Kunst

Die Waagschale in Balance halten: In der Rudolf-Scharpf-Galerie in Ludwigshafen ist die Ausstellung „Un_erhört. Wie sich die Vulva heute Gehör verschafft!“ zu sehen – provokant und lohnenswert zugleich

Spätestens seit Liv Strömquists Graphic Novel „Der Ursprung der Welt“ hat sich der gegenwärtige Blick auf das weibliche Geschlechtsorgan grundlegend verändert. Die schwedische Feministin und Comiczeichnerin hat der Vulva eine kulturhistorische Verortung gegeben, unseren Umgang mit ihr betrachtet und eine Zeitreise gewagt: Von der Steinzeit bis in unsere Moderne, von hindusitischen Göttinnen bis zu einer profitorientierten Tamponindustrie. In Ludwigshafen geht die Betrachtung oder vielmehr die künstlerische Erforschung der Vulva nun weiter. Seit Oktober kann in der Rudolf-Scharpf-Galerie die Ausstellung „Un_erhört. Wie sich die Vulva heute Gehör verschafft!“ mit Werken fünfzehn zeitgenössischer Künstlerinnen zu Kulturhistorie, Mythen, Biologie, Menstruation, Sexualität, aber auch Identität besucht werden.
Den Vulven der österreichischen Künstlerin Rosa Roedelius begegnet man als Keramik im Erdgeschoss. Roedelius drapiert sie auf runden Podesten, ausgelegt mit Erde. Ursprüngliche Fruchtbarkeit und der Kern des natürlichen Ursprungs sind symbolhaft im Werk der Österreicherin, deren Keramiken sanft und wohlwollend den Blick der Betrachtenden an die Formen des ursprünglich Weiblichen gewöhnen. Denn während der Phallus und die Nacktheit des männlichen Körpers längst unser ästhetisches (Selbst)Verständnis und die Architektur unserer Städte prägen, muss sich unser Auge an die Vulva wohl erst noch gewöhnen. So zumindest der Eindruck, denn derzeit wird darüber diskutiert, ob die Galerie in Ludwigshafen Warnhinweise im Foyer anbringen sollte, um unwissendes Publikum nicht zu verstören. À la „Achtung, Achtung. Hier können Sie Vulven sehen. Bitte nicht erschrecken.“ Ob ein solcher Warnhinweis demnächst wohl auch in der Galleria dell‘Accademia vor Michelangelos „David“ und seinem prächtig zur Schau gestellten Gehänge stehen wird? Vermutlich nicht.
Wo über Warnhinweise diskutiert wird, lohnt sich ein genauer Blick. Denn die Ausstellung zeigt ein breites Spektrum künstlerischer Positionen, deren Qualität sich bei weitem nicht hinter dem Provokationspotenzial der Ausstellung selbst verstecken muss. Es sind keine Werke, die die Vulva als schlichtes Mittel zur Generierung von Aufmerksamkeit nutzen – die ausgestellten Künstlerinnen führen die Vulva aus ihrem Schattendasein und bedienen sich dabei unterschiedlichster künstlerischer Werkzeuge und Stile. Zeichnungen, Keramiken, Malerei, Fotografie und Plastiken verteilen sich auf insgesamt drei Stockwerke.

Helga Schager: „Die verbotene Frucht oder die sündige Vulva“, 2024, 3-teilige Installation © Helga Schager / VG Bild -Kunst, Bonn 2024

Dabei wird schnell klar: Der westliche Blick auf die Vulva ist vor allem geprägt durch christliche Norm- und Wertvorstellungen, an deren Anfang die sündhafte Eva steht. Der Sündenfall, ausgelöst durch die angebliche Gier (oder Neugier?) der Frau, symbolhaft dargestellt von Helga Schager, deren 3-teilige Installation „Die verbotene Frucht oder die sündige Vulva“ mit dem Symbolbild des Apfels spielt. Sein Kerngehäuse öffnet sich in lustvollen Rundungen, umspielt das Fruchtfleisch und zeigt zugleich, dass unser Blick für das Weibliche immer auch von ein bisschen Sünde begleitet ist.
Sünde und Ekel gehen gern Hand in Hand. In ihrem Werk befasst sich die Künstlerin Petra Mattheis zum größten Teil mit der Menstruation. Ihr Werk „28 Tage um das menstruelle Tabu zu brechen“ wirkt wie eine zyklische Schritt-für-Schritt-Anleitung zur weiblichen Selbstermächtigung: „Stopf ihnen das Maul mit Tampons“, „deine Periode ist deine Superpower“, „präg deine menstruelle Kultur“, „sei ein Menstruator“. Dass die Menstruation bis heute stigmatisiert, verschwiegen und kulturübergreifend als unrein wahrgenommen wird, zeigt auch eine Umfrage von Plan International, bei der sich jede dritte Frau während ihrer Periode „unrein“ fühlt. Die Dringlichkeit und Aktualität ihres Werkes zeigt sich also auch in Zahlen – eine Kultur der Menstruation (wieder) zu finden, wäre mehr als wünschenswert. Ebenso aktuell versteht sich Zoë Claire Millers Plastik „Reproductive Justice (in Lavender)“, die aus der Gebärmutter mal eben eine Justitia zaubert, der es schwer fallen müsste, in Zeiten, in denen ein frisch gewählter US-Präsident Wahlkampf mit dem landesweiten Verbot von Abtreibungen führte, die Waagschale in Balance zu halten. Doch das müssen wir. Die Ausstellung tut ihres dazu.

„Un_erhört. Wie sich die Vulva heute Gehör verschafft!“. Rudolf-Scharpf-Galerie, Hemshofstraße 54, Ludwigshafen am Rhein. Bis 15.12.24

Bildquellen

  • Helga Schager: „Die verbotene Frucht oder die sündige Vulva“, 2024, 3-teilige Installation: © Helga Schager / VG Bild -Kunst, Bonn 2024
  • Zoë Claire Miller: „Reproductive Justice (in Lavender)“, 2020, glasiertes Steingut, Sterlingsilber © Zoë Claire Miller / VG Bild-Kunst Bonn 2024: © Zoë Claire Miller / VG Bild-Kunst Bonn 2024