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Im Gespräch mit Wolfgang Niedecken, Sänger und Frontmann von BAP

Wolfgang Niedecken geht mit seiner Band BAP auf Zeitreise und präsentiert 31 Songs aus den frühen 1980ern auf einem opulenten Live-Album in „revitalisierten“ Versionen. Viele dieser Protestlieder wirken heute wieder aktuell und haben ins Konzertprogramm der Kölschrocker zurückgefunden. Im November starten sie ihre neue Tour. Mit dem 73-jährigen Sänger Niedecken sprach Olaf Neumann über Bob Dylan, den Ruf nach Atomwaffen und Optimismus in herausfordernden Zeiten.

Kultur Joker: Das Triplealbum „Zeitreise/Live im Sartory“ enthält „revitalisierte“ Versionen von Songs Ihrer Klassiker „Affjetaut“ (1980), „für usszeschnigge!“ (1981) und „vun drinne noh drusse“ (1982). Warum machen Ihnen diese Nummern heute noch gute Laune?

Wolfgang Niedecken: Weil die Reaktionen der Menschen auf diese Songs eine emotionale Welle lostreten. Die Resonanz auf Stücke wie „Zehnter Juni“ bei der „Alles fließt“-Tour war herzergreifend, Leute haben teilweise geweint vor Freude. Das Stück haben wir 1982 nach der großen Demonstration in Bonn-Beuel gegen den Nato-Doppelbeschluss geschrieben. Als wir nach dem Beginn von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine gefragt wurden, ob wir das jemals wieder spielen würden, sagte ich: „Wenn das auf eine Situation passt, klar!“ Und dann tat Putin seine Teilmobilisierung kund und hunderttausende junge Russen desertierten. Plötzlich stimmte der Refrain wieder, „Plant mich bloß nit bei üch en“. Das brachte mich auf die Idee, einmal alle Stücke dieser Millionenseller auf einer Tour zu spielen. Für das Live-Album haben wir den Sartory in Köln ausgewählt, wo wir von 1980 bis 1985 unsere damals größten Konzerte spielten. Die Band war Feuer und Flamme für dieses Programm. Das spürt man auch.

Kultur Joker: Ist es mit der jetzigen BAP-Besetzung besonders spannend, die frühen 1980er musikalisch wieder aufleben zu lassen?

Niedecken: Ja. Das sind alles unglaubliche Profis, die auch von anderen Künstlern gebucht werden. Ich weiß, dass diese Band songdienlich spielt. Für BAP macht es keinen Sinn, wenn wir nur reinhalten, bei uns steht der Song im Vordergrund. Es ist jedem in der Band klar, dass ich ein klassischer Storyteller bin.

Kultur Joker: Sie haben auch Ihren großen Hit „Kristallnach“ neu eingespielt. Angeblich war es nie so leicht, einen Hit zu schreiben, wie heute, da jeder Song nur eine Computerdatei ist und sich die instrumentale Begleitung zusammenbasteln lässt. Würden Sie dem zustimmen?

Niedecken: Ich kann das für mich nicht bestätigen, aber es ist klar, das es bei vielem, was heute im Radio läuft, so gemacht wurde. Das entspricht überhaupt nicht meinem Wesen, denn die Seele fehlt da letztendlich. Ich habe einen Instinkt für Authentizität. Wenn ich jemals E-Gitarre gespielt habe, dann eine mit möglichst wenig Reglern. Ich darf bei dieser Band mitspielen, ohne dass ich großartig störe. Unser Gitarrist Ulrich Rode ist ein wunderbarer Musical Director. Es ist überhaupt ein Traum, mit dieser Besetzung zu spielen. Sie ist vergleichbar mit der Band, die damals das „Övverall“-Livealbum aufgenommen hat.

Kultur Joker: „BAP“ wurde Anfang der 1980er zum Sprachrohr der Machtlosen und zur Lieblingsband der Intellektuellen, und Sie mit Ihren Texten gegen Atomkraft und Wettrüsten zum „Bob Dylan der Südstadt“. Sollte Deutschland heute Atomwaffen besitzen, falls die nukleare Abschreckung durch die USA als größte NATO-Atommacht eines Tages wegfällt?

Niedecken: Ich glaube nicht, dass Deutschland Atomwaffen besitzen sollte. Aber die Nato sollte das nukleare Gleichgewicht aufrechterhalten, weil Putin nur Stärke respektiert. Das ist ein furchtbares Wort für jemanden, der Stücke geschrieben hat wie „Plant mich bloß nit bei üch en“ oder „Stell dir vüür“. Manchen Hippietraum muss man sich leider abschminken. Es geht nicht anders, sonst steht Putin irgendwann an der Elbe.

Kultur Joker: Bob Dylan ist auch auf Ihrem Album vertreten. „Wie `ne Stein“ heißt die eingekölschte Version seines Klassikers „Like a Rolling Stone“.

Niedecken: Mein erster eingekölschter Dylan-Song war „Girl from the north Country“, sogar noch vor unserem ersten Album. Er ist aber nie auf einer BAP-Studioplatte erschienen, weil Balladen dieser Art eine Rockband eigentlich in der Regel aufhalten. Und der Spirit von „One too many Mornings” ist in meinen Song “Jraaduss” eingeflossen. Für mich war das Einkölschen von Dylan-Songs ein Privileg. Kölsch ist ja meine Muttersprache, aber sie stirbt wie alle Dialekt leider aus. Für mich ist das mehr meine Umgangssprache als Dialekt. Als Kölner singt man ja schon beim Sprechen.

Kultur Joker: Lassen sich bestimmte Dinge in Mundart besser ausdrücken?

© Tina Niedecken

Niedecken: Ja, Gefühle. Wer kann denn bitteschön seine Gefühle in Amtssprache ausdrücken. Es gibt auch kaum deutschsprachige Sänger, die keinen Dreh gefunden haben, wie sie diese Amtssprache abgeschwächt kriegen und die die es nicht tun, wirken hölzern.

Kultur Joker: Bob Dylan ist ja berühmt-berüchtigt für erstaunliche Neuinterpretationen seiner eigenen Songs, die den Hörer manchmal verstören. Haben Sie ihn sich auch in dieser Hinsicht zum Vorbild genommen?

Niedecken: Ich habe alle seine Alben, sogar die Bootlegs. Ich finde es toll, dass er immer offen war und mit guten Musikern zusammengespielt hat. Mit einigen von denen habe ich selber schon gearbeitet. Dylan ist darauf angewiesen, dass er diese guten Leute hat. Ich fand damals beispielsweise seine „Rolling Thunder Revue“ sensationell, aber später gab es eine Phase, bei der man bis zur Hälfte eines Stückes gar nicht wusste, welches Lied das überhaupt ist. Das hat ein bisschen genervt. Ich glaube auch nicht, dass Dylan ein Arrangeur ist. Wir arbeiten beide eigentlich ähnlich. Ohne meine Band wäre ich aufgeschmissen. Natürlich könnte ich wie früher Soloauftritte machen, aber musikalisch ist das nicht besonders interessant. Deswegen spiele ich auch die Dylanreise mit einem phantastischen Jazz-Pianisten zusammen. So kann ich mich aufs Storytelling beschränken.

Kultur Joker: Könnten Sie sich vorstellen, auch Dylans Spätwerk einzukölschen?

Niedecken: Das könnte ich mir schon vorstellen. Aber so furchtbar viel Zeit bleibt mir dafür nicht mehr als 73-Jährigen. Ich versuche immer, mir nur über den nächsten Schritt Gedanken zu machen, damit ich nicht ins Stolpern gerate.

Kultur Joker: „Wo mer endlich Sommer hann“ ist eine eingekölschte Version von Eddie Cochrans „Summertime Blues“. Heute singen Sie allerdings „Helmut Kohl“ anstelle von „Helmut Schmidt“. Was hat es damit auf sich?

Niedecken: Wärend der Tour ging es zu Kohl über. Unser damaliger Perkussionist trug am Anfang bei dem Satz eine Schmidt-Maske. Und an dem Tag, als wir in Paderborn spielten, wurde Kohl zum Bundeskanzler gewählt. Da brauchten wir ganz schnell eine andere Pappmachémaske. Unser Posaunist zieht sich jetzt immer die Kohl-Maske über.

Kultur Joker: Der Bundeskanzler Kohl galt als peinlich, provinziell, bauernschlau – für Intellektuelle war er ein Graus. Auch für Sie?

Niedecken: Das war jetzt nicht mein Mann. Wir waren Brandt und Schmidt gewohnt und dann ging es auch ernsthaft mit den Grünen los. Joschka Fischer war unser Mann.

Kultur Joker: Kohl hatte die geistig-moralische Wende versprochen – und die Reduzierung der „Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer um die Hälfte“. Sehen Sie da Parallelen zur Gegenwart?

Niedecken: Das ist immer ein Thema, mit dem man punkten kann. Trump macht ja mit seiner Mauer zu Mexiko nichts anders. Die darf aber niemals fertig werden, sonst geht ihm ein Thema flöten. Mit einer Mauer werden aber keine Probleme gelöst.

Kultur Joker: AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer kamen im November 2023 in einem Hotel bei Potsdam zusammen. Sie planten die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. Was dachten Sie, als Sie davon hörten?

Niedecken: Ich hatte von dem Begriff „Remigration“ vorher noch nichts gehört. Das hat Millionen Menschen auf die Straße gebracht, was einen hoffen lässt. Wir sind nicht unbedingt alleine mit unserer Ratlosigkeit. Wir leben auch nicht in einer Diktatur, wo man so etwas verbieten kann. Das ist vielleicht vergleichbar mit 1992, als hier Asylantenwohnheime brannten und wir in Köln das „Arsch huh, Zäng ussenander“-Konzert gespielt haben.

Kultur Joker: Brauchen wir ein AfD-Verbot?

Niedecken: Ich kann verstehen, dass manche Leute denken, so etwas mache Sinn. Es gibt da aber einige Hürden und es müsste ganz klar sein, dass das Verbot auch wirkt. Die AfD jetzt verbieten zu wollen, wäre Wasser auf deren Mühlen. So würde man noch mehr Wählerpotenzial schaffen. Viele, die diese Partei wählen, wissen nicht, dass die AfD gar nicht in ihrem Interesse spricht. Sie würde zum Beispiel keinerlei Subventionen vergeben. Auch nicht an die Bauern. Das hätte alles das Gesetz der Marktwirtschaft zu regeln. Rechte Politik ist Darwinismus. Wir sind aber keine Tiere, sondern denkende Wesen. Die einzige Spezies, die weiß, dass sie einmal sterben wird.

Kultur Joker: Hat Ihr unverwüstlicher Optimismus Sie Ihr Künstlerleben lang am Prinzip Hoffnung festhalten lassen?

Niedecken: Ich würde jedenfalls keinen Optimismus verbreiten, an den ich selber nicht glaube. Ich denke, ich transportiere meine Lebensfreude auch bei einem ganz finsteren, bitteren politischen Lied. Das ist mein Optimismus. Aber die ganze Radiolandschaft leidet für meinen Geschmack darunter, dass immer alles „uplifting“ sein muss. Aber BAP-Lieder wie „Ruhe vor‘m Sturm“ sind halt nicht aufmunternd. Wenn in den Medien momentan bestimmte Themen behandelt werden, wollen die dazu lieber ein Interview mit mir, aber das heißt nicht, dass das passende Lied dann auch gespielt wird. Dylan hat schon sehr früh in den 1960ern gesagt: „Fragt mich nichts, it is all in the song!“ Man höre sich nur unser „Alles fließt“-Album an. Da ist alles drauf, was ich in dieser Zeit zu sagen hatte.

Kultur Joker: Spielen Sie eigentlich immer noch dreistündige Konzerte?

Niedecken: Ja, die Konzerte sind in der Regel drei Stunden plus. Es hängt immer von meiner Plauderlaune ab. Auf dem Programm stehen alle Songs vom „Live im Sartory/Zeitreise“-Album. Wir lassen uns nicht lumpen. Es macht schon großen Spaß.

Kultur Joker: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Bildquellen

  • BAP: © Tina Niedecken
  • Im Gespräch mit Wolfgang Niedecken, Sänger und Frontmann von BAP: © Tina Niedecken