Dostojewskis „Schuld und Sühne“ im Theater der Immoralisten
Im Kopf eines Mörders
Ein lauter Knall, schon ist man mittendrin im Stück – und damit quasi im Kopf eines Mannes, der gleich zum Mörder wird. In höchster Erregung wirft sich Rodion Raskolnikow von Wand zu Wand in der engen dunklen Blackbox, auf die das Theater der Immoralisten für dieses Stück geschrumpft wurde; in Tuchfühlung zum Publikum, das um die schmale Vierung der Bühnenfläche herumgruppiert ist.
Raskolnikow plant den perfekten Mord. Doch noch hadert der hochintelligente und bettelarme Jurastudent qualvoll, die Menschheit von der widerwärtigen Wucherin zu befreien, die sich fortwährend am Elend anderer bereichert. Wäre solch eine segensreiche Tat nicht gerechtfertigt? Ein einzelner Mord für das Wohl von Tausenden… Schon holen ihn die Zweifel wieder ein. „Gott, mach mich frei von dieser verfluchten Idee!“
Die Gier der Pfandleiherin wird zu seinem Verhängnis. Mit einer Axt erschlägt er sie und auch ihre zufällig anwesende Schwester. Recht geschieht der gemeinen Alten, mag einem vielleicht kurz durch den Kopf schießen – ähnlich wie einem Kind im Kasperletheater, wenn der Kasper den bösen Räuber übel verdroschen hat.
Wenn doch alles so einfach wäre. Raskolnikows Raserei hat vorerst zwar ein Ende, das wahre Leiden sollte nun aber erst beginnen. „Schuld, das sind die kleinen Dämonen, die über der Seele hängen.“ Er verfällt in einen heftigen Fieberwahn und geht durch die (brillant inszenierte) Hölle seiner Schuldgefühle, bis er sich schließlich der Polizei stellt (Bühne und Regie: Manuel Kreitmeier).
Korrekt übersetzt müsste (wie man heute weiß) Dostojewskis wohl berühmtester Roman eigentlich „Verbrechen und Strafe“ lauten; ein Titel, der die moralisierende Sichtweise vorab objektivierte. Demgegenüber eröffnet der geläufige (einem Übersetzungsfehler geschuldete) Titel „Schuld und Sühne“ direkt das Tor zum Erleben des Protagonisten. Dieserart fand er auch Eingang in die psychodramatische Inszenierung der Immoralisten.
Der Zuschauer im Kopf des Mörders, das ist großes Kino, besser gesagt: Kopfkino. Dieses verdankt sich vor allem der subtilen Regie, die den Zuschauer einem ständigen Blickwechsel zwischen Innenleben und Außensicht aussetzt, sowie natürlich den durchweg ausgezeichneten Darstellern; allen voran Jochen Kruß, der die Figur des von Schuld Zerrissenen grandios und mit allen Fasern seines Leibes verkörpert. Anna Tomicsek (brillant in der Rolle der gierig-skrupellosen Pfandleiherin), Markus Schlüter, Daniel Leers, Sebastian Ridder, Chris Meiser, Florian Wetter und Gabriele Rissler: sie alle verkörpern mehrere Figuren, innerhalb derer sie laufend hin und her springen. Dennoch bleibt ihr Spiel durchweg überzeugend, ihr Tun stets einleuchtend.
Florian Wetter verfasste die stark verkürzte und dennoch schlüssig gebliebene Bühnenfassung zu Dostojewskis Romanvorlage und komponierte auch die raffiniert-psychologisierende Musik analog zur Dramatik des Geschehens. Und zwar so, dass sich einem schließlich die Frage stellt: Was haben wir im Kopf des Mörders verloren, was haben wir dort zu suchen? Aktualitätsbezug besitzt das Stück allenthalben und zu allen Zeiten. Könnte es am Ende gar man selbst sein, den man überraschenderweise dort findet?
Weitere Aufführungen im Theater der Immoralisten, Freiburg: 5./6./7./13./14./19. /20./21./16./27./28. Januar; 2./3./4./9./10./11./16./17./18. Februar, jew. 20 Uhr. Infos/Karten: Tel. 0761/4968888 oder www.immoralisten.de/karten.
Friederike Zimmermann