Interview

Macho oder Memme?

Im Gespräch: Samy Deluxe, alias Samy Sorge, Rapper

Samy Deluxe

Rapper Samy Deluxe alias Samy Sorge, 36, engagiert sich in der Jugendarbeit, gibt ehrenamtlich Hip-Hop-Workshops und kämpft gegen Rassismus. Auf seinem neuen Album setzt sich der vielfach ausgezeichnete Afrodeutsche (Hit: „Weck mich auf“) mit dem Thema Männlichkeit auseinander.
Olaf Neumann traf Samy Deluxe in seinem Viertel in Hamburg und sprach mit ihm über Power-Frauen, Gangsta-Rapper und Ärger mit der Antifa.

Olaf Neumann: In den 18 Jahren, in denen Sie jetzt Musik machen, sind Sie als Rapper zum Mann geworden. Woran machen Sie das fest?
Samy Deluxe: In erster Linie an einer veränderten Betrachtungsweise von Dingen. Früher fand ich oft etwas Bestimmtes an einem Ami-Rapper toll und wollte es dann genauso machen. Inzwischen habe ich mich selbst, meinen Sound und meine Themen gefunden. Der Titel „Liebe in der Diskothek“ ist eigentlich ein super Tanz-Song, trotzdem handelt er von einer kollektiven Einsamkeit. Mein Album „Männlich“ hinterfragt, was wir mit unserem Leben machen. Viele Songs stehen für eine Art von Suche.
Olaf Neumann: Wie definieren Sie Männlichkeit?
Samy Deluxe: Männlich ist, einmal über seinen Schatten zu springen und sich neue Horizonte zu erobern. In meinem Fall bedeutet das, nach neuen Inspirationsquellen zu suchen und diese anzuwenden. Meine Männlichkeit hat viel mit wachsen zu tun. Ich hänge nicht Bier saufend mit anderen Männern an einer Straßenecke ab oder gehe grölend zu einem Fußballspiel. Männlich ist, aus schlechten Situationen das Beste zu machen. In Eppendorf, wo ich aufgewachsen bin, gab es in den 1980er und 1990er Jahren nicht viele Dunkelhäutige. Heute denke ich, dass ich aus meinem größten Nachteil das krass Positivste gemacht habe. Wenn ich ehemalige Schulkameraden treffe, sind die immer unglücklich in irgendwelchen Jobs.

Olaf Neumann: Wie stark ist das Genre Hip Hop an den Mythos der Männlichkeit gebunden?
Samy Deluxe: Wir leben in einer Zeit, in der viele Rapper infantile Ansätze verfolgen: der sexistische Rapper, der Drogendealer-Rapper, etc. Deshalb fand ich es cool, die Klischees über uns Rapper einmal mit ganz anderen Inhalten zu füllen. Auch habe ich mich künstlerisch damit auseinandergesetzt, dass wir Männer manchmal „schwanzgesteuert“ sind. Daraus ist dann der Song „Penis“ entstanden.
Olaf Neumann: Sind Sie schon mal als Macho tituliert worden?
Samy Deluxe: Ich bin sicher nicht der schlimmste Macho der Welt. Als junger Mann war ich immer extrem lieb zu Frauen. Ich war ein „Beste-Freund-Typ“, mit dem die Mädchen nach einer Woche Schluss machten, um dann mit einem coolen Typen zusammen zu sein. Später, als ich erfolgreich war, musste ich nicht mehr so hart arbeiten, um Frauen kennenzulernen. Das habe ich dann ziemlich ausgenutzt.
Olaf Neumann: Welche Chancen hat ein Rapper, der nicht auf dicke Hose macht, gehört zu werden?
Samy Deluxe: Die Hip-Hop-Szene wird ganz klar von Männern dominiert. Frauen tauchen eher als Freundinnen auf. Meine Vorbilder waren nicht die megakriminellen Dudes, die andere Leute ausrauben, sondern die Kriminellen, die sprühen gehen. Durch die Aggro-Berlin-Bewegung hat die Unterschicht in Deutschland ein Sprachohr bekommen. komisch da. Ich habe damals einen Verein für Jugendliche mit gegründet, aber Bushido werden Connections zur Mafia nachgesagt. Natürlich kommt er auf die Titelseite und nicht ich mit meinem Verein. Hier im Karo-Viertel gibt es eine Menge Jungs, die den Gangsta-Rap feiern. Die geben mir eindeutig zu verstehen, dass sie einen Gangsta-Rapper viel krasser finden als mich.
Olaf Neumann: Ist Deutsch-Rap erwachsen geworden?
Samy Deluxe: Natürlich sind wir alle älter geworden. Aber für mich klingt deutscher Rap in weiten Teilen immer noch wie deutscher Rap. Er hat oftmals wenig mit Musik zu tun. Es gibt hier keine erwachsene Hip-Hop-Szene, die meisten Kollegen, die erfolgreich sind, arbeiten eher mit Schock-Images als mit anspruchsvoller Musik. Angeblich wurde gerade die Frau eines Rappers entführt und geschlagen, weil dieser mit einem Kollegen Stress hat. Hinter jedem Gangsta-Rapper steht heute eine Mafia-Crew. Solche Fälle soll es immer geben, ist ja auch cool, sonst haben die Bullen nichts zu tun. Aber man schlägt keine Frauen.
Olaf Neumann: Hatten Sie je Ärger mit Feministinnen?
Samy Deluxe: Bisher habe ich bei den Feministinnen noch keinen schlechten Eindruck hinterlassen. Da gibt es auch schlimmere Menschen als mich. Ich habe eher bei den Linken hier im Viertel verkackt. 2009 sagte ich auf dem Album „Dis wo ich herkomm“, Deutschland ist gar nicht so schlimm. Bei den Linken in der Roten Flora bin ich seitdem unerwünscht, sie sind heute noch sauer auf meine Patrioten-Statements.
Olaf Neumann: Die taz bezeichnete Ihre Verse in einem Blog einmal als „kreuzdämlich, dümmlich und einfältig“ und in einem Leserbrief wurde Ihnen „Volksverhetzung“ vorgeworfen. Welche Folgen hatte das?
Samy Deluxe: Auf meiner Tour von 2009 demonstrierten an verschiedenen Orten deutsche Antifa-Jugendliche gegen mich und meine Band, die übrigens komplett aus Schwarzen bestand. Sie meinten, wir würden rassistisches Gedankengut verbreiten. Dabei habe ich nur hinterfragt, ob es hier wirklich so scheiße ist, wie wir immer denken. Andere haben daraus geschlossen, dass ich ein Nazi bin. Daran merkte ich, dass ich mich in gefährliches Gefilde begeben hatte. Im Schlachthof in Wiesbaden, dem linken Zentrum der Stadt, wollte eine Gruppe von Antifa-Leuten, dass ich nicht auftrete. Ich habe dann angeboten, nachmittags mit denen und einem Abgesandten des Zentralrats der Juden zu diskutieren und abends live zu spielen. Das war dann ein erfolgreicher Auftritt.
Olaf Neumann: Konnten Sie diese heftigen Reaktionen nachvollziehen?
Samy Deluxe: Die Antifa-Leute meinen, man dürfe das Wort „Stolz“ nicht in den Mund nehmen. Jemand, der auf sich stolz ist, würde auch jemand anderen umbringen. Diese radikale Auffassung teile ich nicht, mir hat auch nie jemand gesagt, dass ich toll sei. Erst mit 15 fand ich hier in Hamburg eine Gruppe von Leuten, die auch dunkle Haut hatte. Dieser Verein hieß African Heritage. Seitdem habe ich ein Selbstverständnis und einen Stolz entwickelt: Es ist so okay, wie ich bin. In diesem Stolz schwingt aber nicht mit, dass ich Weiße ätzend finde. Auf St. Pauli oder HSV darf man stolz sein, aber auf sein Land nicht. Das ist mir zu dogmatisch.
Olaf Neumann: Was kann Kunst bewirken?
Samy Deluxe: Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl, ich kann an diesem Land wirklich was ändern. Heute würde ich mir das nicht mehr anmaßen. Ich kann aber bei Einzelnen Gedanken anstoßen. Ich war früher viel in Amerika, das Land war für mich mal der Inbegriff eines Schmelztiegels. Je länger ich dort war, desto mehr merkte ich, dass es diesen Melting-Aspekt gar nicht gab. Ich kann dort auf der Straße hören, ob jemand hinter mir schwarz oder weiß ist – nur aufgrund der Art, wie er redet. Das liegt daran, dass in den USA die Sozialisation der Gruppen extrem unterschiedlich ist. Einmal outete sich ein amerikanischer Schwarzer aus einem Ghetto mir gegenüber als Patriot. Er sagte, er würde nun in den Irak gehen und dort die Taliban umblasen. Da dachte ich: „Alter, du hast nichts von deinem Land bekommen, willst aber für Amerika dein Leben geben“. So was haben wir in Deutschland nicht.
Olaf Neumann: Was hat Sie als Mann geprägt?
Samy Deluxe: Schon das Rap-Ding. Glücklicherweise bin ich zu einer Zeit gestartet, in der ich noch viele gute Einflüsse hatte. Die Zulu-Nation zum Beispiel stand für Drogenverzicht, Gewaltverzicht und ein Nein zu Sexismus. Erst später schlich sich bei mir das eine oder andere Laster ein. Eine meine Lieblingsrapgruppen war Public Enemy, weil sie Education und Entertainment super verbanden. Diese Typen nehmen ihre Vorbildfunktion sehr ernst. Viel von meinem Allgemeinwissen konnte ich mir über Rap aneignen. Diese Musik war für mich ein krasses Lern-Ding.
Olaf Neumann: Wie sind Sie erzogen worden?
Samy Deluxe: Ich bin unter Power-Frauen aufgewachsen, Mama, Oma, Schwester. Meine Mutter arbeitete viele Jahre in einer feministischen Frauenstiftung der Grünen.
Olaf Neumann: Welches Rollenverständnis haben Sie von Männern und Frauen?
Samy Deluxe: Ich habe überhaupt keine Regeln im Kopf, wie eine Frau sein muss. Eine Frau, die Karriere machen will und trotzdem kochen kann, finde ich auf jeden Fall besser als eine, die es nicht kann. Auch viele Sachen, die Frauen machen, sind männlich. Egal wie taff ein Mann ist, er könnte niemals ein Kind gebären. Versuchen Sie mal eine Wassermelone aus einem Loch herauszupressen, das so groß ist wie eine Zitrone. Das ist auf jeden Fall hart männlich.
Olaf Neumann: Hat erst das Vater-Sein aus Ihnen einen Mann gemacht?
Samy Deluxe: In meinem Freundeskreis war ich der erste, der Vater geworden ist. Für einen 23-Jährigen eine prägende Erfahrung. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade aus unserer Basement-Kiffer-Wohnung ausgezogen und auf einmal lebte ich mit Frau und Kind zusammen. Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich jetzt bis zum Lebensende eine Familie zu versorgen hatte. So begann ich, meine Karriere wirklich ernst zu nehmen.
Olaf Neumann: Wie sind Sie später damit umgegangen, dass Ihre Familie auseinanderbrach?
Samy Deluxe: Das war nicht cool, gerade weil ich selber ohne Vater aufgewachsen bin. Ich hatte nie einen Karriereknick, die am meisten frustrierende Erfahrung in meinem Leben war, nicht mehr mit meinem Sohn in einem Land zu leben. Er ist jetzt 13 und entwickelt künstlerisches Talent. Er spielt Gitarre, Bass und Schlagzeug, singt und rappt. Die Trennung ist auch für ihn eine bittere Pille. Neulich schrieb er mir, er fände mein Video mit den Fanta 4 cool. Er mag meine Musik, wird aber später hoffentlich nicht Deutsch-Rap machen, sondern irgendwas Größeres.

Wer Samy Deluxe live erleben will, kann dies am 31. Juli beim Zeltmusikfestival.
Aufgepasst: Wir verlosen 1×2 Karten für das Samy Deluxe Konzert am 31. Juli beim ZMF. Schicken Sie uns eine Mail an redaktion@kulturjoker.de mit dem Stichwort „Samy“ und geben Sie bitte Ihre Telefonnummer zur Benachrichtigung bekannt. Einsendeschluss: 15. Juli 2014. Viel Glück!