Der Solidarität nicht würdig? In Freiburg hat der Sozialdienst muslimischer Frauen eine der deutschlandweit ersten Beratungsstellen für Betroffene antimuslischen Rassismus‘ eröffnet – und trifft den Nerv der Zeit
Jeden Tag finden mehr als fünf antimuslimische Übergriffe in Deutschland statt. Der Sozialdienst muslimischer Frauen, kurz SmF, engagiert sich seit vielen Jahren mit Hilfs- und Beratungsangeboten in Freiburg. Şenay Awad, Vorstandsvorsitzende des SmF, kämpft seit vielen Jahren für die Rechte muslimischer Mitbürger:innen, insbesondere aber auch für die Unterstützung von Frauen. Nun eröffnet der SmF die Beratungsstelle Antimuslimischer Rassismus. Nach jahrelanger Arbeit „haben wir uns mit dieser Beratungsstelle einen unserer Träume erfüllt“, erzählt Awad bei der Eröffnung.
Anlass für das Projekt war ein im Juni diesen Jahres veröffentlichter Lagebericht zu antimuslimischem Rassismus in Deutschland. Präsentiert wurde dieser in Berlin von der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit – kurz CLAIM. Dort heißt es, dass antimuslimischer Rassismus heute salonfähiger denn je sei und mehr als „nur“ Gewalt und Hetze gegen Menschen muslimischen Glaubens umfasse. Nach aktueller Studienlage handele es sich um ein strukturelles, also auch politisches Problem. Der Lagebericht bezieht sich u.a. auf Zahlen der Polizei. Demnach habe man im Jahr 2023 1.500 islamfeindliche Straftaten und insgesamt 1.926 antimuslimische Vorfälle registriert, darunter rund 90 Angriffe auf religiöse Einrichtungen wie Moscheen, Friedhöfe und andere muslimisch markierte Orte. Es handele sich um einen Höchststand und ein Anstieg um mehr als 140 Prozent im Vergleich zu 2022.
Die registrierten Fälle ziehen sich durch alle Lebensbereiche: Wohnungssuche, Arztbesuch, städtische Ämter und Schulen. Kinder gehören zu den Betroffenen und müssen sowohl verbale als auch körperliche Gewalt erleben, sowohl von Mitschüler:innen als auch Lehrbeauftragten. Die Mehrzahl der betroffenen Personen sind jedoch muslimische Frauen.
„Der massive Anstieg antimuslimischer Übergriffe und Diskriminierungen im Jahr 2023 ist mehr als besorgniserregend. Gleichzeitig wird diese Bedrohungslage bisher kaum wahrgenommen. Für Muslim:innen und Menschen, die als solche gelesen werden, sind die Straße, der Bus oder die Moschee längst keine sicheren Orte mehr. Antimuslimischer Rassismus war noch nie so salonfähig wie heute und er kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Die Folgen für Betroffene sind oft gravierend und viele Menschen haben das Gefühl, sie sind der Solidarität nicht würdig“, berichtet Rima Hanano, Leitung von CLAIM. Wie Diskurse zu Migration, Integration oder Sicherheit derzeit im politischen und medialen Raum geführt werden, schüre weiteren antimuslimischen Hass, Diskriminierungen und Gewalt, so Hanano. Gemäß einer Studie der Bertelsmann Stiftung (2023) erfahren 72 Prozent der Muslim:innen in Deutschland rassistische Diskriminierung und gehören zu einer der am stärksten benachteiligten Gruppen in Deutschland.
Um diesen Menschen nun eine Beratungsmöglichkeit auf Augenhöhe bieten zu können, setzt der SmF auf verschiedene Formate. Neben Infomaterialien in sechs verschiedenen Sprachen und einer Einzelberatung im geschützten Raum, wo Rechte erläutert und Handlungsstrategien entwickelt werden, vermittelt die Beratungsstelle auch an juristische Vertreter:innen. Zum gemeinsamen Austausch soll ebenfalls zwei Mal im Monat geladen werden. Zukünftig wird die Beratungsstelle weitere Aufklärungsarbeit leisten und u.a. Podiumsdiskussionen, Vorträge, Schulungen und Workshops zum Thema für Schulen, Behörden und andere Institutionen anbieten. Auch die Vernetzung innerhalb Freiburgs, insbesondere die Zusammenarbeit mit anderen Beratungsstellen, stehe im Vordergrund. Vernetzung und Austausch fand bereits bei der Eröffnung statt, an der zahlreiche Vertreter:innen teilnahmen. Haifaa Al Hasan, Projektleiterin der Beratungsstelle Antimuslimischer Rassismus, betont: „Es fehlt an Ansprechpersonen in öffentlichen Behörden, die zum Thema Rassismus, auch antimuslimischer Rassismus, geschult werden.“ Es bleibt zu hoffen, dass die neue Beratungsstelle Antimuslimischer Rassismus den Weg hierzu öffnet.
Bildquellen
- (v.l.n.r.): Senay Awad, Haifaa Al Hasan und Özcan Kalkan (Projektreferent Programm „Community plus – Beratungsstellen gegen Rassismus“): © SmF