Das Museum Frieder Burda zeigt Arbeiten von Sigmar Polke
Seiten- und Pinselhiebe
Muss Kunst immer ernst sein? Witz gehört in Sigmar Polkes Werk dazu und macht den besonderen Charme seiner Arbeiten aus. Der 2010 verstorbene Künstler spielte dabei auch gern mit Zitaten. So hat er die Umrisse von Albrecht Dürers berühmtem Hasen nachgeformt – mit Wäschegummi. Dieses Werk ist Teil der Ausstellung „Sigmar Polke. Alchemie und Arabeske“, die bis zum 21. Mai im Museum Frieder Burda in Baden-Baden gezeigt wird. Die Schau präsentiert Polke-Werke aus der Sammlung Frieder Burda und ergänzt sie um thematisch passende Arbeiten aus dem Nachlass des Künstlers und Stücke aus internationalen Sammlungen. Das Ergebnis bietet einen reizvollen Querschnitt durch Sigmar Polkes experimentierfreudiges und humorvolles künstlerisches Arbeiten.
Angst vor großen Formaten war Sigmar Polke fremd. Im Erdgeschoss finden einige ausgewählte großformatige Bilder den Raum, den sie brauchen, um zur Geltung zu kommen. So kann man die schwungvollen Arabesken bewundern, die Polke aus Gemälden von Dürer und Altdorfer als Zitat übernommen und in Kontrast zu eigenen farbigen Linien gesetzt hat.
Die „Verkündigung“ allerdings fällt anders aus als bei den alten Meistern. Maria liest keineswegs gottgefällig in der Bibel. Offensichtlich hat sie sehnsüchtig gewartet, eingerahmt von Ruinenmauern. Aber es naht kein Engel, sondern ganz eindeutig, wenn auch unter Weglassung der Kanonenkugel, der Freiherr von Münchhausen. Dieser wurde auch als „Lügenbaron“ bekannt.
Mit Seiten- bzw. Pinselhieben bekamen so einige wichtige Zeitgenossen Polkes ihr Fett ab. „Kartoffelköppe“ nannte der Künstler despektierlich seine in der Form Kartoffeln ähnelnden Abbildungen der Köpfe des chinesischen Staatschefs Mao (nein, er war kein Demokrat) und des damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson. Auf einem anderen Bild fasste Polke zusammen, was vor Jahrzehnten Bildungsbürger an der modernen Kunst störte, und behauptete dazu kühn im Bildtitel: „Höhere Wesen befahlen mir, die obere rechte Ecke schwarz zu malen“.
Gern kombinierte Polke Dinge, die scheinbar gar nichts miteinander zu tun haben. Zum Beispiel Stoffe und Malerei. Auf Blümchenmuster wie für ein Sommerkleid malte Polke ein Gesicht im Profil. Aber nicht etwa ein Porträt, nein, das Profil hat der Künstler bewusst so hingepinselt als sei es gemäß des Prinzips Malen nach Zahlen entstanden.
Aus Papageien, die einen Tapetenstoff bevölkern, zauberte Polke ein fantasievoll verspieltes neues Bild. Gern arbeitete der Künstler mit Motiven, die jeder sofort erkennt. „Hollywood“ zeigt Frauenköpfe, die den Glamour von Hollywood-Streifen der 1920er und 1930er Jahre herauf beschwören. Knallrote Lippen, gewellte Haare, dazu der passende Männerkopf im Rodolfo Valentino-Stil, fertig sind die Zutaten, aus denen die Blockbuster unserer Großeltern gemacht waren. Im Zentrum des Bildes schwebt eine freche Opiumblüte – nicht dass es dem Betrachter zu nostalgisch zumute wird. In der guten alten Zeit war längst nicht alles gut.
Die 1980er Jahre waren in Deutschland geprägt von der Angst vor atomarer Aufrüstung und der Sorge um die strahlenden Hinterlassenschaften der Kernenergie. Sigmar Polke reagierte darauf auf seine Art: er sammelte und experimentierte mit Uran-Glas. Dieses strahlt und leuchtet in einem eigenen Kabinett hinter Glas unter Schwarzlicht vor sich hin. Faszinierende Farbeffekte erzielte der Künstler, indem er Urangestein auf lichtempfindliches Fotopapier legte. Unerschrocken arbeitete Polke mit Säuren, die seinen Fotografien des deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig 1986 eine geheimnisvolle Tiefe verleihen. Das erinnert eher an das Labor eines Alchemisten als an das Atelier eines Malers.
Eine Ausstellung in San Francisco inspirierte Sigmar Polke zu einer Reminiszenz an die Goldgräber-Vergangenheit Kaliforniens. Er goss flüssiges Gold in die Furchen des Straßenasphalts. Die Resultate hängen im Museum Frieder Burda und wirken wie archaische Fundstücke aus längst vergangenen Zeiten. Es ist eben nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint.
„Sigmar Polke. Alchemie und Arabeske“, Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden
www.museum-frieder-burda.de
Nike Luber