Absurde Szenen an Europas Grenzen
Ödön von Horváths Posse „Hin und Her“ beim Sommer-Open-Air der Immoralisten
„Wenn nicht jetzt, wann dann?“, dürfte sich der Regisseur Manuel Kreitmeier gedacht haben, als er Ödön von Horváths 1933 verfasstes und seitdem selten gespieltes Stück „Hin und Her“ zum Sommer-Open-Air bestimmte. Ist doch der Stoff heute, da täglich Tausende ohne die Möglichkeit einer Rückkehr in ihre verlassene Heimat vor Europas Grenzen zurückprallen, aktueller denn je.
Wer aber denkt, es handle sich hierbei um eine Tragödie, der irrt gewaltig. Für den in Ungarn geborenen und aus Deutschland verwiesenen Horváth war es vielmehr die Gelegenheit, sich über das Erlebte lustig zu machen, nachdem er fast so endete wie sein Protagonist Ferdinand Havlicek.
Auch Havlicek (Jochen Kruß) wird des Landes verwiesen, weil er pleiteging und dem Staat als Ausländer nicht auf der Tasche liegen soll. Als er vom Gendarmen Mrschitzka (Antonio Denscheilmann) zur Grenze geführt wird, glaubt er noch an einen Irrtum. Dort wacht Grenzorgan Thomas Szamek (Daniel Leers) auch über sein Töchterchen Eva (Soramonich Sam), die ein Auge auf Grenzorgan Konstantin (Sebastian Ridder) auf der Gegenseite geworfen hat. Nachdem auch der wegen irgendwelcher bürokratischer Details nicht bereit ist, für Havlicek den Schlagbaum zu heben, dämmert jenem, in welch verzwickter Lage er sich befindet: Gefangen zwischen zwei Ländern und deren irrwitzigen Gesetzen bleibt ihm nur mehr die einfache Holzbrücke über dem Grenzfluss, auf der er fortan hin und her geht. Bemüht, wechselnd die Grenzorgane zu überzeugen gerät er in die Mühlen deren eigener Interessen und fungiert als Bote zwischen den Fronten.
Klingt dramatisch – und leider irgendwie bekannt. Gerät aber bei den Immoralisten, nicht zuletzt durch das hervorragende Spiel sämtlicher Akteure und ganz im Zeichen ihres Namens, zum Generalangriff auf die Lachmuskeln. Wie heißt es doch so schön: Humor ist die höchste Form der Erkenntnis… Horváth schrieb für das Stück eine Drehbühne vor, die im Freien schwerlich realisierbar ist. Die Immoralisten lösten das Problem durch Rollen unterm Schlagbaum, dem einzigen Versatzstück der Bühne. Zum „Running Gag“ wird nun das rockende Kreisen dieser Grenze, von den Akteuren immer wieder angeschoben zur Musik aus dem Off. Unglaublich komisch, diese einzigartigen Bewegungen der Darsteller, die sich durch das ganze Stück ziehen und das ohnehin schon Bizarre noch mehr ad absurdum führen.
Hin und her gehen auf der Brücke noch allerlei andere Gestalten, der kleine Grenzverkehr sollte für Havlicek bald alles andere als eintönig werden: Da wären der Privatpädagoge mit Frau (Uli Winterhager und Florian Wetter), der Oberschmuggler und seine Muse (dieselben), von der einen Seite taucht immer wieder Frau Hanusch (Anna Tomicsek) auf, einmal treffen sich sogar die beiden Regierungs-chefs zu Verhandlungen auf der Brücke… – ein wahrer Mikrokosmos des Absurden. Ein Alptraum. Wie lange dauert es eigentlich, bis Enttäuschung in Wut umschlägt? Neben aller Komik wirft das Stück ein Schlaglicht auf den psychologischen Prozess solcher Gestrandeten: Vom willfährigen Lächeln, der strategischen Anbiederung an beiden Grenzen und den darauffolgenden Frust bis hin zum heiligen Zorn ob der Selbsterniedrigung. Mit der Drehung der Szene wird der Zuschauer nicht nur Zeuge der äußeren Geschehnisse, sondern eben jenes psychischen Hin- und Her-Geworfen-Seins eines Menschen, der im Niemandsland gestrandet ist. Im Stück findet das ein gutes Ende, im wahren Leben leider meistens nicht.
Noch bis 10. September. Termine: www.immoralisten.de oder T.: 0761/1556022 + 0761/3181212. Theater der Immoralisten, Ferdinand-Weiß-Str. 9-11 (gegenüber E-Werk), Freiburg.
Friederike Zimmermann