englische Ausgabe geben wird. Ich bin aber nicht Barack Obama, ich bin Auma. Ich will mich nicht über meinen Bruder definieren, sondern mich selbst beweisen. Natürlich gehört er zu meinem Leben dazu, aber als mein kleiner Bruder und nicht als Präsident.

Kultur Joker: Wie treten Sie mit Ihrem Bruder in Kontakt? Können Sie ihn einfach anrufen?

Obama: Barack ist für Sie vielleicht der Präsident, aber für mich ist er vor allem der kleine Bruder. Warum soll es kompliziert sein, den eigenen Bruder anzurufen. Für ihn ist es ganz normal, wenn seine Schwester oder seine Großmutter sich melden. Er ist ja auch ein Mensch. Die Familie ist immer für ihn da. Sie ist das allerwichtigste.

Kultur Joker: Welche Botschaft hat Ihr Buch?

Obama: Es hat eine Botschaft an Afrikaner und Afrikanerinnen und andere Andersaussehende, die hier leben, eventuell sogar Deutsche sind. Diese Menschen haben alle ihre persönlichen und besonderen Geschichten, die sich vielleicht mit meinen Erlebnissen decken. Gleichzeitig wende ich mich auch an die Deutschen selbst. Ich möchte ihnen ein anderes Bild vermitteln von den so genannten Fremden, die in ihrem Land leben. Vielleicht kann ich dabei helfen, dass das Anderssein nicht als das Fremde verstanden wird.

Auma Obama – Das Leben kommt immer dazwischen. Stationen einer Reise, Lübbe-Verlag, geb., 318 S., Euro 19,99.