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Zwischen Wunder und Zerstörung: 80 Jahre Flächenbombardierung in Freiburg – Sammelband gibt neue historische Perspektive auf die Ludwigsgemeinde in Freiburg während der NS-Zeit

Am 27. November jährt sich die Flächenbombardierung Freiburgs zum 80. Mal. Neben zentralen Bahnknotenpunkten wurden 80 Prozent der Altstadt, darunter zahlreiche Kirchen, Wohnhäuser und öffentliche Gebäude, zerstört. Von 14527 Gebäuden blieben nur 2148 unbeschädigt. Durch den Angriff starben rund 2800 Menschen. 1944 war das deutsche Militär bereits stark geschwächt und in dieser späten Phase des Krieges sah die Strategie der Alliierten nicht nur die Bombardierungen von militärisch relevanter Infrastruktur vor, sondern auch ‚moral bombing‘. Operation „Tigerfish“ war eine von vielen Flächenbombardierungen, die die deutsche Bevölkerung demoralisieren sollten, um so das Kriegsende zu beschleunigen. Rund 2800 Menschen kamen bei den Angriffen ums Leben. Obwohl Freiburg bereits im Mai 1940 von deutschen Fliegern fälschlicherweise bombardiert wurde, galt die Stadt lange als sicher. Für die Alliierten hatte kein Ziel in der Stadt hohe Priorität. Auf deutscher Seite war man nicht von einer Bombardierung ausgegangen, weshalb die Stadt lange keine Schutzräume von Berlin finanziert bekam. Für die damals 110.000 EinwohnerInnen gab es 1944 nur zwischen 16.900 und 17.400 Schutzplätze, meist in ausgebauten Stollen oder in den weniger sicheren, einfachen Schutzräumen, die von der Stadt errichtet wurden.
Das Ausmaß der Zerstörung machte die Stadt beinahe unbewohnbar. Nicht nur 30 Prozent aller Wohnungen waren zerstört worden, sondern auch das Stadttheater, die Kunsthalle, der Hauptbahnhof und zahlreiche Kirchen. Bis April 1945 verließ die Hälfte der Freiburger die Stadt und erst 1950 war die Bevölkerung wieder auf Vorkriegsniveau gewachsen. Das Münsterwunder, die beinahe vollständige Unversehrtheit der Kirche, lässt sich eindrucksvoll auf Luftaufnahmen erkennen. „Wie ein Fingerzeig Gottes“, sagte ein Zeitzeuge, ragte das Jahrhunderte alte Bauwerk aus den Trümmern. Der Angriff dauerte weniger als eine halbe Stunde.
Der Ludwigskirche widerfuhr ein anderes Schicksal. Die Kirche, das Pfarrhaus und das Gemeindehaus wurden vollständig zerstört. Sie stand nicht weit vom Europaplatz an der Ecke Habsburgerstraße/Rheinstraße. Mit Hakenkreuz neben dem Altar galt die Ludwigsgemeinde während der NS-Zeit als ‚braune‘ Gemeinde. Trotz umfangreicher Forschung zur NS-Zeit in Freiburg blieb die Rolle der Evangelischen Kirche in Freiburg bisher noch eine Lücke. Am 17. November geben nun Gabriele Hartlieb und Martin Flashar den Sammelband „Zwischen Kreuz und Hakenkreuz“ im Rombach Verlag heraus, welcher das Ergebnis einer mehrjährigen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ludwigsgemeinde von den 1930er bis 1950er ist. Im Band finden sich neben Beiträgen von Flashar und Hartlieb Aufsätze von zehn weiteren Autorinnen und Autoren. Das Projekt ist in Zusammenarbeit mit Studierenden der Evangelischen Hochschule unter Leitung von Professor Schwendemann und einer im Rahmen der Arbeit gegründeten Arbeitsgemeinschaft, der evangelischen Pfarrgemeinde Nord, entstanden. Neben zentralen Personen wie den Pfarrern Friedrich Kölli und Theodor Pfefferle und dem Dienstverseher der Ludwigskirche-Gemeinde ab 1945, Albrecht Wolfinger, widmet sich der Band auch den Widersprüchen dieser Zeit. Die Ludwigsgemeinde war dem Umfeld der deutschen Christen zuzuordnen, einer Strömung deutscher Evangelen, die für eine Angleichung des Protestantismus mit der NS-Ideologie stand. Sie stand im Gegensatz zur oppositionellen „Bekennenden Kirche“ und dem „Freiburger Kreis“. Nicole Faller und Willhelm Schwendemann stellen die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Ludwigskirche 1933 – Kirche zwischen ‚Deutschen Christen‘ und ‚Bekennender Kirche‘“ vor. Björn Slenzckas Beitrag „Zwischen Anpassung und Widerspruch“ behandelt das Verhältnis zwischen dem Freiburger Diakonissenhaus und der Ludwigskirche. Neben Vorworten der Dekanin der Evangelischen Hochschule Angela Heidler und der Leiterin des NS-Doku-Zentrums Julia Wolrab bietet das Buch Zeitzeugeninterviews, Fotografien und Karten. Die von Dagmar Casetou und Rolf Jackisch zusammengetragenen und im Band übersichtlich und chronologisch dargestellten Informationen über Orte und Personen ermöglichen den Lesenden mit und über die Beiträge hinaus einen Einblick in einen bisher nur schwer zugänglichen Teil der Freiburger Geschichte.
Als Gegenstück zur Machtergreifung 1933 stellte die Bombardierung am 27. November 1944 einen Wendepunkt in der Geschichte der Pfarrgemeinde dar. Die alte Ludwigskirche, das Pfarr- und das Gemeindehaus wurden zerstört. Dieses einschlägige Ereignis spiegelt sich im Sammelband als eine Momentaufnahme wider. Pfarrer Kölli, der den Aufstieg des NS als überzeugter Anhänger erlebte, war bereits 1942 verstorben. Zwar geht aus keinen Unterlagen hervor, ob er eine Familie hatte, Zeitzeugen erwähnen sie dennoch. Die Vermutung wird dadurch gestützt, dass bei der Bombardierung im Pfarrhaus eine unbekannte junge Frau und zwei Kinder verstorben sind. Pfarrer Pfefferle, der nach Kölli in der Ludwigskirche tätig war, eckte mehr an. Gegen ihn wurden Beschwerden eingereicht, da er Maßnahmen von Staat und Polizei in seinen Predigten kritisierte. Auch die NSDAP hat beim Evangelischen Oberkirchenrat Beschwerde eingereicht, da er ihre Arbeit herabgesetzt und schlecht gemacht haben soll. Zugleich soll er Pfarrer der Bekennenden Kirche als Kommunisten bezeichnet und ihre Wortbeiträge mit ‚Maul halten‘ niedergeschrien haben. Im November 1942 wurde Pfefferle für den Militärdienst eingezogen. Die im Band von Ute Niethammer dokumentierten Konflikte führten vermutlich dazu, dass der Pfarrer trotz vieler Anträge auf Urlaub auch nach der Bombardierung nicht zurück nach Freiburg gelassen wurde. Seine Frau und Kinder überlebten den Angriff im Keller des zerstörten Pfarrhauses. Das Diakonissenhaus, über dessen zunehmend entfremdetes Verhältnis zur Ludwigsgemeinde Björn Slenczka schreibt, wurde zwar teilweise zerstört, im Krankenhaus starb jedoch niemand. Wer mehr über dieses weniger bekannte Wunder und das Verhältnis der evangelischen Kirche zum NS lesen will, kann dies in „Zwischen Hakenkreuz und Kreuz“ tun. Eine aufschlussreiche Lektüre!
„Zwischen Hakenkreuz und Kreuz. Die Freiburger Ludwigsgemeinde in den 1930er bis 1950er Jahren “. Martin Flashar, Gabriele Hartlieb (Hrsg.). Rombach Verlag. ISBN 978-3-7930-6124-3

Bildquellen

  • „Zwischen Kreuz und Hakenkreuz“: Rombach Verlag
  • Nach der Bombardierung lag die Stadt um das Münster herum in Schutt und Asche: © Stadtarchiv Freiburg