Knecht im Himmel, Herrscher in der Hölle: Am Theater Freiburg wurde „Paradise Lost“ nach Milton vom Kommando Himmelfahrt uraufgeführt
John Milton hatte ein Herz für Revolutionäre. Schließlich war er selbst einer. Im englischen Bürgerkrieg ergriff er Partei für die Puritaner und wurde unter Oliver Cromwell Minister. Doch die Royalisten kamen zurück, 1660 wird Charles II. inthronisiert. Milton verlor zwar nicht sein Leben, doch weitgehend sein Vermögen. Hinzu kam, dass er allmählich blind wurde. Vermutlich ein Grund mehr, sich Homer, dem blinden Seher, nahe zu fühlen. Wenn in Miltons Hauptwerk „Paradise Lost“ immer mal wieder von Thron, Sturz, Schuld und Sühne die Rede ist, darf man das auch wörtlich nehmen und nicht allein auf die biblische Geschichte vom gefallenen Engel und dem verlorenen Paradies beziehen. Zwölf Gesänge umfasst sein Epos „Paradise Lost“, mehr als 10.500 Verse. Das ist im besten Sinne maßlos.
Es liegt nahe, diese Gesänge als Musik zu nehmen. Jan Dvořaḱ, Thomas Fiedler und Julia Warnemünde vom Kommando Himmelfahrt (Regie und Bühne) sind daher nicht die ersten, die den Text für die Bühne vertont haben. Im Kleinen Haus des Theater Freiburg startete das Schauspiel mit diesem „Musiktheater nach Milton“ in die neue Spielzeit. Die Band (Tasten und Komposition: Jan Dvořaḱ, Kontrabass: Jonathan Sell, Schlagzeug: Konrad Wiemann) nimmt hinten die Bühne ein, ein paar Zimmerpflanzen stehen als Paradiessurrogate neben Schneiderbüsten, darauf pinkfarbene Perücken und helle Fräcke mit Glitzerrevers. Dann forsches Absatzklappern. Satan ist ein weibliches Trio Infernale (Janna Horstmann, Stefanie Mrachacz, Laura Palacios) in kniehohen schwarzen Stiefeln, Strumpfhosen, eine Art Miederhose und Trägershirts von gleicher Farbe, die Gesichter schimmern metallisch grünlich-rosa (Kostüm: Charlotte Werkmeister). Ein Schrei, stoßweises atmen, die Frage: Bist du’s? – oh, wie gefallen.“ Der Sturz war tatsächlich tief, vom Himmel in die Hölle, verursacht durch Hybris und den unbändigen Willen, lieber Herr in der Hölle als Knecht im Himmel zu sein. Horstmann, Mrachacz und Palacios machen ihre Sache recht wacker, sie ergänzen einander, treiben sich bei den Songs an, wechseln ihre Kleidung wie bei einem Konzert. Die Songs klingen nach den 1960er und -70er Jahre, manchmal nehmen sich die Musiker ganz zurück, dann donnert es theaterwirksam. Mitunter erinnert es an Rockoper oder es wird jazziger. Der Rückgriff ist gewollt, es war eine Phase des Aufbruchs und der Rebellion, doch anscheinend kann sich die Regie dies nur als historischen Vorgang vorstellen.
Miltons bildmächtige Imagination des Kosmos ist in dieser Inszenierung auf Projektionen auf erst zwei, dann drei Hohlkehlen heruntergebrochen, hinter denen die Band zunehmend verschwindet. Darauf zu sehen: Adam, darüber der Sternenhimmel mit dem Großen Bären, chemische Formeln, Ginkgoblätter. Vom Stammvater bleibt nicht mehr als diese museal wirkende Figur in einen Harzblock gegossen, auf den eine Kamera gerichtet ist (Medienkunst: Carl-John Hoffmann). Eva (Jara Bihler) hingegen sieht mit den langen blonden Haaren wie eine gemalte Renaissancefantasie aus, stimmlich, selbst beim gesprochenen Text, ist das eher schwach, was eine Kluft zum übrigen Ensemble aufmacht. Schlange und Apfel tun das, was sie seit biblischen Zeiten tun. Doch mit der neugewonnenen Erkenntnis fängt das Kommando Himmelfahrt wenig an, die Inszenierung driftet in den Kitsch ab. Während die drei Teufel auf Eva und das Publikum Ereignisgeschichte der Menschheit prasseln lassen, vom Aussterben des Neandertalers, dem Bau des Kölner Doms, der Psychoanalyse bis hin zu den Weltkriegen, wächst deren Reue. Hätte Gott sie nur nie aus Adams Rippe geformt. So muss sie sich ihren Nachkommen, Mädchen und jungen Frauen aus der Statisterie, stellen. Fragwürdig ist, warum Schuld und Reue hier eine rein weibliche Angelegenheit bleiben. Das Ende jedoch gehört wieder Milton: das Paar verlässt Hand in Hand das Paradies, um sich in der Welt seinen Ruheplatz frei zu wählen. Nach eineinhalb Stunden muss man sich Adam und Eva als erlöst vorstellen.
Weitere Vorstellungen: 30. November sowie 8. und 27. Dezember im Kleinen Haus, Theater Freiburg.
Bildquellen
- Janna Horstmann, Laura Palacios, Stefanie Mrachacz: Foto: Rainer Muranyi