„Ohren und Herzen öffnen“
Klaus Lauer, Künstlerischer Leiter der Badenweiler Musiktage im Interview
Es war eine kleine Sensation, als sich der frühere Hotelier und Konzertveranstalter Klaus Lauer im letzten Jahr aufmachte, die 2007 zum großen Bedauern eingestampften, renommierten Römerbad-Musiktage in einem anderen Saal unter einem neuen Namen fortzusetzen. Schon im ersten Jahr feierten die Badenweiler Musiktage, wie das Kammermusikfestival nun heißt, einen großen Erfolg, so dass es künftig sogar zwei Zyklen pro Jahr geben wird. Georg Rudiger hat sich mit Klaus Lauer getroffen. Ein Gespräch über die Reize der Neuen Musik, den improvisierenden Komponisten Bruno Mantovani und den frühen Beginn seiner Konzerte.
Kultur Joker: Was verbinden Sie mit der Jahreszahl 1875?
Klaus Lauer: (Überlegt) Damals war das Hotel Römerbad in Badenweiler 50 Jahre alt. Und ich verbinde damit, dass in diesem Jahr das älteste Stück meines kommenden Zyklus ist: die erste Violinsonate von Gabriel Fauré.
Kultur Joker: Alle Achtung – Sie kennen Ihr Konzertprogramm aber wirklich gut. Bei den kommenden Badenweiler-Musiktagen mit dem Titel „…à la française…“ sind im Gegensatz zu letztem Jahr fast nur Kompositionen aus dem 20. und 21. Jahrhundert zu hören. Auch durchaus Sperriges wie die erste Klaviersonate von Pierre Boulez. Mit Bruno Mantovani haben Sie sogar einer Composer in Residence vor Ort. Haben Sie nicht Angst, dass Ihnen die Gäste wegbleiben?
Klaus Lauer: Diese Angst habe ich ja nie gehabt. Die Klaviersonate von Boulez, die aus den späten 1940er-Jahren stammt, ist heute schon Geschichte. Und die Musik von Bruno Mantovani ist eingängig und hat eine ganz klare rhythmische Strukturierung. Ich finde, dass man sie sehr gut hören kann. Was den Publikumszulauf betrifft – in den Römerbad-Jahren sind die Zuhörer auch gekommen, obwohl die Programme noch anstrengender waren. Ein Publikum, das Kammermusik hört, ist auch gegenüber Neuer Musik aufgeschlossen.
Kultur Joker: Warum ist Ihnen die Neue Musik so wichtig?
Klaus Lauer: Ich persönlich bin ja kein Musiker. Und ich beurteile Musik nicht dahingehend, ob sie alt oder neu ist, sondern ob sie nach meinem Empfinden gut oder schlecht ist. Ich hatte nie Vorurteile gegenüber Neuem. Bei Neuer Musik weiß ich als Hörer nicht, was als nächstes kommt – das finde ich ungeheuer spannend. Außerdem glaube ich, dass man die alte Musik mit anderen Ohren hört, wenn man sich auch mit zeitgenössischer Musik auseinandersetzt.
Kultur Joker: Bei den ersten Ba-denweiler Musiktagen vor einem Jahr waren auch Werke von Beethoven, Brahms und Wagner zu hören. Wie lautet Ihr künstlerisches Fazit des ersten Festivals?
Klaus Lauer: Ich hatte ja nur eine sehr kurze Vorbereitungszeit von einem halben Jahr. Normalerweise arbeitet man über einen Zeitraum von zwei Jahren. Deshalb ist es für mich ein kleines Wunder, dass es so gut geklappt hat. Das Konzept mit den Antipoden hat gut funktioniert. Der Abend mit Wagner-Debussy zum Beispiel. Oder auch einen Komponisten wie György Ligeti mit dem späten Brahms und Debussy zu kombinieren, war durchaus schlüssig. Dieses Mal hatte ich ein wenig mehr Vorlauf, weil ich den Zyklus parallel zum Festivaldebüt geplant habe.
Kultur Joker: Sie wussten also, dass es weitergeht.
Klaus Lauer: Das war Bedingung für meinen Vertrag. Unter drei Festivalausgaben hätte ich in Badenweiler nicht angefangen.
Kultur Joker: Und das wirtschaftliche Fazit?
Klaus Lauer: Unsere Messlatte liegt bei ungefähr 1000 Besuchern. Letztes Jahr kamen rund 1600. Deshalb haben wir beim ersten Festival eine schwarze Null geschrieben, obwohl wir Initialkosten tragen mussten, die bei den Folgefestivals nicht anfallen. Wir mussten eine Website erstellen lassen und ein Werbekonzept in Auftrag geben. Auch Schallwände haben wir zur Verbesserung der Akustik angeschafft. Die Finanzierung mit den Eintrittsgeldern und den Zuwendungen von Sponsoren ist ausgezeichnet gelungen. Das halte ich für ein Kammermusikfestival, das ambitionierte Programme bietet, für erstaunlich. Die Menschen aus dem Markgräfler Land müssen nun nicht nach Freiburg fahren, um Erstklassiges zu hören. Aber wir hatten auch sehr viele Gäste, die von Ferne angereist sind und gleich das ganze Festivalpaket gebucht haben. Das ist natürlich für einen Kurort ein sehr interessantes Argument. Dadurch werden viele Gelder der lokalen Wirtschaft zugeführt.
Kultur Joker: Inwieweit stehen die 2014 gegründeten Badenweiler-Musiktage in Kontinuität zu den Römerbad-Musiktagen, die Sie von 1973 bis 2007 im Hotel Römerbad geleitet haben?
Klaus Lauer: Wir müssen uns nicht neu erfinden. Ich mache weiter mit einer ähnlichen Dramaturgie. Unser Gegenstand ist die Musik von Johann Sebastian Bach bis heute. Da hat man unendliche Möglichkeiten der Kombination und Schwerpunktsetzung, auch wenn man im Bereich der E-Musik bleibt. Weltmusik und ähnliches ist nicht das, was mich interessiert. Das ist mir zu unbestimmt.
Kultur Joker: Also auch keine Erweiterung in Richtung Jazz.
Klaus Lauer: Das könnte ich mir durchaus vorstellen. Wir haben ja im Hotel Römerbad auch mit den Künstlern des Münchner Labels ECM ein Festival gemacht. Diese Jazzmusiker kennen alle ihren Debussy und ihren Ravel.
Kultur Joker: Und was ist das Neue an den Badenweiler Musiktagen?
Klaus Lauer: Der Ort, an dem es stattfindet, ist neu. Es ist verständlich, dass eine Gemeinde, die einen Saal hat, diesen nutzen möchte. Hier war ich zu Beginn etwas unruhig, ob dieser Transfer gelingen würde. Wir haben nun einen modernen Saal, der, was die Zuschauerkapazität angeht, etwa doppelt so groß ist wie der achteckige Hofsaal im Hotel Römerbad. Aber die Zuhörer und die Künstler waren sehr angetan davon. Das Kurhaus ist ja wie ein Amphitheater gebaut – jeder sieht gut auf seinem Platz. Auch das ist ein Vorteil. Früher war es ein Privatfestival, jetzt ist es ein Festival der Stadt. Die Identifikation des Ortes mit dem Festival ist jetzt viel höher als früher. Wir hatten bei der ersten Ausgabe pro Konzert im Schnitt 400 Zuschauer. Bei den Römerbad-Musiktagen lag die Maximalzahl aus Platzgründen bei 280. Und die Tickets sind jetzt 10 Euro billiger als früher.
Kultur Joker: Können Sie selbstständig planen? Oder schaut Ihnen Michael Schmitz, Geschäftsführer der „Badenweiler Thermen und Touristik GmbH“ auf die Finger?
Klaus Lauer: Es gibt ja drei Dinge, die geklärt werden müssen. Der Termin, das Geld und das Programm. Den Termin um den 1. Mai herum haben wir gemeinsam festgelegt. Bei den Finanzen habe ich ein gewisses Limit. Wenn ich darunter liegen sollte, muss diskutiert werden. Programmatisch bin ich vollkommen frei. Das habe ich mir vorbehalten.
Kultur Joker: Bis jetzt. Und wenn das Limit unterschritten wird?
Klaus Lauer: Dann muss man die Gründe dafür genau untersuchen, ich würde aber natürlich selbst reagieren. Aber ich würde nie die Messlatte tiefer ansetzen, um gefällig zu werden. Das ist nicht meine Philosophie. Ich habe übrigens klare Beweise dafür, dass solch eine Rechnung nicht aufgehen würde. In Bad Reichenhall, wo ich von 2008 bis 2012 das Alpenklassik-Festival leitete, wollte mich der Freundeskreis dazu bewegen, weniger Neue Musik zu machen. Die Besucherzahlen hatte ich zum Gespräch aber mitgebracht. Die drei am schlechtesten besuchten Konzerte waren die mit klassisch-romantischer Musik. Man darf sein Publikum natürlich auch nicht überfordern, sondern muss es kontinuierlich an das Neue heranführen.
Kultur Joker: Eine weitere Veränderung sind die Werkeinführungen vor dem Konzert.
Klaus Lauer: Wir haben mit dem früheren SWR-Redakteur Rainer Peters einen hervorragenden Fachmann gefunden, der auch komplexe Dinge sehr gut erklären kann. Auch die Künstler werden vielleicht während des Konzertes selbst ein paar Worte zum Programm sagen. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass Jean-Efflam Bavouzet im ersten Konzert darüber spricht, warum er Claude Debussys Ballettmusik „Jeux“ für Klavier bearbeitet hat.
Kultur Joker: Der Konzertbeginn um 18 Uhr ist ungewöhnlich. Warum machen Sie die Konzerte so früh?
Klaus Lauer: Den gängigen 20 Uhr-Termin finde ich äußerst ungünstig. Man hat keine Zeit mehr, vor dem Konzert etwas zu essen – das mache ich ohnehin nicht gerne. So ein Konzert dauert ungefähr bis 22.30 Uhr. Danach bekommen sie nirgendwo mehr etwas oder die Kellner sind mürrisch. In London fangen die Konzerte um 19 Uhr an. Dort gehen die Leute direkt von der Arbeit ins Konzert – und haben danach noch genügend Zeit, um etwas mit dem Abend anzufangen. Die Nachbereitung eines Konzertes finde ich sehr wichtig. Deshalb werden unsere Gäste noch auf ein Glas Wein eingeladen. Danach kann man immer noch essen gehen.
Kultur Joker: Sie haben mit Bruno Mantovani einen Komponisten vor Ort, von dem in jedem Konzert ein Werk erklingt. Einmal ist er sogar selbst als Pianist zu erleben. Wie sind sie auf den französischen Komponisten gestoßen?
Klaus Lauer: Ich habe seine Musik im Radio auf „France Musique“ gehört – und war ganz fasziniert davon. Dann lernte ich ihn persönlich kennen und arbeitete bereits bei den Römerbad-Musiktagen und in Bad Reichenhall mit ihm zusammen. Mantovani ist Komponist, Dirigent, Pianist und Leiter des Pariser Konservatoriums. Ein sehr wacher, intelligenter Typ mit einem großartigen Humor! Ich habe auch von vielen Musikern gehört, dass sie seine Werke schätzen. Das ist für mich ebenfalls wichtig.
Kultur Joker: Wie würden Sie seine Musik beschreiben?
Klaus Lauer: Seine Musik ist konsequent und lebendig. Und einfach mitreißend.
Kultur Joker: Im Konzert von Isabelle Faust wird Mantovani improvisieren. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Klaus Lauer: Isabelle Faust spielt in Badenweiler ein ganz exklusives Programm, das ich mir gewünscht habe. Ich wollte ihr eigentlich auch noch ein Stück von Mantovani auf‘s Auge drücken, aber für die Einstudierung hatte sie keine Zeit. Dann hat Bruno Mantovani den Vorschlag gemacht, über die Violinsonate von Gabriel Fauré, die Isabelle Faust zuerst spielt, zu improvisieren. Fauré sei ja ein Vorgänger von ihm als Direktor des Pariser Konservatoriums und auch noch am gleichen Ort wie seine Mutter geboren, sagte er mir. Das würde ja gut passen. Und für das Publikum ist es natürlich interessant, den Komponisten als Pianisten und Improvisator zu erleben. Sehr abwechslungsreich ist auch das letzte Konzert am Sonntag, wo es mit den Mitgliedern des Ensemble Modern ganz verschiedene Besetzungen und Epochen zu hören gibt. Von César Franck bis Edgard Varese, von Maurice Ravel bis Bruno Mantovani.
Kultur Joker: Sie machen im Herbst nochmals einen Festivalzyklus unter dem Titel „Herbstlied“, bieten also die Badenweiler Musiktage zweimal im Jahr an. War das schon von vorne herein so geplant?
Klaus Lauer: Nein, die Idee dazu hatte ich ungefähr drei Monate nach dem erfolgreichen Debut des neuen Festivals. Ich habe mich einfach gefragt, ob dieser Erfolg ein ganzes Jahr trägt. Wenn man aber nach einem Jahr die Werbung wieder neu ankurbeln und die vielleicht schon etwas verblassten Erinnerungen ins Gedächtnis rufen muss, dann ist das mühselig. Wenn wir jetzt schon auf das Herbstfestival hinweisen können und dann wieder aufs Frühjahrsfestival 2016, dann bleiben die Badenweiler Musiktage stärker im öffentlichen Bewusstsein. Das eine nährt das andere. Auch die großen Festivals in Luzern und Salzburg oder auch die Schubertiade in Schwarzenberg bieten mehrere Festivalphasen im Jahr an.
Kultur Joker: Was wünschen Sie sich von den Badenweiler Musiktagen?
Klaus Lauer: Ich wünsche, mir, dass unsere Gäste unbefangen in die Konzerte gehen. Sie sollen ihre Ohren und Herzen öffnen und die Musik in sich hineinlassen. Das wünsche ich mir von den Badenweiler Musiktagen.
Kultur Joker: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit der zweiten Festivalauflage.
Badenweiler Musiktage „…à la française…“, 30. April bis 3. Mai. Beginn der Konzerte jeweils 18 Uhr, Kurhaus Badenweiler. Infos zum Programm: www.badenweiler-musiktage.de. Die Herbstausgabe der Badenweiler Musiktage ist vom 12. bis 15. November. Tickets: www.reservix.de.
Aufgepasst: Wir verlosen für das Konzert am 3. Mai, 18 Uhr, mit Sarah O´Brien, Quatuor Danel und Solisten des Ensemble Modern 2 x 2 Karten. Bitte schicken Sie uns eine Mail mit dem Stichwort „Badenweiler Musiktage“ an redaktion@kulturjoker.de und geben Sie bitte Ihre Rufnummer zur Benachrichtigung bekannt. Einsendeschluss: 15. April 2015. Viel Glück!