Zwangsarbeit im Nationalsozialismus: Museum Zwangsarbeit in Weimar – Innovative Ausstellung und Publikation
Die NS-Wirtschaft war auf den Raub von Ressourcen aller Art aus, nicht zuletzt von Arbeitskraft. Ab 1938 verschleppte und versklavte der NS-Staat mehr als 13 Millionen Menschen aus ganz Europa. Ihre Lebenswege sind wenig bekannt, bis in die Gegenwart kämpfen sie und ihre Angehörigen für die Anerkennung dieser Kriegsverbrechen. Als 2022 David de Jongs Buch „Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien“ erschien, sticht es laut Handelsblatt „in ein Wespennest“. Denn häufig steht eine umfassende Aufarbeitung dieser Geschichte von Firmen, Unternehmen und Familien-Dynastien noch immer aus. Jedoch befassen sich mittlerweile Insitutionen mit dem NS-Ausbeutungssystem, darunter das „Museum Zwangsarbeit“ in Weimar.
Auch in Freiburg waren an die 10.000 Menschen, kriegsgefangene Soldaten und verschleppte Zivilisten, während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit in Betrieben und Haushalten der Stadt eingesetzt. Sie wohnten in Lagern und Privatunterkünften und konnten den Blicken der Bevölkerung kaum entgehen, auch wenn sie am Rande von Wohngebieten leben mussten; man ignorierte ihre Leiden weitgehend, Gesten des Mitleids waren eher selten und gefahrvoll.
Museum NS-Zwangsarbeit in Weimar
Am 8. Mai 2024 ist in Weimar das „Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ eröffnet worden; die Einrichtung befindet sich im ehemaligen „Gauforum“, Träger ist die Stiftung „Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora“. Erstmals wird hier die NS-Zwangsarbeit in ihrer gesamteuropäischen Dimension als rassistisches Gesellschaftsverbrechen erforscht und dokumentiert: eine Dauer-Ausstellung verdeutlicht das brutale Geschehen und befasst sich mit den Folgen nach 1945. Mehr als 20 Millionen Menschen mussten während des Zweiten Weltkrieges im besetzten Europa und im „Reich“ für NS-Deutschland arbeiten. Ein begleitender Katalog vertieft, wie die „Ordnung“ des NS-Staats funktionierte: Die propagierte „Volksgemeinschaft“ und die Zwangsarbeit der Ausgeschlossenen – sie gehören zusammen!
Die Dauer-Ausstellung zeichnet ein Porträt der NS-Gesellschaft, die radikal rassistisch formiert war und zwei Pfeiler hatte: Integrationsangebote an die als „Volksgemeinschaft“ propagierte Mehrheit einerseits sowie Ausgrenzung, Verfolgung und Mord andererseits. Das „Museum Zwangsarbeit“ befindet sich nicht zufällig im ehemaligen Weimarer Gauforum; hier sollte nämlich der 1942 zum „Generalbevollmächtigen für den Arbeitseinsatz“ (GBA) ernannte Fritz Sauckel seinen Dienstsitz als Gauleiter von Thüringen haben, als GBA verantwortlich für die millionenfache Verschleppung von Zwangsarbeiter:innen. Zwar wurde Sauckels Dienstgebäude bis Kriegsende nicht fertig (der Stab für den GBA saß im „Thüringenhaus“ in Berlin), an seiner monumentalen Architektur zeigt sich aber noch heute der Herrschaftsanspruch des NS: Das Gauforum grenzte sich von der Stadt ab und bot innerhalb des Gebäudekomplexes einen Aufmarschplatz für Tausende „Genoss:innen“ der NS-Ideologie. Auch ein Empfangssaal für NS-Eliten war vorgesehen.
Wer war zu NS-Zwangsarbeit gezwungen?
Die Deutschen profitierten von dieser Ausbeutung, doch Zwangsarbeit galt nach dem Krieg nicht als Massenverbrechen. Begreifen lassen sich die Opfer in mehreren Kategorien:
• „Fremdarbeiter“: Dies waren nach NS-Deutschland gebrachte Zivilarbeiter:innen aus den besetzten Gebieten, denen verboten war, ihren Arbeits- und Aufenthaltsort zu verlassen. Meistens waren sie in „Gemeinschaftslagern“ untergebracht. Innerhalb dieser Gruppe waren die Existenz für polnische Arbeitskräfte und sogenannte „Ostarbeiter“ (sowjetische zivile Arbeitskräfte) am schlechtesten; insgesamt 8,4 Millionen Männer, Frauen und teils Kinder.
• Kriegsgefangene: Entgegen den Bestimmungen des Genfer Kriegsgefangenenabkommens von 1929 zwang die Wehrmacht insbesondere sowjetische und italienische Kriegsgefangene zur Arbeit in der Rüstungsindustrie. Die Zahl der für Rüstungsindustrie und Landwirtschaft herangezogenen Kriegsgefangenen betrug 4,6 Millionen Männer.
• Strafgefangene: Bereits in den 1930er-Jahren, vor allem aber im Verlauf des Krieges, wurden die Insassen von Gefängnissen und Strafgefangenenlagern zunehmend zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gezwungen. Untergebracht waren sie in Gefängnissen, Zuchthäusern sowie in Justizhaftlagern. Ihre Gesamtzahl dürfte bei 200.000 liegen.
• „Arbeitsjuden“: Ab 1938 wurde im deutschen Machtbereich die jüdische Bevölkerung zur Zwangsarbeit herangezogen. Untergebracht war diese in Lagern und Ghettos und wurde meist später ermordet. Ab Herbst 1944 mussten auch nichtjüdische Angehörige (sogenannte „Halbjuden“ und „jüdisch Versippte“) zwangsweise arbeiten. Die Gesamtzahl der Juden und Jüdinnen, die im Reichsgebiet außerhalb der Konzentrationslager herangezogen wurden, beträgt etwa 110.000. Jenseits der Reichsgrenzen war ihre Zahl höher.
• KZ-Häftlinge: Ab 1943 wurden fast alle KZ-Häftlinge für die Kriegswirtschaft eingesetzt, vor allem in Rüstungsbetrieben und auf Baustellen. Die Zahl der Zwangsarbeit leistenden KZ-Häftlinge betrug etwa 1,7 Millionen Männer und Frauen aus fast allen Ländern Europas. Es handelte sich um politische Häftlinge, Jüdinnen und Juden, Sinti:zze und Rom:nja, als homosexuell, „asozial“ oder als „Berufsverbrecher“ Verfolgte, zudem Zeugen Jehovas.
• Sinti:zze und Rom:nja: Innerhalb des Deutschen Reiches, vor allem aber in den besetzten Gebieten, wurden auch Sinti:zze und Rom:nja zur Zwangsarbeit herangezogen; ihre Zahl wird auf mehrere Zehntausend geschätzt.
Die Unterwerfung und Ausbeutung Europas war Deutschlands Ziel im Zweiten Weltkrieg: Über 13 Millionen Menschen wurden innerhalb des Landes vernutzt und weitere sieben Millionen in NS-besetzten Gebieten. In allen Bereichen kamen sie zum Einsatz, auch in Privathaushalten. Die Bevölkerung begegnete auf je eigene Weise Zwangsarbeiter:innen, deren erzwungene Leistung sicherte wesentlich ihren Lebensstandard.
Schikanen und rassistische Ungleichbehandlung
„Wir arbeiteten bei den Deutschen vom Morgengrauen bis zum späten Abend, vom Frühlingsanfang fast bis zum Jahresende“, schrieb Władysława Ossowska, geb. Kowalewska. 1918 geborenen, war sie ab 1939 auf unterschiedlichen privaten Gutshöfen in Ostpreußen und Brandenburg und schuftete in Bergwerken im Hochgebirge, um seltene Metalle für die Rüstungsindustrie abzubauen. Ausgeliefert war sie zudem einer Ungleichbehandlung; Arbeitskräften aus Polen erging es noch schlechter als jenen aus Frankreich oder den Niederlanden. Jüdinnen, Juden und sowjetische Kriegsgefangene standen in der Hierarchie ganz unten. Die Art der Arbeit, Unterbringung und Verpflegung entschieden über ihre Überlebenschancen und waren abhängig vom Verhalten ihrer vorgesetzten „Damen und Herren“, die durchaus Handlungsspielräume hatten.
Nach dem Krieg
Etwa zweieinhalb Millionen Menschen, vor allem sowjetische Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge aus allen Teilen Europas, haben die Zwangsarbeit im Deutschen Reich nicht überlebt. Die Überlebenden versuchten nach dem Krieg schnell nach Hause zurückzukehren, ihre Aufnahme in der Heimat verlief jedoch unterschiedlich: Kaum galten sie in Nachkriegsgesellschaften als Opfer; vielfach begegnete man ihnen gleichgültig, insbesondere in der Sowjetunion sah man sie als Verräter:innen, die für den Feind gearbeitet hatten. Viele Deutsche beschwiegen das Verbrechen oder leugneten es gar. Forderungen ehemaliger Zwangsarbeiter:innen nach Entschädigung fanden kaum Gehör. Als in den 1990er Jahren jüdische Opferverbände in den USA Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen anstrengten, zahlten Bundesregierung und Unternehmen notgedrungen gemeinsam in einen Fonds ein. Aus ihm erhielten Betroffene, die noch lebten, klägliche Zahlungen. Gleichzeitig mussten sie schriftlich auf weitere Rechtsmittel verzichten.
Museum und Dokumentation
Das Museum Zwangsarbeit hat zum Ziel, den Täterort zu einem Bildungsort zu machen. Hier können sich die Besucher:innen mit der Frage beschäftigen, wie die NS-Gesellschaft formiert war und was Verfolgung für diejenigen bedeuteten, die nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörten. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich das Haus der Weimarer Republik und am Stadtrand, auf dem Ettersberg, die Gedenkstätte Buchenwald, ein wichtiger internationaler Gedenk- und Bildungsort zur verbrecherischen Geschichte des NS. Ein Begleitband dokumentiert die Ausstellung in wesentlichen Zügen und präsentiert unveröffentlichte historische Fotos und Schriftstücke. Ergänzend vertiefen wissenschaftliche Aufsätze die Thematik; diese behandeln etwa: Gewöhnung. Gewalt und Ausgrenzung vor dem Krieg (1933–1939), Radikalisierung. Zwangsarbeit im besetzten Europa (ab 1939), Massenphänomen. Zwangsarbeit im Deutschen Reich (1942–1945), Aufarbeitung und Folgen der Zwangsarbeit und am Ende: „Beschädigte Gerechtigkeit“.
• „Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Weimar: www.museum-zwangsarbeit.de + www.gauforum.de
• Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Begleitband zur Dauerausstellung. Daniel Logemann, Rikola-Gunnar Lüttgenau, Jens-Christian Wagner (Hg.). 276 S., 200 Abb. Wallstein 2024
• Pionierforschung für Freiburg: Bernd Spitzmüller. „… aber das Leben war unvorstellbar schwer“. Die Geschichte der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Freiburg während des Zweiten Weltkriegs. Mit Beiträgen von Ulrich P. Ecker. Freiburg 2004
• Maxilene Schneider. „GrundRisse – Ein Quartier im Umbruch“. jos fritz Verlag 2021
Bildquellen
- Zwangsarbeit im Nationalsozialismus: Copyright: Wallstein
- In Weimar bietet das Museum Zwangsarbeit im ehemaligen „Gauforum“ Einblicke in das Thema © Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus,: Foto: Thomas Müller