TanzTheater

Ein Wust aus Stoff und Kleidern: „TELL.ME.STH.NEW!“ der Choreografin und Tänzerin Julia Klockow

Trennen, öffnen, gestalten, zerstören, um Neues zu erschaffen – das und vieles mehr können Scheren als mächtige Alltags-Tools. Die sind in der neuen Produktion der in Freiburg lebenden Choreografin und Tänzerin Julia Klockow sehr präsent: Mal ein beherzter Schnitt mit großer Schneiderschere, mal konzentriertes Schnippeln mit spitzem Winzling, schon hat sie sich und ihre immer neuen Kostüme und Stofflagen zerlegt und verwandelt. Maskerade, Bruch, Befreiung – all das verquickt sich in der rund einstündigen Performance im E-Werk-Kammertheater.
„TELL.ME.STH.NEW!“, so der Titel von Klockows Inszenierung, die sie zusammen mit der italienischen Percussionistin Maria Luisa Pizzighella und dem kongolesischen Figurendesigner Claude Bwendua auf der Basis autobiografischer Erzählungen entwickelte (Koproduktion E-Werk und „Labor á trois“ – Residenz im Dreiländereck, gefördert von Stadt und Regierungspräsidium Freiburg). Aufgerufen waren vorab Menschen, um über ihre Erfahrungen zum Thema Identitätswandel und Bekleidung im Sinne einer gesellschaftlichen Haut zu berichten. Herausgekommen sind drei Stoffgeschichten und deren Gesetzmäßigkeiten, die hier mal ganz konkret, dann wieder fluide und abstrakt an der Schnittstelle von Tanz, Figurenspiel und Musik auf die Bühne kommen.
Bwenduas meterlange Recycling-Figur füllt fast die ganze Breite des Tanzbodens und ist ein echter Hingucker. Noch liegt sie auf der Seite mit überlangen Armen, dazu ein riesiger Kopf mit Kulleraugen und grünen Ohren über einem wild zusammen gepuzzelten Stoffkörper, aus dessen Ende zwei nackte Füße ragen. Währenddessen produziert Pizzighella an ihrer Percussion- und Loopstation mit einem Streicherbogen dröhnende Bässe und bringt die Zuschauerränge zum Vibrieren. Die beim Einlass ausgeteilten Ohrstöpsel machen Sinn – immer wieder wird bei ihrer experimentellen Soundcollage auch das Publikum zum Resonanzkörper. Als sich Klockow dann in den Kragen ihres beigen Business-Jacketts fasst und dessen Rücken mit einer roten Schere in zwei Teile schneidet, steht ihr ein mächtiger Freund zu Seite: Anrührend und komisch schwankt der Riese auf sie zu, bewegt den großen Mund und klimpert empathisch mit den Lidern. Eine in ihrer ungelenken Hilflosigkeit hinreißende Figur, die sofort als Gegenüber funktioniert und traumversponnene Momente schafft.
Wie Klockow zum Urwaldsound dann Streifen für Streifen ihre Hose zerschneidet, jedes freigelegte Bein zappelndes Eigenleben entwickelt, verletzbare Haut aufblitzt, das schwarze Shirt zum Fetzengewand und die über den Kopf gestülpte Strumpfhose zur Spitzenmaske wird – das sind beeindruckende und überraschende Momente. Trotzdem springt der Funke nur schwer über, denn auch der Spannungsbogen wird immer wieder jäh gekappt. Zu lang ist dann der musikalische Teil, der das Thema in einen mächtigen Klangteppich transformiert und dabei den Kontakt zu den beiden Figuren trennt. Da ist man dankbar, als das Wesen Limbondo wieder auftaucht, den Kopf so witzig ruckeln lässt und sich halsbrecherisch über die ersten Zuschauerreihen neigt. Am Ende tanzt Klockow noch auf dem Catwalk unter einem Wust aus Stoffen und Kleidern, aus denen Tüll, neonoranges und blaues Glitzer blitzt – bis ihr die Musikerin die Schere aus der Hand nimmt…

Bildquellen

  • Julia Klockow arbeitete für die Performance mit der italienischen Percussionistin Maria Luisa Pizzighella und dem kongolesischen Figurendesigner Claude Bwendua zusammen: © Marc Doradzillo