Poesie im Dachstuhl
Neue Arbeiten von Elisabeth Endres im Kunstverein Schallstadt.
Einfach nur „Block“ hat Elisabeth Endres ihre Werkserie übermalter Auktionskataloge genannt. Eine Lakonie, die sich in den aufgedruckten Mitteilungen wie „Ausstellung, Freitag, 2. bis 5. November 1928 von 10 bis 6 Uhr“ oder „Dienstag, 6. November 1928, Vormittag 10 Uhr“ wiederfindet. Was das Berliner Kunst-Auctions-Haus Rudolph Lepke hier ankündigt, war jedoch nicht irgendeine Versteigerung, sondern eine politische und ästhetische Kehrtwende. Mitte der 1920er Jahre trennte sich Russland von seiner zaristischen und großbürgerlichen Vergangenheit und verkaufte jene Kunstschätze, die man nicht für pädagogisch oder kunsthistorisch wertvoll hielt. Nicht nur Museumsbestände kamen im Ausland unter den Hammer, viele Bilder, Möbel und Gegenstände des Kunsthandwerks wurden enteignet und zu Devisen gemacht.
Davon erzählen die Blätter von Elisabeth Endres, die derzeit im Kunstverein Schallstadt zu sehen sind, auch. Und wer sich bemüht, kann unter den Übermalungen etwa Schwarzweißreproduktionen von Gemälden oder einen Kandelaber entdecken. Es ist jedoch nicht allein der Firnis der Geschichte, der gelblich über den ausgetrennten Blättern des Auktionskatalogs liegt. Bevor die 1947 in Karlsruhe geborene Künstlerin sich daran macht, diese zu übermalen, versiegelt Endres sie mit Bienenwachs. Erst dann zeichnet sie mit zügigen Strichen ihre Figuren und Traumskizzen, oft kratzt sie aus oder wischt mit Terpentin ihre Zeichnungen weg. So entsteht etwa das Gesicht eines Jungen über einer adeligen Musizierszene oder zwei einander zugewandte Geishas, die mit dem Rücken zum Betrachter auf einer Textseite sitzen. Eingerahmt ist diese Szenerie von einer Leiste, auf der eine Teekanne mit drei Tassen abgebildet ist. Vieles auf diesen Blättern wirkt so, als wäre es auf die Künstlerin im Traum zugekommen. Da liegt ein Rabe mit nach oben gereckten Krallen auf einer Tasse oder das Porträt einer Frau in Sepiabraun weist nur ein Auge auf.
Sie habe lange das Leiden der Menschen bedient, hat Elisabeth Endres einmal gesagt, und jetzt sei das Leichte und das Absurde an der Reihe. Und wirklich hat man oft angesichts der Blätter des „Blockes“ den Eindruck, Elisabeth Endres spiele mit dem Vorgefundenen und schaffe daraus Surreales, um der Historie einen weiteren Treppenwitz zuzufügen. Dennoch sind Themen wie Krankheit, innere und äußere Verletzungen, vor allem bei ihren Bildern, nicht aus ihrem Blickfeld geraten. Es mag auch an Endres’ Arbeitsweise liegen, die per se auf Schichten aufbaut, möglicherweise bedingen sich aber auch Inhalt und Form. So sind in einer Gruppe von acht Collagen unter einem ernsthaften Kindergesicht mal ein ausgeschnittenes mit blauem Kajal umrandetes Auge zu entdecken, mal sind die übermalten Motive kaum mehr zu erkennen. Das Unheimliche tritt aus diesen Blättern und Bilder wie die Kolonne von Schaben aus dem Mund eines Kindes. Gleichzeitig wird es gebändigt wie der Männchen machende Hund und in Form gebracht. Elisabeth Endres hat Dachstuhlpoesie geschaffen, die im Kunstverein Schallstadt einen sehr intimen Ort gefunden hat.
Elisabeth Endres. Kunstverein Schallstadt, Am Käppele 2,. Bis 1. Februar. Öffnungszeiten: mi und sa 15-17 Uhr, so 11-15 Uhr. In den Schulferien geschlossen.
AH